Die Unzerstörbare: Wencke Myhre – Ihr stiller Abschied als Triumph über die tragischen Schatten der Vergangenheit

In einer Welt, die ständig nach neuen, flüchtigen Sternen am Pop-Himmel sucht, gibt es eine Ikone, deren Glanz auch nach sechs Jahrzehnten nicht verblasst ist: Wencke Myhre. Die norwegische Sängerin, die mit ihrer überbordenden Energie und ihrer ansteckenden Lebensfreude das europäische Publikum im Sturm eroberte, steht heute an einem Punkt des Lebens, den man nur als stillen Triumph bezeichnen kann. Entgegen aller sensationalistischen Gerüchte über dramatische Schicksalsschläge vollzieht die Grande Dame des Schlagers einen Abschied – einen Abschied von der Hektik des Ruhms, um sich in Frieden und Dankbarkeit einem wohlverdienten Leben in der Natur zu widmen.

Doch dieser Weg der inneren Ruhe war kein einfacher. Das Leben von Wencke Myhre ist nicht nur eine Aneinanderreihung von Hits wie “Er hat ein knallrotes Gummiboot”, sondern auch eine tief bewegende Geschichte von Widerstandsfähigkeit, persönlicher Tragödie und einem unerschütterlichen Optimismus, der sie zur inoffiziellen Botschafterin nordischer Herzlichkeit machte.

Die Wiege der Musik: Von Oslo in die Welt

Die Geschichte beginnt in Kjelsås, einem Vorort von Oslo, im Jahr 1947. Wenke Synnøve Myhre wuchs in einer Familie auf, in der Musik die Nahrung der Seele war. Ihr Vater, ein Akkordeonspieler, und ihre Mutter, eine Hausfrau mit einer tiefen Liebe zu nordischen Volksmelodien, schufen trotz bescheidener Verhältnisse ein Zuhause voller Lachen und Klänge. In der Nachkriegszeit Norwegens, als die Gesellschaft im Wiederaufbau begriffen war, wurde die junge Wenke ermutigt, an kulturellen Aktivitäten teilzunehmen.

Mit einer klaren Stimme und einer ungebändigten Energie erregte sie schnell Aufsehen. Bereits mit neun Jahren trat sie bei lokalen Veranstaltungen auf. Der eigentliche Wendepunkt kam jedoch mit zwölf Jahren, als sie an einem Jugend-Talentwettbewerb der Zeitung Verdens Gang (VG) im berühmten Chat Noir Theater in Oslo teilnahm. Ihre Wahl fiel auf ein fröhliches Volkslied, und ihre lebendige Darbietung überraschte die Jury. Sie gewann überzeugend und unterschrieb ihren ersten Plattenvertrag bei Egil Monn-Iversen.

Anfang der 1960er Jahre wurde sie schnell zu einer Jugendikone in Norwegen. Lieder wie “Katfor unsere Katze” und “Gimen Cowboylmann gib mir einen Cowboyhemann” wurden zu landesweiten Hits. Ihr Gesangsstil war nicht von überladener Technik geprägt, sondern von Emotion und Aufrichtigkeit, die das Publikum sofort ansprachen.

Wencke beschränkte sich jedoch nicht auf ihre Heimat. Dank ihrer raschen Sprachbegabung erweiterte sie ihren Horizont in den gesamten skandinavischen Raum, sang auf Schwedisch und Dänisch und wurde zu einem nordischen Musikphänomen. Ein früher Höhepunkt war ihre Teilnahme an der nationalen Qualifikationsrunde des Eurovision Song Contests im Jahr 1964 mit dem Lied “La meg være ung” (Lass mich jung sein). Obwohl sie nicht gewann, wurde das Lied, das zur Freiheit und dem Mut, das Leben zu lieben, aufrief, zu einem Symbol des sich wandelnden Zeitgeistes und machte die damals 17-Jährige zum nationalen Idol.

Die Eroberung des deutschen Schlagers

Ihre magnetische Anziehungskraft weckte das Interesse deutscher Musikproduzenten. Der deutsche Markt war das Epizentrum des europäischen Schlagers, und man suchte nach jungen, charismatischen Talenten. Wencke wurde nach Hamburg eingeladen, um deutsche Lieder aufzunehmen. Obwohl sie die Sprache anfangs nicht fließend beherrschte, halfen ihr ihr natürlicher Rhythmus und ihre Aussprache, schnell Fuß zu fassen. Das deutsche Publikum verliebte sich in ihre Stimme und ihre Unschuld.

