Das mysteriöse Fehlen der Rolling Stones bei Charlie Watts’ Beerdigung: Eine Geschichte von Logistik, Loyalität und einem letzten Wunsch

Es ist ein Bild, das sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hat: die Rolling Stones, eine Band, die über sechs Jahrzehnte hinweg als unzertrennliche Einheit galt. Doch als Charlie Watts, der stoische Herzschlag und die Seele der Band, im August 2021 im Alter von 80 Jahren starb, fehlten ausgerechnet die verbleibenden Ikonen Mick Jagger, Keith Richards und Ronnie Wood bei seiner Beerdigung. Ein Schock für Fans und Medien gleichermaßen, der die Frage aufwarf: War es ein Akt der Respektlosigkeit oder verbarg sich dahinter eine tiefere, vielleicht sogar ergreifendere Loyalität? Die Antwort ist komplex und erzählt eine Geschichte von unerbittlichem Tournee-Druck, logistischen Albträumen und dem stillen Wunsch eines Mannes, der Zeit seines Lebens das Spektakel mied.
Die letzten Tage von Charlie Watts waren, wie so vieles in seinem Leben, von einer unaufgeregten Würde geprägt. Anfang August 2021 wurde bekannt, dass er wegen eines nicht näher bezeichneten medizinischen Eingriffs, vermutlich am Herzen, nicht an der bevorstehenden “No Filter Tour” der Stones in den USA teilnehmen konnte. Für die Band war dies beispiellos. Über sechs Jahrzehnte hinweg hatte Charlie, trotz Krebs, Knochenbrüchen und dem unerbittlichen Rhythmus ständiger Tourneen, nie eine Show verpasst. Seine Erklärung war typisch Charlie: trocken, bescheiden und mit einem Hauch von Humor. “Diesmal war mein Timing ein bisschen daneben”, scherzte er und bat seinen engen Freund Steve Jordan, für ihn einzuspringen. Es klang nach einer vorübergehenden Pause, einer kurzen Unterbrechung, bis Charlie wieder hinter dem Schlagzeug sitzen würde. Selbst innerhalb der Band glaubte niemand, dass dies das Ende sein würde. Doch nur drei Wochen später, am 24. August, starb Charlie Watts friedlich in einem Londoner Krankenhaus, umgeben von seiner Familie. Sein Abschied war so schnell, so unauffällig, wie er selbst gelebt hatte – im Schatten des Rampenlichts, das Jagger und Richards so bereitwillig suchten.
Die Trauerfeier fand in einem kleinen Dorf in Devon statt, fernab von Paparazzi und Schlagzeilen, nur im Kreis der Familie und engster Freunde. Doch das Fehlen der Band, der Männer, mit denen Charlie fast 60 Jahre seines Lebens geteilt hatte, erschütterte die Welt. Mick Jagger, Keith Richards und Ronnie Wood befanden sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Boston, vertieft in die Endproben für den lange verschobenen US-Teil der “No Filter Tour”. Für Fans, die die Stones immer als unzertrennlich wahrgenommen hatten, war es ein Schock, fast wie ein Verrat. Doch die Gründe für ihre Abwesenheit lagen tief in den Details dieses kritischen Moments.
Ende August 2021 befanden sich die Stones bereits mitten in den finalen Vorbereitungen für die Tour, die am 26. September in St. Louis beginnen sollte. Diese Show war bereits einmal wegen der Pandemie verschoben worden. Ein riesiger Tourneeapparat war in Gang gesetzt worden: Lastwagen, Bühnen, Gewerkschaften und Hunderte von Crew-Mitgliedern waren fest gebucht. Jeder Probentag, jede Stunde Verspätung, bedeutete enorme Kosten, Vertragsstrafen und eine Kettenreaktion von Absagen, die Tausende von Jobs und die gesamte Tournee gefährdet hätte. Für die drei Hauptmitglieder, mitten in dieser Countdown-Phase, über den Atlantik zu fliegen, wäre nicht nur eine sentimentale Entscheidung gewesen, sondern eine logistische Explosion. Das Risiko, die Tour zu gefährden, war untragbar, zumal Fans, die seit 2019 auf ihre Tickets warteten, die Leidtragenden gewesen wären. Zeitgenössische Berichte betonten genau diesen Punkt: Die Band war in Boston und konnte nicht nach Devon für eine kleine, private Beisetzung.
