Nachruf auf Laura Dahlmeier: Für immer in den Bergen
Biathlon-Olympiasiegerin Laura Dahlmeier wurde nach dem schweren Bergunfall in Pakistan am Mittwoch tot aufgefunden.© Michael Kappeler/dpa | Michael Kappeler
Islamabad/Essen. Laura Dahlmeier war Biathlon-Olympiasiegerin, aber nur in den Bergen richtig glücklich. Von ihrer letzten Expedition kehrt die 31-Jährige nicht zurück.
Für andere war sie eine Außerirdische, doch Laura Dahlmeier verlor nie ihre Bodenständigkeit. Trotz Superkräften in der Loipe und am Schießstand war die Ausnahmebiathletin auch bei den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang nicht unverletzlich. Dick eingepackt bei minus 20 Grad, lugte nur ein rotes Näschen zwischen den Kragen zweier Jacken und der tief ins Gesicht gezogenen Wollmütze hervor, als sie über Platz drei im dritten Rennen sprach. Ihre Hände: beinahe steif gefroren. „Der Wahnsinn“, sagte die damals 24-Jährige bibbernd und hoffte auf eine schnelle, wärmende Dusche. „Ich bin wirklich überglücklich, dass es wieder zu einer Medaille gereicht hat.“
Laura Dahlmeier bei Olympischen Spielen: Schwächeanfall nach Doppel-Gold
Bronze als Wahnsinn? Nachdem sie Doppel-Herz gezeigt und sich mit Doppel-Gold beschenkt hatte? Die ehrfürchtige Konkurrenz wusste damals vielleicht nicht, warum sie auf einmal doch schneller lief und besser schoss als die Dominatorin. Aber Laura Dahlmeier brauchte weder im Februar 2018 noch davor oder danach den obersten Stockerlplatz, um sich als Siegerin zu fühlen. Nach ihrem zweiten Olympia-Gold in Südkorea hatte sie einen Schwächeanfall erlitten, unmittelbar davor noch überglücklich in den Abendhimmel gesagt: „Wir sind nicht allein. Da kommt Unterstützung von oben. Und dafür wollte ich mich bedanken.“
Viele Menschen ereilte im Mai des darauffolgenden Jahres der Schrecken, als diese ja noch junge Topsportlerin ihren Rücktritt bekannt gab. Mit 25? Warum so früh? Kaum jemand schnallt sich Langlaufskier unter die Füße und ein Gewehr auf den Rücken: Aber Biathlon ist bei den deutschen TV-Zuschauern Wintersport Nummer eins. Und die Nation giert nach Heldinnen und Helden. Was nach der großen Magdalena Neuner die ebenso große Laura Dahlmeier war: Doppel-Olympiasiegerin, siebenmalige Weltmeisterin, Gesamtweltcupsiegerin.
Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Instagram, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung
Laura Dahlmeier: der angenehme Konterpart zur Selbstdarstellung unserer Zeit
Sie hätte alle Rekorde brechen können, doch wer Laura Dahlmeier während ihrer Siebenwinterkarriere begegnet war, wusste genau: Rampenlicht und Rummel waren ihr suspekt, auch wenn beides unvermeidlich war, weil sie über die Loipe flog und am Schießstand zielgenau die Scheiben fallen ließ. Doch diese sympathische Athletin war der Konterpart zur Selbstdarstellung unserer Zeit, in der Menschen versuchen, sich in den sozialen Medien eine Bedeutung herbeizuführen, die sich seltenst erahnen lässt. Ihr Lächeln – entwaffnend. Ihre Zugewandtheit – vereinnehmend.
„Wenn es immer nur bergauf geht, lernt man irgendwann nix mehr“, sagte Laura Dahlmeier einmal. Mit dem Olympia-Gold habe sie sich einen Kindheitstraum erfüllt. Trotz aller Dankbarkeit dafür habe sie sich aber als Biathletin „fremdbestimmt“ gefühlt. Beim Heimrennen in Ruhpolding nahm Susi Dahlmeier ihre Tochter einst als „Löwe hinter Gitterstäben“ wahr, „wenn sie mal stehen bleibt, stürzen sich die Fans auf sie.“ Der Garmisch-Partenkirchenerin ging immer dann das Herz auf, wenn sie daheim im Werdenfelser Land war, schon als Kind mit Vater Andreas kraxeln und später richtig bergsteigen ging. „Der Wert Freiheit“, sagte Laura Dahlmeier mal, „steht bei mir ganz weit oben. Der ist mir heilig.“
Die Berge waren für Laura Dahlmeier „Begleiter für das ganze Leben“
Die Berge waren für sie „Rückzugsort und Kraftquelle“. Laura Dahlmeier benötigte dafür nicht die steilste Wand oder das Hochglanz-Panorama am Gipfel. Sie betrachtete die Giganten aus Stein als „Begleiter für das ganze Leben“. Bei einem Extremlauf von der Adria bis zum Stilfser Joch überwand sie auf 850 Kilometern 55.000 Höhenmeter in acht Tagen. Sie ging Touren auf dem Mont Blanc, bestieg den Damawand, den höchsten Berg des Iran, und war bei der Gipfelankunft auf dem 6812 Meter hohen Ama Dablam im Himalaya einfach beseelt. „Du bist ganz allein, nur die Wolken und die Sterne. Das ist ein Geschenk“, sagte sie in breitem Oberbayrisch und mit funkelnden Augen.
