Wernher von Braun, der unbestrittene „Vater des amerikanischen Raketenprogramms“, ist eine jener legendären Figuren der Geschichte, deren Vermächtnis untrennbar mit Kontroverse und Triumph verwoben ist. Er war der geniale Kopf hinter der Saturn V, der monumentalen Rakete, die Neil Armstrong auf den Mond brachte und damit die Menschheitsgeschichte für immer veränderte. Sein Name ist ein Synonym für den Griff nach den Sternen, für den visionären Traum vom Mars. Doch was geschieht mit denjenigen, die im gleißenden Licht eines solchen Giganten aufwachsen? Was wurde aus seinen drei Kindern – Iris, Margrit und Peter –, nachdem ihr berühmter Vater 1977 verstarb?
Die Antwort ist so überraschend wie menschlich: Sie wählten das absolute Gegenteil des Weges, den die Welt von ihnen erwartet hatte. Keines der Kinder Wernher von Brauns trat in die Fußstapfen des Vaters, um Raketenwissenschaftler zu werden. Stattdessen tauschten sie den Mond gegen die Erde, die weite Leere des Alls gegen die engen Grenzen der Kommunalpolitik und das Rampenlicht gegen das schützende Schweigen der Privatsphäre. Ihre Geschichten sind ein ergreifender Beweis dafür, dass ein großes Erbe nicht durch Nachahmung, sondern durch eine eigene, kraftvolle Definition von Wirkung fortgesetzt werden kann.

Das Familienerbe: Traum und Normalität in „Rocket City USA“
Wernher von Braun war in den Augen der Welt ein „Weltraumheld“, doch für Iris, Margrit und Peter war er schlichtweg „Papa“. Die Familie lebte in Huntsville, Alabama, dem Ort, der schnell den Spitznamen „Rocket City USA“ erhielt und der während des Weltraumwettlaufs zum Epizentrum der amerikanischen Träume wurde. Man stelle sich den immensen Druck vor, in einer Stadt aufzuwachsen, deren Identität untrennbar mit dem Schaffen des eigenen Vaters verbunden war.
Doch die von Brauns führten ein Leben, das von einem tiefen Wunsch nach Normalität geprägt war. Wernher und seine Frau Maria etablierten eine unverhandelbare Regel im Hause: Bildung war oberstes Gebot. Gleichzeitig aber spürten die Kinder die Kehrseite des Genies: die ständige Abwesenheit. Ihr Vater arbeitete oft bis tief in die Nacht, um die Missionen der Weltraumeroberung zu vollenden. Die Sehnsucht der Töchter drückte sich in einem scherzhaften, aber herzzerreißenden Flehen aus: „Papa, gib die Raketen auf! Kauf ein Geschäft, damit du jeden Abend nach Hause zu uns kommen kannst.“
Trotz des Arbeitsstresses fand Wernher von Braun jedoch Wege, dies durch qualitativ hochwertige Momente auszugleichen. Margrit erinnert sich, dass er, wenn er zu Hause war, „voll und ganz für uns da war“. Er nahm sich Zeit für besondere Einzelunternehmungen mit jedem Kind, vom Tauchen und Segeln bis hin zum gemeinsamen Eisessen. Das Bild, das seine Tochter Margrit zeichnet, ist das eines liebenden „Daddy“, der sonntags gerne Spaghetti kochte und mit der Familie am Guntersville Lake grillte. Er war ein Visionär, der stets zu großen Träumen ermutigte – ein Geist, den seine Kinder später auf völlig anderen Feldern beweisen sollten.
Iris: Der Rückzug in die absolute Stille
Die älteste Tochter, Iris Ken von Braun (geboren 1948), erlebte die aufregendsten Jahre der Mondlandungen aus nächster Nähe. Sie saß 1959, gerade zehnjährig, auf dem Rücksitz eines Cabrios bei der Siegesparade nach dem Erfolg der Juno 2 Rakete, sah die jubelnden Menschenmengen und das Konfetti. Sie war eine Augenzeugin der Berühmtheit ihres Vaters.