Hinzu kamen die Reisebeschränkungen jener Zeit. Obwohl England im August die Regeln für vollständig Geimpfte gelockert hatte, waren Tests, Fristen und Dokumentationen weiterhin Pflicht. Ein einziger positiver Befund hätte sofortige Isolation bedeutet. Für eine Stadionproduktion mit einer strengen “Gesundheits-Bubble” war ein solches Risiko schlicht untragbar. Auch die Rückreise war heikel. Die Band hatte eigene Gesundheitsprotokolle, und das Risiko, eine riesige Crew während der Delta-Welle durch Flughäfen zu schicken, war zu groß. Selbst “entspannte” Regeln waren nicht entspannt genug für ein so gigantisches Projekt kurz vor dem Start.

Und schließlich war da noch Charlie Watts selbst. Seine Familie hatte sich bewusst für eine stille Beerdigung in Devon entschieden. Die Band wusste, dass das Erscheinen von Mick und Keith die private Zeremonie sofort in ein globales Medienspektakel verwandelt hätte. Charlie verabscheute Aufhebens. Ihn im Stillen zu verabschieden, war keine Abwesenheit von Liebe; es war der letzte Akt der Treue gegenüber einem Mann, der Würde dem Rummel vorzog.
Obwohl sie nicht bei seiner Beisetzung anwesend sein konnten, hallte der Schock über Charlie Watts’ Tod sofort durch die Rolling Stones. Wenige Stunden später brach Mick Jagger sein Schweigen mit einem einzigen Bild: Charlie mitten im Lachen, die Augen voller Falten – ein Foto, das mehr sagte als jede Bildunterschrift. Keith Richards wählte Symbole statt Worte: ein leeres Schlagzeug mit einem Zettel darauf: “Geschlossen”. Ein schonungsloses Eingeständnis, dass der Mann, der den Stones fast 60 Jahre lang den Puls gegeben hatte, nie wieder dahinter sitzen würde. Ronnie Woods Tribut war persönlicher; er beschrieb Charlie als seinen “Bruder und Zwillingsbruder im Sternzeichen”, ein Spiegel der tiefen Kameradschaft, die weit über die Bühne hinausging.
Ihre späteren privaten Worte zeichneten ein noch deutlicheres Bild des Verlusts. Jagger sagte dem “Rolling Stone Magazin”, Charlie sei nicht nur ein Schlagzeuger gewesen, sondern “der Fels, um den die Band aufgebaut worden sei”, die stille Kraft, die das Chaos davor bewahrte, in den Abgrund zu kippen. Richards, dessen Verbindung zu Charlie bis in die Jugendjahre reichte, erinnerte sich an den verborgenen Schalk des Drummers: “Wenn du den richtigen Punkt getroffen hast, hörte er nicht mehr auf zu lachen, und es war das Lustigste auf der Welt. Er hatte einen unglaublichen Humor, aber er behielt ihn für sich, bis man ihn zum Funkeln brachte.” Für Richards war Charlies Fehlen körperlich spürbar: “Charlie war mein Bett”, gestand er. “Ich konnte mich darauf legen, und ich wusste, es würde immer noch schaukeln. Das hatte ich, seit ich 19 war. Ich habe nie daran gezweifelt, ich habe nie darüber nachgedacht, plötzlich dieses Gesicht nicht mehr zu haben – das ist seltsam.” Die Worte enthüllten eine Wahrheit, die Fans längst gespürt hatten: Das legendäre Selbstbewusstsein der Stones beruhte auf Charlies Beständigkeit, auf seinem Swing, seinem Verzicht auf Übertreibung.
Da sie ihn nicht am Grab ehren konnten, verwandelten die Stones ihre Bühne in ein Denkmal. Als die “No Filter Tour” am 26. September 2021 in St. Louis fortgesetzt wurde, erloschen die Lichter, und die Riesenleinwände füllten sich mit Bildern von Charlie: Schwarz-Weiß-Clips aus den 1960er Jahren, Nahaufnahmen seiner eleganten Hände auf der Snare, das schelmische Lächeln in seinen seltenen Momenten von Showmanship. Ein einzelner Trommelschlag hallte durch das Stadion, und für einen Augenblick saßen Zehntausende in ehrfürchtiger Stille, bevor ein Schrei von Trauer und Applaus ausbrach. Fans weinten offen; sie wussten, sie erlebten etwas Historisches und zugleich Herzzerreißendes: das erste Rolling Stones Konzert ohne Charlie Watts. Jagger, sichtbar bewegt, sprach zum Publikum: “Dies ist unsere erste Tournee überhaupt ohne ihn. Wir werden Charlie so sehr vermissen – auf und abseits der Bühne.” Neben ihm griff Richards nach seiner Hand, eine Geste der Solidarität. An diesem Abend widmeten sie “Tumbling Dice” Charlie. Von da an begann jedes Konzert mit seiner Präsenz im Set. Das legendäre Zungen- und Lippenlogo der Band erschien in Schwarz-Weiß als Symbol der Trauer, und das Videomontage-Ritual zu Charlies Ehren wurde zu einer Beschwörung: Ein Herzschlag, überlebensgroß projiziert, der sicherstellte, dass er auch im Tod Zentrum der Musik blieb.
