Die Abwertung prominenter Frauen eines bestimmten Alters scheint ein Volkssport zu sein. Denkt mal jemand an die vielen Frauen, die diesen „Dreck“ ebenfalls lesen müssen? Foto: Getty Images, Collage: FITBOOK
Ja, Frauen kommen irgendwann in die Wechseljahre. Aber warum zum Teufel ist das für manche ein Grund, Häme über Frauen auszuschütten? Wer dieses Bedürfnis hat, sollte sich dringend fragen, was eigentlich sein ganz eigenes Problem ist. Wir dürfen jetzt nicht den Fehler machen, aus dem nächsten Tabu einen Makel zu machen.
Kommentare unter Postings zu Klum-Auftritt in Venedig machten mich wütend
Heidi Klum lief bei den Filmfestspielen von Venedig neulich in einem Kleid der Dessous-Marke Intimissimi über den roten Teppich. Auftrag erfüllt, alles wie immer: Sie trägt, was die Marke sehen will. Ein Model macht seinen Job, Ende der Geschichte – eigentlich. Als ich mir gestern Abend ein paar Kommentarspalten zu Postings dieses Auftritts auf Instagram durchlas, wurde ich wütend. Heidi Klum sei „ja gerade gut im Futter“, las ich. Weiter: Das Kleid sei „zwar schön“, jedoch „nicht an ihrem Körper“, sie hätte es „mal besser ihrer Tochter geben“ sollen. Und ebenfalls in Bezug auf ihren Körper: „Da schlagen wohl gerade die Wechseljahre zu.“
Schon klar: Manch einem Absender solcher und anderer Worte mag es darum gehen, die Person Heidi Klum maximal zu verletzen – warum auch immer. Doch diese Kommentare, die mitunter eine enorme Reichweite bekommen, können auch Kollateralschäden verursachen im Selbstwertgefühl vieler Frauen.
Mir bleiben mir noch zehn Jahre, bis das Diktat der Scham greift
Beim Lesen solcher Kommentare – die genannten dürften nur die Spitze des Eisbergs sein – kann ich als Frau jedenfalls nicht anders, als den Subtext aufzusaugen: Frauen Anfang 50 sollen sich „so jedenfalls nicht“ in der Öffentlichkeit zeigen. Der Körper, das Kleid, das Alter, der Hormonstatus, irgendetwas davon oder alles zusammen ist für ein paar Menschen dann anscheinend nicht vorzeigbar. Als Frau, die unter diese Kategorie fällt, möge man sich doch bitte schämen. Wer diesem Diktat der Scham nicht folgt, wird abgewertet. Ich bin jetzt 42 – mir bleiben also noch zehn Jahre, um abzutauchen. Allerspätestens in der Schamgrube verschwinden möge ich dann, wenn die Wechseljahre bei mir optisch „zugeschlagen“ haben – was auch immer das sein soll.
Es gab eine Zeit, in der lebten Boulevardmedien davon, Unsicherheiten von uns Frauen zu verstärken. Schlagzeilen über „Speckröllchen“ bei Promi XY oder „zu dünn“ generieren Klicks. Die Medien haben in der Breite daraus gelernt und werten nicht mehr so ab wie früher – in den sozialen Netzwerken wuchert dieser Mechanismus weiter.
Hört auf! Die Wechseljahre sind kein Schimpfwort!
Ja, Heidi Klum ist 52. Und ja, Frauen kommen irgendwann in die Wechseljahre. Was mich besonders wütend macht: Zu Bodyshaming und Frauenhass gesellt sich hier Altersdiskriminierung – samt Abwertung ganz normaler, biologischer Prozesse.
Gerade jetzt, wo Bücher, Podcasts und Artikel endlich das Schweigen über Hitzewallungen, Schlaflosigkeit und Hormonschwankungen brechen, schlägt einem wieder dieser „Dreck“ entgegen. So wird aus einem Tabu, das endlich aufgebrochen wird, plötzlich ein Makel, der Frauen das Gefühl gibt, sie müssten sich für etwas ganz Natürliches schämen.
Wer so kommentiert, tritt deshalb nicht nur Klum, sondern jeder Frau kurz vor, in oder nach den Wechseljahren ins Gesicht. Und das sind viele, so ziemlich alle über 40. Und damit auch mir. Ich soll mich also schämen. Für fünf Kilo plus, für enge Kleidung trotz dieser fünf Kilo plus, für Falten im Gesicht, genauso natürlich wie für die Unterspritzung dieser Falten – und nun auch noch, quasi als i-Tüpfelchen, für das gerade erst aus der Tabu-Ecke gezerrte Thema Wechseljahre. Was stimmt mit euch eigentlich nicht?
Vielleicht mal das eigene Problem hinterfragen
Die Scham sollten nicht die Frauen empfinden, die durch diese Phase gehen. Die Scham sollten jene empfinden, die diese Kommentare schreiben. Auch diese Menschen haben selbst Mütter, Freundinnen, Partnerinnen, Schwestern oder Töchter, die in dieser sensiblen Phase sind oder irgendwann hineinkommen. Sie sollten sich einmal fragen: Würden sie ihnen all die Boshaftigkeiten ins Gesicht sagen? Wohl kaum.
Wer das Bedürfnis hat, Frauen über ihren Körper oder ihr Alter zu definieren, sollte sich dringend fragen, was genau gerade eigentlich sein ganz eigenes Problem ist.
Das Bitterste: Frauen gegen Frauen
Besonders bitter ist, dass solche Kommentare nicht nur von Männern kommen. Es sind oft Frauen, die andere Frauen mit derselben Rücksichtslosigkeit niedermachen, die sie selbst schon erlebt haben. Mag die Ursache bei manchen vielleicht nicht reine Boshaftigkeit sein, sondern ein Spiegel der eigenen Verletzungen oder eine Projektion von Frust und eigenen Ängsten – all das macht es für mich nicht besser. Eure Kommentare sind ein Verrat an der Solidarität, die wir Frauen dringend bräuchten.
Heidi Klum wird all das überstehen. Sie hat ein dickes Fell, und ein Bankkonto, das sie trägt. Auch ich war übrigens nie Fan von ihr, war sie mir in all den Jahren „Germany’s Next Topmodel“ oft zu gnadenlos, herablassend und teilweise fies, dass es weh tat. Inhaltliche Kritik daran ist für mich nicht nur legitim, sondern angebracht.