Der Mann, der sich selbst ein Rätsel ist: Helge Schneiders geniale Selbst-Doku zum 70. Geburtstag
Seit fast 50 Jahren stellt Helge Schneider die deutsche Kulturlandschaft auf den Kopf. Er ist Jazz-Virtuose, Dada-Clown, Filmemacher, Bestsellerautor und die „singende Herrentorte“. Er füllt Konzertsäle, indem er Witze verweigert, Melodien dekonstruiert und Telefonbücher vorliest. Eine Frage hat dabei Generationen von Feuilletonisten, Fans und Kritikern umgetrieben: Wer ist der Mensch hinter dieser Fassade aus Absurdität? Ist er ein musikalisches Genie, das sich als Blödelbarde tarnt, oder ein genialer Komiker, der zufällig jedes Instrument beherrscht? Nun, zu seinem 70. Geburtstag am 30. August, verspricht die ARD mit einer großen Dokumentation namens „Helge Schneider – The Klimperclown“ Antworten. Doch Helge wäre nicht Helge, wenn er die Antwort nicht selbst geben würde – und die ist so genial, so schräg und so verblüffend wie der Meister selbst.
Denn „The Klimperclown“ ist keine gewöhnliche Dokumentation. Es ist eine Anti-Doku, ein Selbstporträt, eine Mockumentary, die Helge Schneider kurzerhand selbst mit seinem langjährigen Gitarristen Sandro Giampietro gedreht hat. Wer hier aufschlussreiche Interviews von Weggefährten wie Olli Dittrich oder Piet Klocke erwartet, wer sich Analysen von Musikexperten wie Chilly Gonzales erhofft, wird grandios enttäuscht. Helge Schneider verzichtet komplett auf die typischen Mechanismen des biografischen Films. Stattdessen nimmt er die Suche nach dem „wahren Helge“ selbst in die Hand und persifliert sie auf unnachahmliche Weise.
Der Film ist eine wilde, assoziative Collage, ein Ritt durch das Universum des Helge Schneider. Er mischt uralte, private Super-8- und VHS-Aufnahmen aus seiner Kindheit mit neuen, absurden Spielszenen, die direkt aus Filmen wie „Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem“ stammen könnten. Dazwischen schneidet er brillante Mitschnitte von Live-Konzerten, die seine musikalische Genialität beweisen, nur um im nächsten Moment in schräger Garderobe sein Wohnmobil zu saugen oder am spanischen Strand zu entspannen. Jede Szene, die einen Hauch von Authentizität verspricht, entpuppt sich als kunstvolle Performance. Die ewige Frage „Ist der wirklich so?“ beantwortet der Film mit einem fröhlichen Achselzucken und der Gegenfrage: „Ist das nicht vollkommen egal?“
Und genau darin liegt die Genialität dieses Selbstporträts. Anstatt eine chronologische Biografie herunterzubeten, die er im Film mit dem Satz „Der Reihe nach: erst Baby, dann Mann“ abtut, präsentiert er sein Leben als ein Kabinett aus Albernheiten und musikalischen Glanzmomenten. Er zeigt sich bei den schweißtreibenden, hochkonzentrierten Vorbereitungen vor einer Show – „Sportliche Übungen, nachdenken, Körperbeherrschung, stretchen“ – nur um dann auf der Bühne das absolute, improvisierte Chaos zu entfesseln. Der Film zelebriert den Widerspruch, der Helge Schneider ausmacht.
Da ist der hochbegabte Musiker, der seit seiner Kindheit vom Jazz besessen ist und Klavier, Saxofon, Vibrafon, Cello, Trompete und unzählige weitere Instrumente auf Weltklasse-Niveau spielt. Man sieht ihn am Flügel in virtuose Balladen versinken, die an Thelonious Monk erinnern. Diese Momente sind von einer tiefen Ernsthaftigkeit und Musikalität geprägt, die jeden Zweifel an seinem Können im Keim ersticken. Doch kaum hat man sich in einer Melodie verloren, bricht der „Klimperclown“ durch. Plötzlich geht es um „Katzeklo“ (ein Lied, das er als sein Hauptwerk bezeichnet), um sprechende Möhren oder um die Tücken einer Bockwurst.
„The Klimperclown“ ist damit die vielleicht ehrlichste Dokumentation über Helge Schneider, gerade weil sie so herrlich „unehrlich“ ist. Sie zeigt, dass es bei ihm keine Trennung zwischen Kunst und Leben, zwischen Bühne und Privatperson gibt. Alles ist eine einzige große Performance. Die Figur Helge Schneider ist nicht eine Maske, die er nach dem Auftritt ablegt. Sie ist die Essenz seiner Kunst und seiner Existenz. Wenn er in absurder Kleidung von seiner Kindheit erzählt oder scheinbar private Einblicke gewährt, ist das genauso Teil der Inszenierung wie seine Konzerte.
Der Film ist ein großzügiges Geschenk an seine Fans, die genau diesen unkalkulierbaren, anarchischen Geist lieben. Er ist aber auch eine liebevolle Verhöhnung des Medienbetriebs, der seit Jahrzehnten versucht, ihn in eine Schublade zu stecken – „vermutlich auch, weil kein Klavier hineinpasst“, wie es in einem Begleittext heißt. Mit 70 Jahren hat Helge Schneider nichts von seiner subversiven Energie verloren. Er ist und bleibt Deutschlands größtes, liebenswertestes Rätsel. Er hat sich mit „The Klimperclown“ sein eigenes Denkmal geschaffen. Es ist, wie zu erwarten war, schief, bunt, unglaublich komisch und zutiefst beeindruckend. Es ist ganz Helge.