Die Frau, die zu spät kam: Wie Wencke Myhre nach dem Suizid ihres Mannes zum Opfer der gnadenlosesten Medienkampagne Deutschlands wurde – und was sie am Grabstein von Michael Pfleghar wirklich flüsterte.

Ein grauer Himmel über Stuttgart und das Ende einer Ära

Es war ein Tag, der in die kollektive Erinnerung des deutschen Showbusiness als Moment gnadenloser öffentlicher Hinrichtung eingehen sollte. Über Stuttgart hing ein bleierner Himmel, als die Nachricht vom Freitod des berühmten Fernsehregisseurs Michael Pfleghar die Republik erschütterte. Pfleghar, ein Genie des europäischen Fernsehens, der mit Ikonen wie Frank Sinatra gearbeitet hatte, war tot. Doch der Schock über seinen Suizid trat schnell in den Hintergrund. Die Schlagzeilen, die am nächsten Tag die Titelseiten füllen sollten, fokussierten sich nicht auf den tragischen Verlust eines Visionärs, sondern auf eine Frau, deren Lebensfreude jahrzehntelang das Sinnbild für unerschütterlichen Optimismus gewesen war: Wencke Myhre.

Die norwegische Sängerin, die mit ihrem “knallroten Gummiboot” die Herzen erobert hatte, fand sich über Nacht in einer Hölle aus Verleumdung und öffentlicher Anklage wieder. Ihr einziges Vergehen, das von den Medien als Beleg für ihre angebliche Kaltblütigkeit herangezogen wurde: Sie kam zu spät zur Beerdigung ihres Mannes.

Die Boulevardpresse, gierig nach einem Skandal, der die Tragödie noch dramatischer erscheinen ließ, überschlug sich. “Die Sängerin, die zu spät kam” hieß es in grellen Lettern. “Kälte statt Trauer. War ihre Liebe nur Show?” Die Zeitungen schrieben über angebliche Streitereien und gebrochene Versprechen. Das Bild, das am Waldfriedhof in Stuttgart entstand, wurde zum Beweisstück einer moralischen Anklage: Eine durchnässte, mit verweinten Augen fotografierte Wencke Myhre, die Hand ausgestreckt über das geschlossene Grab, festgehalten in einem Sekundenbruchteil, der ihr Leben für Jahre verändern sollte.

Die unbarmherzige Logik der Lüge

Was in den Schlagzeilen fehlte, war die Wahrheit, die niemand hören wollte. Wencke Myhre hatte in ihrem Haus am Oslofjord vom Tod ihres Mannes erfahren. Sie stieg in Oslo in die Maschine, in der Hoffnung, ihn noch ein letztes Mal sehen zu können. Doch ein Sturm über Norddeutschland verzögerte den Start. 10, dann 20, dann eine ganze Stunde. Wencke saß am Fenster, die Hände ineinander verschränkt, die Lippen bewegten sich lautlos – sie betete um Zeit, um Vergebung. Während des gesamten Fluges weinte und zitterte sie.

Doch als sie endlich in Stuttgart landete, war es bereits Nachmittag. Ein Auto raste sie durch die nassen Straßen. Als sie den Waldfriedhof erreichte, sah sie die Menge: Reporter, Fotografen, Fans, ein Meer aus schwarzen Regenschirmen. Sie eilte den Kiesweg hinunter, doch die Männer mit den Schaufeln standen bereits bereit. Die Zeremonie war vorbei.

“Bitte lassen Sie mich noch einmal”, brach ihre Stimme. Doch niemand antwortete. Stattdessen hörte sie das unerbittliche Klicken der Kameras.

“Ich wollte mich nur verabschieden, doch man behandelte mich wie eine herzlose Frau”, schrieb sie später in ihrer Autobiografie.

Die mediale Lawine war nicht mehr aufzuhalten. Aus der “Sonne” des deutschen Fernsehens, wie Pfleghar sie einst genannt hatte, wurde die “eiskalte Diva“. Man warf ihr vor, Pfleghar von seinem Sohn fernegehalten zu haben, sprach von Berechnung, Verrat und einer Frau, die ihre Karriere über die Ehe stellte. Die Lawine der Gerüchte rollte weiter.

Im Strudel der Verleumdung: Von der Frohnatur zur Angeklagten

Innerhalb weniger Wochen wurde aus der Frohnatur der Nation ein Symbol der Kälte. Der Glanz der Bühne, das Lächeln, die heiteren Lieder – alles schien plötzlich bedeutungslos. Wencke Myhre versuchte, in Norwegen Normalität zu spielen, trat in Shows auf und sang ihr berühmtes „Gummiboot“. Doch nach jedem Auftritt saß sie allein in der Garderobe und zerbrach innerlich.

Die Tragödie war nicht das Ende, sondern der Beginn eines langen, stillen Kampfes. Im Frühjahr, einige Zeit nach dem Tod Pfleghars, zog sie sich in ein kleines Haus am Oslofjord zurück. Es war der Prozess des Schweigens: keine Interviews, keine Konzerte, nur das Rauschen der Wellen und ein Tagebuch.

