Der letzte Vorhang: Ozzy Osbournes leiser Abschied und die unsterbliche Geschichte eines Überlebenden
Der letzte Akkord war kein donnernder Riff, kein ekstatischer Schrei ins Mikrofon, sondern Stille. Ozzy Osbourne, der „Prince of Darkness“, der Hohepriester des Heavy Metal, der Mann, der einst auf der Bühne das pure Chaos entfesselte, ist nach Hause zurückgekehrt. An den Ort, an dem alles begann und an dem alles enden sollte: Birmingham. In seinen letzten Lebensmonaten war es still geworden um die Ikone. Kein Tour-Lärm, keine grellen Scheinwerfer, nur die friedliche Ruhe seines Familienhauses in England. Nach einem Leben im Auge des Orkans fand er dort, umgeben von seiner Frau Sharon und seinen Kindern, seinen Frieden. Die Welt hielt den Atem an, als die Nachricht seines Todes bekannt wurde. Der Inbegriff des Rock ‘n’ Roll war nicht mehr. Doch sein Abschied war kein tragischer Absturz, sondern ein bewusstes, würdevolles Finale eines gigantischen Lebenswerks.
Die Geschichte von John Michael „Ozzy“ Osbourne beginnt im grauen Nachkriegs-England, in Aston, einem Arbeiterstadtteil von Birmingham. Geboren in eine kinderreiche Familie, in der es an allem mangelte außer an Sorgen, schien sein Weg vorgezeichnet. Lärm, Enge und der Geruch von Kohle prägten seine Kindheit. In der Schule galt er als Versager. Eine unerkannte Legasthenie ließ ihn als geistig zurückgeblieben erscheinen, er wurde gehänselt und ausgegrenzt. Seine Flucht war die Musik. Als er mit 15 Jahren zum ersten Mal „She Loves You“ von den Beatles hörte, entzündete sich in ihm ein Traum: Er wollte auf die Bühne, allen Widerständen zum Trotz.
Doch der Weg dorthin führte durch dunkle Gassen. Kleinkriminalität, Gelegenheitsjobs vom Schlachter bis zum Bestatter und schließlich eine sechswöchige Haftstrafe wegen Einbruchs. Der kalte Betonboden der Gefängniszelle, so sagte er später, brachte ihn zum ersten Mal wirklich zum Nachdenken. Es war der absolute Tiefpunkt, der jedoch den Wendepunkt einleitete. 1968 gründete er mit Tony Iommi, Geezer Butler und Bill Ward die Band Black Sabbath. Ihre Musik war anders – düster, roh und hypnotisch. Sie war der Schrei einer verlorenen Generation, der Soundtrack zur Tristesse der englischen Arbeiterviertel. Und Ozzy, der schüchterne, stotternde Junge mit den Selbstzweifeln, wurde auf der Bühne zu einem Orkan. Mit seiner klagenden, ungeschulten Stimme und seinen unberechenbaren Bewegungen wurde er zur Ikone einer Jugend ohne Zukunft.
Während viele britische Bands auf dem Kontinent zunächst belächelt wurden, fand Ozzy ausgerechnet in Deutschland eine zweite Heimat. Die deutschen Fans liebten ihn nicht trotz seiner Abgründe, sondern gerade wegen ihnen. Sie erkannten die Verletzlichkeit hinter der wilden Fassade, die rohe Ehrlichkeit in seiner Stimme. Konzerte in Hamburg, Frankfurt und Berlin waren früh ausverkauft. Die deutsche Rockpresse nannte ihn das „Raubtier mit der Seele eines Kindes“. Ozzy fühlte sich verstanden, eine Verbindung, die ein Leben lang halten sollte.
Nach jahrelangen internen Streitigkeiten und einem eskalierenden Drogenmissbrauch wurde Ozzy 1980 bei Black Sabbath rausgeworfen. Für viele wäre dies das Ende der Karriere gewesen. Doch für Ozzy war es der Beginn seiner legendären Solokarriere. Mit dem Gitarrengenie Randy Rhoads an seiner Seite schuf er das Meisterwerk „Blizzard of Ozz“. Songs wie „Crazy Train“ wurden zu Welthits und bewiesen, dass Ozzy mehr war als nur der Sänger von Black Sabbath. Er war eine Marke, ein Rebell mit Gefühl. Auch in dieser Phase blieben ihm die deutschen Fans treu, feierten ihn auf Festivals wie Rock am Ring und Wacken, wo Generationen mit seinen Liedern aufwuchsen.
Doch hinter der donnernden Stimme und den Skandalen tobte ein lebenslanger Kampf. Ozzy kämpfte mit Dämonen, die kein Publikum sah: Alkohol, Kokain, Depressionen. Der Druck, der Prince of Darkness zu sein, zerrüttete seine Gesundheit und seine Beziehungen. Sein Rettungsanker war Sharon, seine Ehefrau und Managerin. Ihre Beziehung war toxisch und turbulent, geprägt von Exzessen, Gewalt und Reha-Aufenthalten. Doch sie war es, die ihn immer wieder vor sich selbst rettete. „Ozzy war wie ein Kind, das nie gelernt hat, wie man lebt“, sagte sie einmal. Sie blieb an seiner Seite, als die Welt ihn schon aufgegeben hatte.
In den 2000er Jahren machte ihn die MTV-Show „The Osbournes“ zur schrulligen Kultfigur. Millionen lachten über den orientierungslos durch sein Anwesen taumelnden Altrocker. Doch hinter den Kulissen kämpfte er mit den Folgen seines Lebensstils. Ein schwerer Quad-Unfall 2003, unzählige Operationen, chronische Schmerzen und schließlich die Parkinson-Diagnose 2020 zeichneten ihn schwer. Er war nicht mehr der Alte, aber aufgeben kam nicht in Frage. Sein Album „Patient Number 9“ aus dem Jahr 2022 war eine mutige, verletzliche Auseinandersetzung mit Schmerz und Vergänglichkeit – und stieg prompt in die deutschen Charts ein.
Am Ende aller Tourneen, Triumphe und Tragödien zog es ihn nach Hause. 2023 traf die Familie die endgültige Entscheidung, Los Angeles zu verlassen und nach England zurückzukehren. „Ich bin Engländer, ich möchte in meinem eigenen Land sterben“, sagte er. Es war ein bewusster Rückzug, ein Abschied von der großen Bühne. Die Fans verstanden es. Der Mann, der seine Seele jahrzehntelang auf der Bühne ausgebreitet hatte, durfte sich endlich ausruhen. Seine Heimatstadt Birmingham, die ihn einst verstoßen hatte, empfing ihn mit Ehrfurcht.
Sein Tod war kein Donnerschlag. Es war ein leiser Schlussakkord, ein sanftes Sinken des Vorhangs im Kreise seiner Liebsten. Der Madman der Rockmusik ging still. Was bleibt, ist das Vermächtnis eines ultimativen Überlebenden. Ozzy Osbourne war der Beweis, dass man aus den tiefsten Abgründen aufstehen kann, dass in Verletzlichkeit eine unbändige Stärke liegen kann. Sein Schrei ist verstummt, doch seine Musik und seine Geschichte werden für immer weiterleben – als Zeugnis eines Mannes, der nie perfekt, aber immer echt war.