Das Romanow-Rätsel gelöst: Wie die DNA-Wissenschaft eine hundertjährige Lüge über die letzte Zarenfamilie Russlands aufdeckte

Über 300 Jahre lang war der Name Romanow gleichbedeutend mit der absoluten Macht und dem unermesslichen Reichtum des Russischen Reiches. Ihre Herrschaft, eine Saga aus Pracht, Intrigen und Tyrannei, endete nicht mit einem leisen Seufzer, sondern mit einem brutalen Knall in einem schmutzigen Keller in Jekaterinburg. Fast ein Jahrhundert lang wurde das wahre Schicksal von Zar Nikolaus II., seiner Frau Alexandra und ihren fünf Kindern – Olga, Tatjana, Maria, Anastasia und dem jungen Zarewitsch Alexei – von einem Schleier aus Geheimnissen, Propaganda und wilden Gerüchten umhüllt. Es war eine Geschichte, die die Welt fesselte und Mythen hervorbrachte, von denen der berühmteste der einer wundersamen Flucht der jüngsten Tochter Anastasia war. Doch die kalte, unbestreitbare Wahrheit, die schließlich ans Licht kam, war weitaus erschütternder als jede Legende und wurde nicht durch Zeugenaussagen oder Geständnisse, sondern durch die unbestechliche Sprache der DNA enthüllt.

Der Untergang des Hauses Romanow war kein plötzliches Ereignis, sondern der Höhepunkt jahrzehntelanger Unruhen, die unter der Oberfläche des kaiserlichen Russlands brodelten. Zar Nikolaus II., obwohl ein hingebungsvoller Ehemann und Vater, war für die monumentale Aufgabe, ein riesiges, sich im Wandel befindliches Reich zu führen, denkbar ungeeignet. Sein unentschlossener und oft autokratischer Führungsstil entfremdete sowohl die verarmten Massen als auch die aufstrebende intellektuelle Klasse. Die Not der Bevölkerung, verschärft durch einen katastrophalen Krieg mit Japan und Russlands verheerende Beteiligung am Ersten Weltkrieg, schuf den perfekten Nährboden für eine Revolution.

Inmitten dieses politischen Chaos klammerte sich die Zarin Alexandra, eine deutsche Prinzessin und Enkelin von Königin Victoria, verzweifelt an den Glauben, dass nur ein Wunder ihren einzigen Sohn und Erben, Alexei, retten könnte. Der junge Zarewitsch litt an Hämophilie, einer unheilbaren Erbkrankheit, die jede kleine Verletzung lebensbedrohlich machte. Ihre Verzweiflung führte sie in die Arme von Grigori Rasputin, einem charismatischen und mysteriösen Mystiker. Sein scheinbarer Erfolg bei der Linderung von Alexeis Leiden verschaffte ihm einen beispiellosen Einfluss auf die Zarin und damit auf die Staatsgeschäfte. Für das russische Volk wurde Rasputin zum Symbol für die Korruption und den Verfall, der den Hof erfasst hatte, und der Skandal untergrub die letzte verbliebene Autorität der Monarchie. Im März 1917 war der Druck unhaltbar geworden. Angesichts von Massenprotesten und dem Zusammenbruch der militärischen Loyalität dankte Nikolaus II. ab und beendete damit die drei Jahrhunderte währende Herrschaft der Romanows.

Ihre neue Realität war ein jäher Absturz von den vergoldeten Sälen des Alexanderpalastes in die harte Ungewissheit des Exils. Zuerst wurden sie nach Tobolsk in Sibirien verbannt, später dann nach Jekaterinburg im Ural, wo sie im sogenannten „Haus zur besonderen Verwendung“ – dem Ipatjew-Haus – unter strenger Bewachung eingesperrt wurden. Mit ihnen gingen vier treue Diener, die sich weigerten, die Familie im Angesicht des drohenden Unheils im Stich zu lassen. Während der Russische Bürgerkrieg zwischen der bolschewistischen Roten Armee und der antikommunistischen Weißen Armee tobte, wurde das Schicksal der kaiserlichen Gefangenen immer prekärer. Als die Truppen der Weißen Armee auf Jekaterinburg vorrückten, trafen die bolschewistischen Führer in Moskau eine fatale Entscheidung: Die Romanows durften unter keinen Umständen lebend befreit werden, um als Symbol für den Widerstand zu dienen.

In den frühen Morgenstunden des 17. Juli 1918 wurde die Familie abrupt geweckt und unter dem Vorwand, sie vor dem Chaos der nahenden Kämpfe in Sicherheit zu bringen, in einen kleinen Kellerraum geführt. Dort, im fahlen Licht einer einzelnen Glühbirne, verlas der Kommandant Jakow Jurowski ein Todesurteil. Bevor die Familie die volle Tragweite der Worte erfassen konnte, brach die Hölle los. Ein Exekutionskommando eröffnete das Feuer. Was folgte, war ein Akt unvorstellbarer Brutalität. Der Tod kam nicht schnell. Die in die Korsetts der Großfürstinnen eingenähten Juwelen – ihr letzter verborgener Reichtum – wirkten wie eine provisorische Panzerung, an der die Kugeln abprallten und das Gemetzel verlängerten, bis die Mörder zu Bajonetten und Pistolenschüssen aus nächster Nähe übergingen.

