Reinhold Messner über die Dahlmeier-Tragödie: Risiko und Respekt am Berg – Exklusiv-Interview
Die Erschütterung nach der Tragödie um Laura Dahlmeier hallt immer noch nach. Die Welt des Sports hat eine ihrer inspirierendsten Persönlichkeiten verloren, und die Debatten über Ursache und Verantwortung nehmen kein Ende. In exklusiven Gesprächen äußern sich Weggefährten, Trainer und Experten zu den Geschehnissen. Einer, dessen Worte in solchen Momenten besonderes Gewicht haben, ist Reinhold Messner. Der Südtiroler, einer der größten Bergsteiger aller Zeiten, weiß wie kaum ein anderer um die Faszination, das Risiko und die Gefahren, die mit Extremsportarten verbunden sind – und was wahre Größe im Angesicht des Unvorhersehbaren bedeutet.
Wir haben Messner zu einem Interview über Risiken, Sicherheit und den besonderen Respekt vor den Bergen und der Natur getroffen – und natürlich auch gefragt, wie er die Ereignisse um Laura Dahlmeier einschätzt.
Die Natur als unberechenbarer Partner
„Wer sich in die Berge wagt, wer im Hochleistungssport antritt, der weiß: Die Natur ist kein Gegner, den man besiegt. Sie ist ein Partner, der Respekt verlangt“, sagt Messner zu Beginn des Gesprächs. Ihn beeindruckte Laura Dahlmeier nicht nur als Sportlerin, sondern als Mensch, der mit Leidenschaft, Präzision und Einfühlungsvermögen seinem Sport nachging. „Was passiert ist, ist tragisch. Vor allem, weil es wieder zeigt, wie schmal der Grat zwischen Erfolg und Gefahr ist.“
Messner spricht offen über die Risiken, die sportlicher Ehrgeiz mit sich bringt: „Jeder, der unter extremen Bedingungen antritt, weiß um das Restrisiko. Es gibt keine absolute Sicherheit. Wer das verspricht, macht sich lächerlich. Aber es ist unsere Verantwortung, das Risiko zu analysieren, zu minimieren – und dabei nie den Respekt vor dem Unvorhergesehenen zu verlieren.“
Übermut und Selbstüberschätzung – tödliche Gefahren am Berg
Obwohl Messner nie im Biathlon antrat, kennt er das Grundprinzip des Kampfes gegen sich selbst und die Natur nur zu gut. „Es gibt ein gesundes Maß an Selbstvertrauen, das wir brauchen, um schwierige Ziele zu meistern. Aber Übermut und der Glaube, man habe alles unter Kontrolle, können tödlich enden. Am Berg, im Eis, auf der Piste bleibt immer ein kleines Stück Unsicherheit. Diese Ungewissheit begleitet uns – oder sie holt uns irgendwann ein.“
Gerade in der heutigen Zeit, in der technische Perfektion und wissenschaftliche Daten Sportler*innen immer weiter an physische Grenzen bringen, sieht Messner die Gefahr einer gewissen Hybris: „Man glaubt oft, alles kontrollieren zu können, alles vorausberechnen zu können. Doch die Natur kennt ihre eigenen Regeln – und das macht am Ende den Reiz wie auch das Risiko aus.“
Gedenken an Laura Dahlmeier – und eine Mahnung für alle
Messner betont, wie sehr ihn der Unfall betroffen gemacht hat. „Ich habe Laura Dahlmeier mehrfach erlebt – ihren Kampfgeist, ihre Fairness, ihr Lächeln. Vor allem aber spürte man bei ihr diese Demut vor der Herausforderung, die so viele im Hochleistungssport irgendwann verlieren.“ Es sei deshalb besonders bitter, dass trotzdem das Unvorhersehbare eingetreten ist.
Messner sieht in dem tragischen Unfall aber auch eine Mahnung. „Wir dürfen nicht vergessen: Der Mensch ist nicht unbesiegbar. Das eigene Können ist nie eine Garantie für Unverwundbarkeit, und die Besten wissen das. Jeder Unfall, so schmerzhaft er ist, sollte uns daran erinnern, warum wir niemals leichtfertig oder leichtsinnig werden dürfen.“
Risiko als Teil der Erfahrung und Inspiration
Trotz aller Tragik hebt Messner auch eine wichtige Eigenschaft des Risikos hervor: „Es ist das Bewusstsein für das Risiko, das uns wachsen lässt. Ohne dieses Bewusstsein wird keine große Leistung entstehen. Aber der Umgang damit – das ständige Abwägen, das klare Nein, wenn eine Grenze erreicht ist – das unterscheidet die wahren Größten von denen, die sich blenden lassen.“
Er erinnert an eigene Grenzerfahrungen: „Ich habe Freunde verloren am Berg. Ich stand vor Entscheidungen, bei denen es kein Richtig und kein Falsch gibt – nur Konsequenzen. Manchmal bedeutet Größe eben auch, umzudrehen oder aufzugeben, weil die Umstände es verlangen.“
Sicherheit, Prävention und die Verantwortung der Gemeinschaft
Neben der individuellen Einstellung betont Messner aber auch die Verantwortung des gesamten Systems: „Sportverbände, Veranstalter, Trainer – alle tragen Verantwortung für die Sicherheit und Vorbereitung. Es sind die kleinen Details, die entscheiden: Material, Streckenzustand, Wetter, Kommunikation. Kein System ist perfekt, aber professionelle Sorgfalt gehört zur Pflicht.“
Messner spricht sich für ehrlichere Risikokommunikation aus: „Wir sollten nie den Eindruck erwecken, als sei alles völlig sicher. Gerade jungen Menschen müssen wir vermitteln: Leidenschaft und Wagemut sind wichtig, aber immer in Balance mit Verantwortung und Respekt vor dem Unkontrollierbaren.“
Abschied und Vermächtnis
Letztlich, so Messner, bleibt Laura Dahlmeier ein Vorbild. „Nicht, weil sie gestürzt ist, sondern weil sie gezeigt hat, wie man seine Grenzen kennt, seine Leidenschaft lebt und mit Demut Großes erreicht.“ Die Erinnerung an sie müsse uns inspirieren, die Schönheit des Sports und der Natur erneut wertzuschätzen – und nicht die Gefahren zu leugnen.
„Wir dürfen nicht vergessen: Risiko ist Teil des Lebens, besonders da, wo Menschen Besonderes wagen. Aber Respekt – vor der Natur, vor dem Berg und vor dem eigenen Können – schützt uns vielleicht vor der schlimmsten Selbstüberschätzung.“
Am Ende unseres Gesprächs bleibt eine leise Melancholie, aber auch Zuversicht. Reinhold Messner mahnt und inspiriert zugleich: Das Streben nach Höherem – in Sport, Natur und Leben – macht uns menschlich. Doch erst das Wissen um Grenzen und Gefahren lässt uns diese Freiheit wirklich genießen. Laura Dahlmeier hat das verstanden – und wird dafür in Erinnerung bleiben.