Ab Mitte der 1960er Jahre war Wencke eine feste Größe in deutschen Fernsehshows. Sie veröffentlichte Hits wie “Biß nicht gleich in jedem Apfel” und “Hey, kennt ihr schon meinen Peter”. Im Jahr 1968 durfte sie Deutschland beim Eurovision Song Contest mit “Ein Hoch der Liebe” vertreten, was ihr einen respektablen sechsten Platz und einen bedeutenden Schritt in ihrer europäischen Karriere einbrachte.

Wencke Myhre etablierte sich als eine der wenigen ausländischen Künstlerinnen, die in Deutschland nachhaltigen Erfolg feierten. Ein Meilenstein war die Veröffentlichung von “Er hat ein knallrotes Gummiboot” im Jahr 1970, das in Deutschland, Österreich und der Schweiz zum Sommerhit avancierte. Die fröhliche Melodie, der witzige Text und Wenckes energisches Image machten das Lied zu einer Ikone der Popkultur.

Ihre Vielseitigkeit beschränkte sich nicht auf die Musik. Wencke war auch in Film und Fernsehen aktiv, oft in der Rolle eines fröhlichen, optimistischen Mädchens. Sie trat in Unterhaltungssendungen wie dem Musikladen und der ZDF Hitparade auf. Ein besonderes Highlight war ihre eigene ZDF-Fernsehsendung Das ist meine Welt im Jahr 1977. Die Sendung vereinte Gesang, Comedy, Sketche und Interviews und zeigte nicht nur ihr musikalisches Talent, sondern auch ihre elegante und witzige Moderationsfähigkeit.

Triumph über den Schatten: Liebe und Verlust

Anfang der 1980er Jahre, als der Schlager dem modernen Pop und Rock Platz machte, passte sich Wencke gekonnt an. Sie integrierte zeitgenössische Popelemente, ohne ihren optimistischen Stil zu verlieren. In dieser Zeit heiratete sie zum zweiten Mal den deutschen Regisseur Michael Pfleger. Pfleger unterstützte sie maßgeblich in ihrer Fernsehkarriere, und das Paar produzierte gemeinsam hochinnovative Musikprogramme.

Doch das Leben der strahlenden Künstlerin war nicht vor Tragödien gefeit. Nach dem Tod von Michael Pfleger in den 1990er Jahren zog sich Wencke vorübergehend von der Bühne zurück. Dieser persönliche Schicksalsschlag hätte viele zerbrechen lassen, doch Wencke kehrte mit Projekten, die sich um Erinnerung und Nostalgie drehten, zur Musik zurück. Sie organisierte Auftritte mit Neuinterpretationen ihrer alten Hits und trat als Ehrengast im deutschen und norwegischen Fernsehen auf. Ihre dritte Ehe mit dem norwegischen Geschäftsmann Arthur Buchardt im Jahr 1995 hielt jedoch nur wenige Jahre.

Diese Phasen persönlicher Umbrüche, die auch Krankheiten und zeitweiliges Abflauen der Popularität umfassten, sind ein zentraler Teil ihres Vermächtnisses. Wencke blieb stets positiv und engagiert, ein lebendiges Zeugnis von Willenskraft und Durchhaltevermögen. Ihre Geschichte, oft in Frauenzeitschriften als Beispiel für Lebensmut präsentiert, begeisterte Zehntausende von Zuschauern weit über Norwegen hinaus.

Die Botschafterin der Menschlichkeit

Wencke Myhres Beitrag zur Gesellschaft geht weit über ihre Kunst hinaus. Ihre über 60-jährige Karriere ist untrennbar mit einem tiefgreifenden Engagement für soziale und humanitäre Aktivitäten verbunden.

Die Brückenbauerin zwischen Kulturen: In den 1960er und 1970er Jahren, als die kulturellen Grenzen in Europa noch weit auseinander lagen, spielte Wencke eine besondere Rolle bei der Verbindung der norwegischen Kultur mit Kontinentaleuropa. Es war selten, dass ein norwegischer Künstler in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Schweden gleichermaßen berühmt war. Ihre Präsenz in der deutschen Unterhaltungsindustrie und ihre Fähigkeit, in mehreren Sprachen zu singen, weckten das Interesse des mitteleuropäischen Publikums an der nordischen Kultur. Kritiker nennen sie nicht umsonst die inoffizielle norwegische Musikbotschafterin. Mit ihrem natürlichen Charme und ihrer Aufrichtigkeit trug sie dazu bei, das Bild Norwegens als kaltes Land abzubauen und das Bild norwegischer Frauen freundlicher und herzlicher zu gestalten.