In der Stille begann die schmerzhafte Umwandlung. Schmerz verwandelte sich in Reife, und Wencke Myhre lernte, nach jedem Sturz wieder aufzustehen – nicht, weil sie stark war, sondern weil sie keine andere Wahl hatte. In dieser Zeit begann sie, wieder zu komponieren. Die Melodien waren klein, persönlich, unbemerkt von der Öffentlichkeit.

Das Geständnis und die Heilung des gebrochenen Herzens

Einige Jahre nach der Isolation betrat sie wieder eine Bühne in Oslo. Ihr Auftritt war leise, persönlich, fast wie ein Geständnis. Sie sang nicht über Liebe, sondern über Verlust, Schuld und Vergebung. “Ich singe, um dem Leben zu danken,” sagte sie leise. Es war der erste Schritt zurück ins Licht.

Die Wunde blieb jedoch offen. Erst viele Jahre später, als sie ihre Autobiografie Die Wencke veröffentlichte, sollte die ganze Wahrheit ans Licht kommen und das Narrativ der Medien zerschlagen. In den Kapiteln beschrieb sie jede schmerzhafte Sekunde jenes Tages.

In Interviews sprach sie nun offen über die Dämonen, die Michael Pfleghar zerstört hatten, über seine Depression, seinen Perfektionismus und ihre eigene Ohnmacht, ihm zu helfen. Sie gestand ihre Schuldgefühle, aber nicht, weil sie ihn verlassen hatte, sondern weil sie ihn nicht retten konnte.

Der bewegendste Moment fand in einer norwegischen Fernsehsendung statt, als sie Auszüge aus ihrem Buch vorlas. Sie kämpfte mit den Tränen, als sie den Satz sprach, der in Talkshows zitiert, in Artikeln analysiert und in Schulen diskutiert werden sollte:

Ich kam nicht zu spät zur Beerdigung. Ich kam zu spät zu seiner Verzweiflung.

Dieser Satz war ein Bekenntnis, das weit über die private Tragödie hinausging. Es war die Anerkennung, dass Liebe keinen Feind besiegt, den man mit Zuneigung vertreiben kann. Das Publikum stand auf, minutenlanger Applaus brach los. In den sozialen Medien trendete der Hashtag #WirVerstehenDichWenke. Endlich begann die Gesellschaft, die das Urteil gefällt hatte, leise sich selbst zu hinterfragen.

Die Macht der leisen Stimme: Frieden am Grab

Wencke Myhre wandelte sich in den folgenden Jahren von einem Opfer zur Stimme der Selbstbestimmung. Sie lehrte eine ganze Generation, dass Stärke nichts mit Härte zu tun hat, sondern damit, weich zu bleiben, wenn das Leben einen brechen will.

Ihre Konzerte wurden zu Geständnissen, ihre Lieder zu Heilung. “Früher sang ich, um zu unterhalten. Heute singe ich, um zu heilen – mich und vielleicht auch euch”.

Der endgültige Schlussstrich unter das Drama, das ihr Leben so lange bestimmt hatte, zog Wencke Myhre jedoch nicht vor einem Millionenpublikum, sondern in der stillsten und mutigsten Geste der Versöhnung.

An einem regnerischen Nachmittag, lange nach den Ereignissen, besuchte sie ohne Presse und ohne Begleitung den Waldfriedhof in Stuttgart, den Ort, an dem alles begonnen hatte. Sie trug einen dunklen Mantel und hielt eine kleine weiße Rose in der Hand. In der Stille kniete sie sich vor den Grabstein, legte die Blume nieder und flüsterte leise die Worte, die den Frieden brachten: “Ich habe gelernt zu vergeben. Auch mir selbst.

Dieser Moment, still und ohne das Drama der Öffentlichkeit, war für Wencke Myhre der wahre Abschluss einer langen Reise. Wie sie später in einem Interview sagte: “Manchmal muss man zurückkehren, um endgültig loszulassen”.

Das Vermächtnis einer Überlebenden

Später präsentierte sie ihr neues Lied “Zu spät, aber doch da“. Der letzte Ton dieses Stückes war kein Schmerz mehr, sondern Wahrheit.

Wencke Myhre, die Frau, die einst verspottet wurde, weil sie zu spät kam, wurde zum Sinnbild dafür, dass es nie zu spät ist, wieder anzufangen. Sie hat aus Schmerz Poesie gemacht, aus Schuld Musik und aus Stille Wahrheit.

Heute lebt sie zurückgezogen, aber nicht gebrochen, am Oslofjord. Doch hin und wieder, wenn die Sonne über dem Wasser versinkt, hört man sie am Klavier. Sanft, vertraut, melancholisch. In ihrem letzten Interview fasste sie das Vermächtnis ihres Lebens zusammen:

Ich habe aufgehört, gegen meine Vergangenheit zu kämpfen. Jetzt tanze ich mit ihr.

Diese Worte hallen nach, nicht als Abschied, sondern als Versprechen. Die Geschichte von Wencke Myhre ist die eines Menschen, der alles verloren, alles verstanden und am Ende das Wertvollste wiedergefunden hat: Den Frieden in sich selbst. Sie ist der lebende Beweis dafür, dass gebrochene Stimmen weiterklingen können, solange sie von Wahrheit singen.

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