Goldene Laura Dahlmeier den Olympischen Spielen 2018 Pyeongchang wurde sie zweimal Olympiasiegerin.© dpa | Michael Kappeler
Das alpine Klettern war für Laura Dahlmeier der besondere Reiz des Lebens. Auch wenn sie damit ein riskantes Spiel einging. Ein Unfall vor zehn Jahren, als ein Griff in der brüchigen Wand herausgesprungen war und sie sich trotz Zwischensicherungen schwer verletzt hatte, führte ihr vor Augen: „Man ist nicht unsterblich.“ Trauriger und bedrückender hätte sie dies nicht erfahren können als im Januar 2022: Ihr Ex-Freund Robert Grasegger kam bei einem Lawinenunglück in Patagonien ums Leben. Der Verlust ging Laura Dahlmeier sehr nahe, ihren Gedanken verlieh sie nach dem Tod des 29-Jährigen durch ein Goethe-Zitat Ausdruck: „Was man tief in seinem Herzen besitzt, kann man durch den Tod nicht verlieren.“
Laura Dahlmeiers Motto fürs Leben: „Scheiß da nix, dann feit da nix!“
Berge haben für viele die enorme Anziehungskraft, mit der Natur allein und mit sich im Einklang zu sein. Dort folgte sie ihrem Herzen und lebte ihren Traum. Für sie kam nicht infrage, dort aufzuhören, wo andere Menschen ihre Grenzen längst überschritten hätten. Laura Dahlmeiers Motto lautete „Scheiß da nix, dann feit da nix!“; trotzdem war sie keine Hasardeurin in den Felswänden. Ihre Vorstellungen von Freiheit und Selbstverwirklichung veröffentlichte sie vor zwei Jahren in dem Buch „Wenn ich was mach, mach ich‘s gscheid“. Als staatlich geprüfte Bergführerin wusste sie genau, wann es vernünftig war, bei Zweifeln am eigenen Leistungsvermögen umzukehren, aber anderen das Erlebnis zu gönnen, die Spitze zu erklimmen. Ihre Art? Selbstlos und besonnen, herzlich und fair, lebensfroh und inspirierend.
Auch für ihre letzte Expedition im pakistanischen Karakorum-Gebirge hatte die erfahrene Bergsteigerin die entsprechenden Vorbereitungen getroffen. Sich die Taktik für den komplizierten bis gefährlichen Gipfelaufgang zum 6069 Meter hohen Laila Peak zurechtgelegt. Laura Dahlmeier wusste, neben einem gesunden Körper und Geist benötigte sie dafür „das nötige Quäntchen Glück, damit ich immer wieder heil nach Hause komme“. Das hatte sie nun nicht mehr.
Schwierige Rettungsmission in Pakistan: Am Ende kam jede Hilfe zu spät
Am Montag war Laura Dahlmeier am steilen und größtenteils eisbedeckten Laila Peak verunglückt, auf etwa 5700 Metern Höhe wurde sie von einem Steinschlag erfasst. Zwei Nächte verbrachte sie bei Minusgraden und zumindest schwer verletzt, vielleicht auch schon gleich nicht mehr lebend auf dem Berg. Ihre Seilpartnerin Marina Krauss hatte noch vergeblich versucht, sie zu bergen. Das schlechte Wetter und die Gefahr von Lawinen erschwerten die Rettungsmission. „Auf Grundlage der Erkenntnisse aus dem Hubschrauber-Überflug und der Schilderungen der Seilpartnerin zur Schwere der Verletzungen, ist vom sofortigen Tod Laura Dahlmeiers auszugehen“, teilte das Management der 31-Jährige mit. „Es war Laura Dahlmeiers ausdrücklicher und niedergeschriebener Wille, dass in einem Fall wie diesem, niemand sein Leben riskieren darf, um sie zu bergen. Ihr Wunsch war es, ihren Leichnam in diesem Fall am Berg zurückzulassen.“
„Man muss akzeptieren, dass die Natur immer stärker ist und dass wir zu Gast sind“, hatte Laura Dahlmeier einst gesagt. „Wenn der Berg nicht will, dass wir hochkommen, wird er immer der Stärkere sein.“ Vielleicht ist es ihren Eltern und ihrem Bruder Pirmin ein kleiner Trost: Laura Dahlmeier war bis zum Schluss dort, wo sie am liebsten und am glücklichsten war. In den Bergen.