Das Herz für Kinder und Ältere: Seit den späten 1970er Jahren, als sie in Deutschland bereits ein großer Star war, nutzte Wencke ihre Bekanntheit konsequent für wohltätige Zwecke. Sie trat regelmäßig in Fernsehshows auf, um Spenden für arme Kinder, Krebspatienten und ältere Menschen zu sammeln. Sie arbeitete eng mit der deutschen Wohltätigkeitsorganisation Ein Herz für Kinder zusammen. Auch in Norwegen engagierte sie sich intensiv, beispielsweise bei Weihnachtsbenefizkonzerten. Besonders rührend sind die Erinnerungen daran, dass sie in den 1980er und 1990er Jahren oft unangekündigt in Pflegeheimen in Oslo und Bergen sang, um den älteren Menschen Freude zu schenken. “Wenn sie lächelten und mitsangen, war das für mich die schönste Belohnung,” sagte sie einst.

Vorbild für eine neue Generation: Mit zunehmendem Alter engagierte sich Wencke Myhre auch dafür, die jüngere Generation für die Kunst zu begeistern. Sie trat mit Teenagern auf, um ihnen durch Musik zu neuem Selbstvertrauen zu verhelfen, und arbeitete in Norwegen als Beraterin für verschiedene Kunstvermittlungsprojekte. Sie glaubt zutiefst daran, dass Musik Menschen heilen und verbinden kann, und dass niemand zu alt oder zu jung ist, um eine Melodie zu lieben.

Darüber hinaus setzte sich Wencke Myhre aktiv für die Gleichstellung der Geschlechter in Kunst und Gesellschaft ein. In einer Zeit, in der Sängerinnen oft Stereotypen unterworfen waren, wagte sie es, sich natürlich und freudig auszudrücken. Das Bild einer unabhängigen Frau, die Karriere im Ausland machte, sich um ihre Familie kümmerte und gleichzeitig künstlerisch tätig war, wurde zu einem positiven Symbol für Tausende europäischer Frauen. Ihre klare Botschaft, dass Frauen sich nicht zwischen Arbeit und Liebe, Karriere und Familie entscheiden müssen, machte sie zu einem bedeutenden Vorbild für die nachfolgende Künstlergeneration.

Der Triumph der Dankbarkeit

Trotz aller Höhen und Tiefen, trotz des Todes ihres Mannes und anderer persönlicher Herausforderungen, ist Wencke Myhre ein lebendiges Beispiel für Optimismus und Menschlichkeit geblieben. Die Ausstellung Wenkes Welten im Rockheim Nationalmuseum in Trondheim im Jahr 2011 würdigte nicht nur ihre Kunst, sondern auch ihren sozialen und kulturellen Beitrag und festigte ihren Status als transnationale Kulturikone.

Heute, mit über 70 Jahren, steht Wencke Myhre immer noch aktiv auf der Bühne, wenn auch seltener. Sie lebt hauptsächlich mit ihrem langjährigen Partner, dem schwedischen Musiker, Arrangeur und Dirigenten Anders Ellias, auf der Insel Nesøya in der Nähe von Oslo.

Ihr aktueller Lebensabschnitt lässt sich mit zwei Worten zusammenfassen: Frieden und Dankbarkeit. Ihr Haus liegt inmitten der Natur mit Blick auf das Meer. Sie züchtet Blumen, pflegt einen kleinen Garten und hält sich mit Sport und Gesangsübungen fit. Nach ihren arbeitsreichen Jahren genießt sie jeden Moment, spricht mit ihren Kindern und Enkeln und tritt manchmal noch auf die Bühne, nicht mehr für Ruhm, sondern aus purer Freude.

Sie hat sich dank eines moderaten Lebensstils eine gute körperliche Verfassung bewahrt – gesunde Ernährung, wenig Alkohol und Zucker, und regelmäßiges Training, denn, wie sie sagt: “Die Stimme ist ein Muskel, und wenn man ihn nicht trainiert, wird er schwach”.

Ihr „Abschied“ ist somit kein tragisches Ende, sondern der leise, strahlende Triumph eines Lebens, das mit Liebe, Verlust, unerschütterlichem Engagement und unendlicher Freude gefüllt war. Wencke Myhre sieht sich selbst nie als einen alten Star, sondern einfach als eine Frau, die Musik liebt und das Glück hatte, diese Leidenschaft ihr ganzes Leben lang zu leben. Ihr Vermächtnis ist nicht nur musikalisch, sondern menschlich: eine Botschaft der Widerstandsfähigkeit, die uns lehrt, dass selbst die größten Schatten der Vergangenheit dem strahlenden Licht der Dankbarkeit weichen müssen.

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