Die Ehrungen endeten nicht an der Bühnenkante. Interviews, Dokumentationen und offizielle Erklärungen kehrten immer wieder zum gleichen Refrain zurück: Charlie war der Anker, der leiseste Mann im Raum, der dennoch die Rolling Stones zusammenhielt, der Fels, der niemals wankte.
Charlie Watts’ Platz bei den Stones war niemals nur das Schlagzeugspielen. Geboren 1941 in Kingsbury, Nordwest-London, wuchs er in bescheidenen Verhältnissen auf. Anders als viele seiner Zeitgenossen, die zuerst den Rock ‘n’ Roll entdeckten, galt Charlies erste Liebe dem Jazz. Besessen hörte er Platten von Duke Ellington, Miles Davis und vergötterte den Saxophonisten Charlie Parker. Als Teenager zeichnete er Porträts von Parker, während er dessen Soli hörte – eine Verbindung von Kunst und seiner wachsenden Faszination für Rhythmus. Ende der 1950er Jahre begann er ernsthaft mit dem Schlagzeugspiel, übte zu den feinen Besenarbeiten von Chico Hamilton und Max Roach. Anfang der 1960er Jahre war Watts bereits eine bekannte Figur in der Londoner Jazz- und R&B-Clubszene. Er spielte bei Alexis Corners Blues Incorporated, einer der wichtigsten Keimzellen der britischen Rockmusik. Dort kreuzte er die Wege von jungen Musikern wie Mick Jagger, Brian Jones und Keith Richards.
Als diese ihn baten, ihrer neuen Band, den Rolling Stones, beizutreten, lehnte er zunächst ab. Er hatte einen sicheren Job als Grafikdesigner, während die Stones zu diesem Zeitpunkt nur eine kämpfende Blues-Coverband ohne verlässliches Einkommen waren. Für Watts schien es töricht, Sicherheit für eine unbewiesene Truppe aufzugeben. Doch Jagger und Richards gaben nicht auf; sie waren überzeugt, sein Swing sei das fehlende Puzzleteil. Schließlich, im Januar 1963, nach monatelangem Zureden und dem Versprechen konstanterer Arbeit, sagte Watts zu. Sein erstes Konzert als offizielles Mitglied fand am 2. Februar 1963 im Ealing Club statt. Für die Stones war es ein Wendepunkt. Watts’ Schlagzeugspiel gab der Band endlich das, was ihr bis dahin gefehlt hatte: einen beständigen Herzschlag. Von diesem Moment an definierte sein Rhythmus die Stones.
Anders als die explosiven, theatralischen Stile seiner Zeitgenossen – Keith Moon von The Who oder John Bonham von Led Zeppelin – spielte Watts zurückhaltend. Er verzichtete fast immer auf Soli oder Showeinlagen und konzentrierte sich stattdessen auf Präzision, Timing und das subtile Wechselspiel, das aus seinem Jazz-Hintergrund stammte. Sein Swing gab den Stones ihren typischen “Swagger”; er erlaubte es Jaggers Gesang und Richards’ Riffs, über einem Groove zu tanzen, der niemals ins Wanken geriet. Richards sagte später: “Charlie gibt mir die Freiheit zu fliegen” – ein Eingeständnis, dass sein eigenes gewagtes Gitarrenspiel auf Watts’ unerschütterlichem Fundament beruhte.