Doch an dem Punkt, als ihr Vater zu einem gefragten NASA-Star in Fernsehprogrammen wurde, traf Iris eine mutige und unerwartete Entscheidung: Rückzug aus dem Rampenlicht. Sie wählte die absolute Privatsphäre, heiratete (ihr heutiger Name ist Robbins) und gründete eine eigene Familie, fernab von Kameras und Medienrummel. Über Jahrzehnte hinweg hörte die Öffentlichkeit so gut wie nichts von ihr. Dieses Schweigen erzeugte eine geheimnisvolle Mauer, die die Frage aufwarf, ob sie sich bewusst vom umstrittenen Schatten ihres Vaters abkapseln wollte, dessen Vergangenheit als ehemaliges Mitglied der NSDAP stets präsent war.
Iris’ Stille war jedoch keine Ablehnung, sondern ein Schutz. Sie suchte ihre Befreiung und Selbstbestimmung in der Anonymität. Gelegentlich, bei wichtigen Gedenkveranstaltungen zur Ehrung Wernher von Brauns, kehrte sie in ihre Heimatstadt Huntsville zurück. Bei den Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag ihres Vaters im Jahr 2012 trat sie zusammen mit ihren Geschwistern vor die Kameras. Ihr Auftritt war nicht der eines Prominenten, sondern der einer bescheidenen, warmherzigen Frau, die leicht verlegen lächelte.
Zuletzt, im Jahr 2025, kehrte sie zur Entgegennahme des Gründerpreises des Raum- und Raketenzentrums mit ihren Geschwistern zurück. In diesem emotionalen Moment bekräftigte Iris: „In diesem Hanswill werden wir immer zu Hause sein.“ Diese Aussage bewies, dass die Verbindung zum Erbe, der Stolz auf den Vater, der die Menschheit zum Mond brachte, tief im Herzen blieb, auch wenn sie selbst das Rampenlicht gemieden und ihr privates Glück fern der Weltraum-Karriere gesucht hatte.
Margrit: Vom Mars zum Umweltingenieurwesen
Margrit Cesel von Braun (geboren 1952) ist wohl die Tochter, die ihrem Vater in Bezug auf intellektuellen Drang und Pioniergeist am ähnlichsten war. Obwohl sie in einer Umgebung aufwuchs, die von Mondträumen und Raketenmodellen geprägt war, beschloss sie, nicht nach den Sternen zu greifen.
Margrit traf eine bewusste, zutiefst ethisch motivierte Entscheidung: Sie tauschte die Raumfahrt gegen das Umweltingenieurwesen. Sie studierte an mehreren renommierten Universitäten und promovierte 1980. Ihr Weg führte sie nicht zur NASA, sondern zur Erforschung gefährlicher Abfälle und Umweltverschmutzung. Sie wurde eine der ersten Professorinnen an der Ingenieurfakultät der Universität Idaho.
Der tiefere Grund für diese bemerkenswerte Verschiebung vom Kosmos zur Ökologie ist besonders rührend. Margrit nannte zwei Gründe: Erstens ermutigte ihr Vater sie, ihren eigenen Interessen zu folgen und sie nie dazu, seine Branche zu wählen. Zweitens, und das ist der entscheidende Punkt, gerade die Bilder und Filme, die Papas Team aus dem Weltraum von der Erde zurückschickte, inspirierten sie dazu, ihre Karriere dem Schutz der Erde zu widmen. Wernher von Braun eroberte das Universum, aber seine Tochter war entschlossen, unsere fragile, blaue Welt zu retten. Margrit von Braun tauschte somit die Saturn V gegen sauberes Wasser und Raketen gegen Recycling ein – eine Umkehrung, die perfekt den von Braunschen Pioniergeist verkörpert, nur auf das Wohl der Menschheit auf dem Heimatplaneten ausgerichtet.
Bis heute spricht Margrit mit großem Stolz und Liebe über ihren Vater. In einer vielbeachteten Rede im Jahr 2012 betonte sie: „Für andere war er der größte Raketeningenieur. Für mich war er der beste Vater der Welt.“ Sie trägt sein Mantra in die nächste Generation: „Träume und Träume groß.“ Sie setzt diesen Traum um, indem sie eine gemeinnützige Stiftung gründete, die Kinder in Entwicklungsländern vor giftigen Substanzen wie Blei und Quecksilber schützt. Ihre Mission ist die Verbesserung der Welt, auch ohne zum Mond zu fliegen.

