Abschied von einer Film-Ikone
“Die Unzähmbare”
“La Cardinale” war eine der großen Diven des italienischen Films. Sie führte ein bewegtes Leben, das nun nach 87 Jahren endete.
“Die schönste italienische Erfindung nach Spaghetti” nannte sie ihr Schauspielpartner David Niven aus dem Streifen “Der rosarote Panther” (1963) – Claudia Cardinale, die Frau mit dem fulminanten Namen, wurde mit unzähligen Komplimenten überhäuft. In Maghreb geboren und später in Frankreich zu Hause, fühlte sich immer als Italienerin – als Süditalienerin wohlgemerkt. Auch das Mittelmeerland schmückte sich gern mit dem “unzähmbaren” Kinostar, der sich nach einer aufregenden Filmkarriere als Aktivistin für Frauenrechte engagierte.
“La Cardinale”, wie sie in Italien oft nur genannt wird, blickt auf eine berauschende Karriere und ein bewegtes Leben zurück. Anders als viele Kolleginnen weigerte sie sich, den Weg der widerwillig alternden Divas zu gehen: Sie schaffte das Altern in Würde und stellte ihr unverwechselbares Gesicht in all seiner Natürlichkeit, mit Falten und Spuren des Lebens stolz zur Schau.
Am Dienstag starb sie im Alter von 87 Jahren im Kreise ihrer Kinder in der französischen Stadt Nemours nahe Paris, wo sie lebte. “Sie hinterlässt uns das Vermächtnis einer freien und inspirierten Frau – als Frau wie auch als Künstlerin”, schrieb ihr Agent Laurent Savry in einer Mitteilung.
Auszeichnungen wie der Goldene Löwe der Filmfestspiele von Venedig und der Goldene Bär der Berlinale bezeugen ihr schauspielerisches Schaffen. Im Alter blieb es bis auf einige wenige Produktionen ruhig um Cardinale. Ganz ungewohnt sah man sie dort nicht mehr als Vamp und Sexsymbol, sondern entweder als Matriarchin oder Großmutter. In der Netflix-Produktion “Rogue City” (2020) und dem anspruchsvollen Drama “The Island of Forgiveness” (2022), das das Leben eines Tunesiers italienischer Abstammung behandelt, spielte sie zuletzt Nebenrollen.
Wie alles begann
Cardinale hatte eine starke Verbindung zu Tunesien. Sie kam 1938 in Tunis als Tochter sizilianischer Auswanderer zur Welt und wuchs dreisprachig – mit Französisch, Arabisch und Sizilianisch – auf. Ihre Kindheit in dem nordafrikanischen Land beschrieb die Filmdiva einmal als “goldenes Zeitalter” voller “magischer Momente”. In ihrer alten Heimat ist man stolz: La Goulette, ein Vorort Tunis’, in dem Cardinale geboren wurde, benannte 2022 feierlich eine Straße nach ihr – sie war damals höchstpersönlich vor Ort. Mit 17 Jahren wurde sie zur “Schönsten Italienerin von Tunis” gewählt und gewann eine Reise zum Filmfest in Venedig. Dort zog sie die Aufmerksamkeit gleich mehrerer Regisseure auf sich.
Cardinale reüssierte später in den Produktionen hoch angesehener Koryphäen des italienischen Films und erlangte mit ihren Rollen internationale Bekanntheit. In Federico Fellinis Filmdrama “8 1/2” von 1963 taucht sie weiß gekleidet und tänzelnd zwischen Bäumen als Muse auf und landete an der Seite von Marcello Mastroianni einen ihrer ersten Erfolge.
Mit Luchino Viscontis “Der Leopard” (1963) an der Seite Alain Delons und Burt Lancasters sowie als Prinzessin Dala in der Krimi-Komödie “Der rosarote Panther” (1963) wurde die Italienerin weltbekannt. Insbesondere dank Sergio Leones Italo-Western “Spiel mir das Lied vom Tod” (1968) sicherte sie sich ihren Platz im Dreigestirn der italienischen Filmdiven der Sechziger- und Siebzigerjahre.