Doch bei aller Beständigkeit hatte Charlies Weg auch Schattenseiten. Mitte der 1980er Jahre, nach zwei Jahrzehnten globalen Erfolges, rutschte er in Alkoholismus und Heroinkonsum ab. Anders als viele seiner Kollegen tat er dies nicht aus Lust am Exzess, sondern, wie er später zugab, als fehlgeleiteten Versuch, mit wachsenden persönlichen und familiären Belastungen fertigzuwerden. “Ich wurde 1983 ein völlig anderer Mensch”, gestand er Jahre später. “Ich hätte beinahe meine Frau und alles andere wegen meines Verhaltens verloren.” Seine Ehe, die schon vor dem Ruhm der Stones bestand, stand am Abgrund. Doch 1986, mit ihrer Unterstützung, kämpfte sich Watts zurück, überwand seine Sucht und hörte auch mit dem Rauchen auf. Seine Belastbarkeit wurde 2004 erneut geprüft, als bei ihm Kehlkopfkrebs diagnostiziert wurde. Er unterzog sich monatelanger harter Strahlentherapie, doch seine Bandkollegen hielten zu ihm. Mick Jagger versprach, die Stones würden nicht aufnehmen, bis Charlie wieder bereit sei, und sie hielten Wort. Nach seiner Genesung gingen sie ins Studio, um “A Bigger Bang” aufzunehmen, und er begab sich sogar sofort danach auf eine zweijährige Welttournee. Er witzelte düster über sein Muster: “Es scheint, dass ich immer krank werde, wenn wir aufhören. Vielleicht sollte ich einfach weitermachen.” Und genau das tat er. Durch die 2000er und 2010er Jahre blieb er eine konstante Präsenz auf der Bühne, stets im maßgeschneiderten Anzug, seine Gelassenheit unerschütterlich, egal wie wild das Chaos um ihn herum tobte.
Charlie Watts lebte bewusst im Kontrast zur Mythologie des Rock ‘n’ Roll. Während Mick Jagger das Image des flamboyanten Frontmanns pflegte und Keith Richards sich in die Rolle des unantastbaren Outlaws fügte, hielt Charlie stets Distanz. 1964 heiratete er Shirley Ann Shepherd, noch bevor die Stones zu einer weltweiten Größe wurden, und blieb ihr bis zu seinem Tod, fast sechs Jahrzehnte später, treu. Ihre Ehe war eine Anomalie in der Welt, in der er lebte – eine Beziehung, die auf Privatsphäre und Loyalität beruhte, nicht auf Schlagzeilen und Skandalen. Gemeinsam hatten sie eine Tochter, Serafina, geboren 1968, die ihm später eine Enkelin schenkte, Charlotte. Ihr Hauptwohnsitz befand sich in Devon auf Halton Manor, wo er ein Refugium fernab des Chaos schuf. Das Anwesen wurde nicht nur zum Zuhause seiner Familie, sondern auch zu einer Stätte seiner großen Leidenschaft: einer Zucht für arabische Pferde. Er investierte enorme Zeit und Sorgfalt in die Zucht und erarbeitete sich in Reitsportkreisen einen Ruf für Seriosität und Fachkenntnis. Diese Hingabe war kein Prestigeprojekt; sie spiegelte vielmehr seine lebenslange Liebe zu Struktur, Disziplin und Schönheit wider – Werte, die auch sein Schlagzeugspiel prägten.
Seine privaten Interessen reichten noch weiter. Trotz jahrzehntelanger Tourneen lernte Charlie nie Auto zu fahren. Anders als seine Bandkollegen, die Luxuskarossen sammelten und präsentierten, bewunderte er Fahrzeuge wegen ihrer Ingenieurskunst und ihres Designs. Für ihn waren sie Objekte zum Studieren, wie Architektur oder Skulptur, nicht um sie über Autobahnen zu jagen. Dasselbe Auge fürs Detail prägte eine weitere lebenslange Gewohnheit: das Zeichnen. Charlie war ausgebildeter Grafiker, hatte an der Harrow Art School studiert, bevor er zu den Stones stieß, und er gab diesen Teil von sich nie auf. Auf Tour hatte er oft Skizzenblöcke dabei, die er mit Zeichnungen von Hotelzimmern füllte. Er sagte einmal, er habe nahezu jedes Zimmer festgehalten, in dem er auf Reisen geschlafen habe – eine stille Dokumentation, die in scharfem Kontrast zu den Exzessen um ihn herumstand. Auch das Sammeln wurde ein zentraler Bestandteil seines Lebens. Seine Bibliothek enthielt seltene Bücher, darunter eine signierte Erstausgabe von “The Great Gatsby”. Er war ein ernsthafter Student des Cricketsports, sammelte Memorabilien und behandelte den Sport mit derselben Ehrfurcht, die er auch dem Jazz entgegenbrachte. Seine Neugier reichte zudem in Geschichte und Kunst. Sein Anwesen umfasste sogar eine maßstabsgetreue Nachbildung des Teppichs von Bayeux, die er schlicht aus Bewunderung für das Handwerk erwarb, weil er von schönen, bedeutungsvollen Dingen umgeben sein wollte. In all diesen Leidenschaften offenbarte sich Charlie als weit mehr als ein Rockstar; er war ein Connaisseur, ein Mann kultivierter Geschmäcker, der Tiefe suchte, nicht Spektakel.