Peter: Vom Abenteurer zum königlichen Ritter des Volkes
Der jüngste und einzige Sohn, Peter Konstantin von Braun (geboren 1960), wurde in eine Welt hineingeboren, in der sein Vater bereits nationale Berühmtheit erlangt hatte. Mit nur neun Jahren erlebte er, wie die Saturn V seines Vaters die Apollo-11-Mission zum Mond schickte. Er musste sich in der dritten Klasse der schwierigen Frage stellen: „Mein Vater hat die Mondrakete gebaut.“ Der Druck des berühmten Namens war für ihn von klein auf eine Last.
Nach dem tragischen Tod seines Vaters im Jahr 1977, als Peter erst 17 war, schien dieser Verlust Peter dazu anzuspornen, sein eigenes Erbe fernab der Raumfahrt zu definieren. Er wurde zum humanitären Abenteurer und Entwickler.
In den späten 1960er und 1970er Jahren trieb ihn sein Engagement an ungewöhnliche Orte. Er reiste nach Labrador, Kanada, um der abgelegenen Inuit-Bevölkerung grundlegendes medizinisches Wissen und Erste Hilfe beizubringen. Sein Notfallrettungsprogramm wurde später in der gesamten kanadischen Arktis implementiert. Danach arbeitete er im Oman im Mittleren Osten an einem Projekt zur Blindheitsprävention, das durch einfache vorbeugende Augenheilkunde Hunderten von Menschen das Augenlicht rettete.
Obwohl diese Projekte nichts mit Raketen zu tun hatten, teilten sie die tiefe Gemeinsamkeit mit Wernher von Braun: den Willen, eine große Wirkung zum Wohle der Menschheit zu erzielen.
Für seine weltweiten Beiträge zu Bildungs- und Gesundheitsinitiativen in über 30 Ländern wurde Peter von Braun eine außergewöhnliche Ehre zuteil: Die Königin von England schlug ihn zum Ritter. Er wurde zwar nicht offiziell als „Sir Peter von Braun“ bezeichnet, da er Amerikaner ist, doch die Auszeichnung bestätigte seine beeindruckende Leistung und half ihm, einen unabhängigen Ruf vom Ruhm seines Vaters aufzubauen.
Nach seinen Abenteuern kehrte Peter in die Vereinigten Staaten zurück und engagierte sich in der Kommunalpolitik. Er nutzte seine analytischen Fähigkeiten als Unternehmensberater (unter anderem für McKinsey & Co.) und seine weltweiten Erfahrungen, um sich für die Verbesserung der Schulen einzusetzen. Er kandidierte erfolgreich für den Bildungsausschuss seiner Heimatstadt Green in Connecticut und kämpfte leidenschaftlich für die Förderung der nächsten Generation von Schülern. Peters Mission war nicht der Mond, sondern die Klassenzimmer.
Das wahre Vermächtnis
Die Geschichten von Iris, Margrit und Peter von Braun beweisen, dass der wahre Wert eines Erbes nicht in der Fortsetzung eines Berufes liegt, sondern in der Weitergabe eines Geistes. Obwohl die Kinder eines der größten Raketenpioniere der Welt keine Raketen bauten, trugen sie den unerschütterlichen von Braunschen Pioniergeist und den Willen zur großen Wirkung in sich.
Iris fand ihren Frieden in der Privatsphäre, während sie das Band zur Heimat und zum Stolz auf ihren Vater intakt hielt. Margrit widmete ihre Energie dem Schutz des Heimatplaneten, inspiriert durch die Bilder des Alls. Und Peter, der den Druck des berühmten Namens am stärksten spürte, suchte und fand seinen Sinn in der humanitären Hilfe und der lokalen Politik, womit er sogar königliche Ehren erntete.
Die drei Geschwister versammeln sich heute noch regelmäßig bei Gedenkveranstaltungen in Huntsville, strahlend inmitten der Saturn-V-Halle. Es ist ein stilles, aber kraftvolles Statement: Sie haben die Vergangenheit geehrt und gleichzeitig ihre eigenen, einzigartigen Wege beschritten. Sie sind das lebendige Vermächtnis eines Mannes, der nach den Sternen griff, aber seine größte Karriere in der Rolle des „besten Vaters der Welt“ fand. Ihre Geschichten ermutigen uns alle, den Geist des „Träume und Träume groß“ zu leben – ganz gleich, ob unser Traum uns in den Weltraum oder in den örtlichen Bildungsausschuss führt.