Cardinales Name wird in einem Atemzug mit den zwei anderen Ikonen des italienischen Kinos genannt: Sophia Loren und Gina Lollobrigida. Italiens Kulturminister würdigte sie als “eine der größten italienischen Schauspielerinnen aller Zeiten”.
Sie schätzte stets Freiheit und Unabhängigkeit, im Privaten wie im Beruflichen. Die alten Zeiten waren anders – als junge, hübsche Frau musste sie dafür hart kämpfen. “Die Unzähmbare” wird sie deswegen oft genannt. Ein Buch über ihr Leben, das ihre Tochter Claudia Squitieri herausgegeben hatte, heißt genau so.
“Claudias Unzähmbarkeit ist ein roter Faden, der sich durch ihr ganzes Leben zieht. Sie findet sich in den Entscheidungen ihres Lebens ebenso wie in ihren Rollen wieder”, schreibt die Tochter, mit der Cardinale zusammen im französischen Fontainebleau wohnte, im Vorwort des Buches. Ihr langjähriger Lebenspartner Pasquale Squitieri nannte sie wegen ihres Temperaments nach Angaben ihrer Tochter “Wind des Südens”.
Die Männer bekamen Cardinales unbändigen Charakter zu spüren. Einigen Leinwand-Casanovas, die ihr Avancen machten, zeigte sie die kalte Schulter. Von Marlon Brando bis Alain Delon versuchten es viele, aber sie habe alle abgewiesen, erzählt Cardinale selbst. Selbstbestimmung und das Eintreten für Frauenrechte waren ihr immer wichtig.
Nach einer Beziehung mit dem Produzenten Franco Cristaldi von 1966 bis 1975 gründete sie mit dem Regisseur Pasquale Squitieri eine Familie und bekam mit ihm ihre Tochter Claudia. Squitieri, den Cardinale rückblickend als ihre “einzige Liebe” bezeichnete, drehte mit ihr zwischen 1974 und 2011 zahlreiche Spielfilme.
Claudia Cardinale: Die schönsten Bilder der Filmdiva


Claudia Cardinale und ihr Engagement für Frauen
Doch beruflich konnte sie zu Beginn ihrer Karriere nicht unabhängig und selbstbestimmt sein. Als junge und unerfahrene Frau war sie von ihrem damaligen Manager in harte und teils erniedrigende Verträge eingebunden worden; sie durfte beispielsweise nicht heiraten oder ihr Gewicht zu stark verändern. Gerade deswegen setzte sie sich kämpferischer denn je für die Gleichstellung von Mann und Frau ein.
Anders als manche Kolleginnen von damals unterstützte Cardinale Bewegungen wie #MeToo oder “Time’s Up” zur Bekämpfung von sexuellem Missbrauch und Belästigung. Ihr Engagement für Frauen sei eine Selbstverständlichkeit. Spätestens als Unesco-Botschafterin habe sie das Grauen gesehen, das anderen Frauen angetan wird, sagte sie selbst.
Als junge Frau wurde sie vergewaltigt und schwanger von ihrem Peiniger. Die Schwangerschaft verbarg sie jedoch und drehte weiter Filme, bis sie ihren Sohn heimlich in London zur Welt brachte. Sie gab ihn in die Obhut ihrer Familie – Patrick wurde als Cardinales kleiner Bruder ausgegeben, erst nach sieben Jahren enthüllte sie das Geheimnis um ihren Sohn.
Um “CC” war es zwar zuletzt auf der Leinwand immer ruhiger geworden, doch mehr denn je glänzte sie als Kämpferin für Frauenrechte. In einem Interview gab sie jungen Menschen einen Rat mit auf den Weg: “Es sind unsichere Zeiten für uns alle. Jungen Menschen, insbesondere Mädchen, gebe ich nur einen Rat: Schützt eure Würde. Immer, jederzeit, unter allen Umständen.”