Als Charlie Watts starb, reichte der Verlust weit über den inneren Kreis der Rolling Stones hinaus. Aus der gesamten Musikwelt strömten Nachrufe, die die Hochachtung widerspiegelten, in der er stand. Paul McCartney nannte ihn “A lovely guy, steady as a rock” – eine Formulierung, die sowohl seine Persönlichkeit als auch das Fundament einfing, das er auf der Bühne bildete. Ringo Starr brachte es schlicht und wahr auf den Punkt: “Will miss you Charlie.” Elton John, der ihn seit den frühen Tagen der Londoner Musikszene kannte, erinnerte sich an ihn als “den stilvollsten aller Männer und so brillante Gesellschaft.” Kollegen sprachen weniger über Extravaganz als über Integrität. Brian Wilson von den Beach Boys zeigte sich schockiert und traurig, bezeichnete Watts als einen großartigen Schlagzeuger. Brian May von Queen nannte ihn den “nettesten Gentleman, den man je treffen konnte, eine Säule der Stärke für die Rolling Stones.” Musiker so unterschiedlich wie Lenny Kravitz, Bryan Adams und Guns N’ Roses’ Slash würdigten seinen Einfluss, während Jazzspieler ihn dafür bewunderten, wie er den Swing in den Rock trug. Von Stadion-Ikonen bis hin zu Drummern kleiner Clubs herrschte Einigkeit: Charlie Watts war nicht nur der Taktgeber der Rolling Stones; er war der Maßstab, an dem sich viele orientierten.
Innerhalb der Band war die Reaktion noch intimer. Bill Wyman, der ehemalige Bassist, der 1993 ausgestiegen war, gab zu, er habe angenommen, die Band würde mit Charlies Tod enden. “Als Charlie ging, dachte ich, sie würden Schluss machen. Ich dachte nicht, dass man ihn ersetzen könnte”, sagte er – ein Hinweis auf die stille Ausstrahlung, die Watts unersetzlich machte. Keith Richards erklärte später, dass das Weitermachen kein Akt der Verdrängung, sondern des Respekts gewesen sei. “Charlie wollte, dass wir auf Tour gehen. Er wollte, dass die Tour stattfindet”, erinnerte sich Richards an ihre letzten Gespräche. Auch Mick Jagger betonte, dass Watts seinen Segen für Steve Jordan gegeben hatte, den Schlagzeuger, der für ihn einsprang. In diesem Sinne war das Fortführen keine Untreue, sondern die Erfüllung von Charlies Wunsch.
Die Tiefe seines Vermächtnisses wurde 2023 noch klarer, als mit “Hackney Diamonds” das erste Studioalbum der Stones seit 18 Jahren erschien. Unter den Songs befanden sich zwei Titel, “Mess It Up” und “Live by the Sword”, auf denen noch Charlie zu hören war, aufgenommen in früheren Sessions vor seinem Tod. Diese Tracks erinnerten daran, wie unersetzbar er war: der konstante Swing, die Leichtigkeit seines Spiels, die den Stones ihren unverkennbaren Groove verlieh – lebendig, obwohl er nicht mehr da war. Im Studio wurde seine Präsenz fast gespenstisch, ein geisterhafter Herzschlag, verwoben in den Stoff neuer Musik. Fans und Kritiker empfanden es als Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart, als ob Charlie selbst ein letztes Geschenk hinterlassen hätte. Für die Stones war der Klang seines Schlagzeugs mehr als nur Rhythmus; er war Kontinuität. Für die Welt war er die Gewissheit, dass der Mann, der die Band fast sechzig Jahre lang zusammenhielt, sie auch in Abwesenheit noch verankern würde. Sein Tod markierte das Ende einer Ära, doch sein Rhythmus, festgehalten auf Vinyl und in Erinnerung, lebt weiter. Die Rolling Stones waren nicht persönlich anwesend bei seiner Beerdigung, doch auf ihre Weise hörten sie nie auf, sich zu verabschieden – jede Hommage auf der Bühne, jede geteilte Erinnerung, jeder Schlag, der noch seine Handschrift trug, wurde Teil dieses Abschieds.