Die Täter versuchten fieberhaft, ihre Spuren zu verwischen. Die Leichen wurden zu einem verlassenen Minenschacht transportiert, entkleidet, mit Säure übergossen und verbrannt, bevor die Überreste in einer Grube vergraben wurden. Die sowjetische Regierung hüllte sich in Schweigen und gab nur zögerlich den Tod des Zaren zu, während das Schicksal der Zarin und der Kinder bewusst im Dunkeln gelassen wurde. Dieses Vakuum an Informationen war der Nährboden für eine der beständigsten Legenden des 20. Jahrhunderts: die Möglichkeit von Überlebenden.

Die fesselndste dieser Geschichten war die von Anna Anderson, einer Frau, die 1920 aus einem Kanal in Berlin gerettet wurde und später behauptete, die Großfürstin Anastasia zu sein. Ihre Geschichte war überzeugend; sie besaß ein unheimliches Wissen über das Leben am Zarenhof und körperliche Merkmale, die mit Anastasia übereinstimmten. Jahrzehntelang kämpfte sie um Anerkennung und spaltete die verbliebenen Romanow-Verwandten und die Öffentlichkeit. Ihr Fall wurde zu einer weltweiten Sensation, die Bücher, Theaterstücke und Filme inspirierte und die Hoffnung am Leben hielt, dass ein Funken des alten imperialen Russlands dem bolschewistischen Inferno entkommen war.

Doch während die Welt debattierte, lag die Wahrheit verborgen unter der russischen Erde. 1979 entdeckte der russische Geologe Dr. Alexander Awdonin heimlich ein Massengrab in der Nähe von Jekaterinburg, wagte es aber erst 1991, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, seinen Fund öffentlich zu machen. Die Ausgrabung brachte neun Skelette zum Vorschein. Anthropologische Untersuchungen deuteten stark darauf hin, dass es sich um Nikolaus, Alexandra, drei ihrer Töchter und ihre vier Diener handelte. Doch zwei fehlten: Zarewitsch Alexei und eine der Töchter, entweder Maria oder Anastasia. Das Rätsel war nur teilweise gelöst und die Legende lebte weiter.

Hier betrat die moderne Wissenschaft die Bühne. In den frühen 1990er Jahren war die DNA-Analyse zu einem leistungsstarken Werkzeug der forensischen Identifizierung geworden. Wissenschaftlerteams aus Russland, den USA und Großbritannien begannen mit der mühsamen Arbeit, genetisches Material aus den alten, zersetzten Knochen zu extrahieren. Der entscheidende Durchbruch kam durch eine königliche Verbindung. Prinz Philip, der Herzog von Edinburgh, war der Großneffe der Zarin Alexandra. Er erklärte sich bereit, eine Blutprobe zur Verfügung zu stellen. Die Analyse seiner mitochondrialen DNA (mtDNA), die mütterlicherseits weitergegeben wird, ergab eine perfekte Übereinstimmung mit der DNA der Zarin und der drei weiblichen Skelette. Es war der erste wissenschaftliche Beweis, der ihre Identität bestätigte. Auch die DNA von Anna Anderson wurde posthum getestet und bewies endgültig, dass sie keine Verwandtschaft mit den Romanows hatte.

Im Sommer 2007, fast neunzig Jahre nach der Hinrichtung, machten Amateurarchäologen nur etwa 70 Meter vom ersten Grab entfernt eine weitere, erschütternde Entdeckung: eine zweite, kleinere Grube mit verbrannten Knochenfragmenten. Die Analyse in führenden DNA-Laboren in den USA und Österreich bestätigte alle Befürchtungen und beendete alle Hoffnungen. Die DNA-Profile der Überreste passten perfekt zu denen eines Jungen im Alter von Alexei und einer jungen Frau im Alter von Maria oder Anastasia. Vergleiche mit der DNA von Nikolaus und Alexandra sowie lebenden Romanow-Verwandten lieferten den endgültigen, statistisch unumstößlichen Beweis. Alle elf Opfer des Keller-Massakers waren nun gefunden.

Die Wissenschaft hatte gesprochen. Es gab keine wundersame Flucht, keine überlebenden Prinzessinnen, die im Verborgenen lebten. Die Wahrheit war einfach, brutal und tragisch. Eine ganze Familie, zusammen mit denen, die ihnen bis zum Ende treu blieben, wurde in einer Nacht des Terrors ausgelöscht. Die DNA-Analyse beendete nicht nur die Legende von Anastasia, sondern schloss auch eines der schmerzhaftesten und geheimnisvollsten Kapitel des 20. Jahrhunderts ab und ersetzte jahrzehntelange Spekulationen durch die kalte, harte Gewissheit der forensischen Wahrheit. Das Echo der Schüsse im Ipatjew-Haus war endlich verstummt.

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