Es ist September 2025. In der stillen, gedämpften Atmosphäre eines Hotelzimmers nahe Dortmund, weit weg vom ohrenbetäubenden Applaus und den gleißenden Scheinwerfern, sitzt ein Mann, der Generationen von Deutschen mit seiner samtigen Stimme durchs Leben begleitet hat. Howard Carpendale. Der Mann mit dem unverkennbaren Bariton, der Schöpfer unzähliger Hits, blickt aus dem Fenster. Draußen tanzen Herbstblätter im Wind, ein leises Sinnbild der Vergänglichkeit.
Wenige Tage zuvor hat er es getan. In einer Fernsehsendung, anlässlich seines bevorstehenden 80. Geburtstages, hat er die Fassade fallen lassen. Emotional, mit Tränen in den Augen, stand er vor einem Millionenpublikum. Doch hinter den Jubelstürmen und den nostalgischen Melodien verbirgt sich eine Wahrheit, die der Entertainer lange unter Verschluss hielt. Eine Wahrheit über einen Körper, der rebelliert, über Schmerzen, die zu ständigen Begleitern wurden, und über eine Seele, die mit der Last der Jahre und einem unsichtbaren Feind rang.
Hier, im engsten Kreis von Vertrauten, fernab der Kameras, öffnet er sich. Es ist ein Geständnis, das weit über die üblichen Altersbeschwerden hinausgeht. Es ist die Geschichte eines Mannes, der lernt, mit der eigenen Zerbrechlichkeit Frieden zu schließen, nachdem er fast daran zerbrochen wäre.

Von der Sonne Durbans ins kalte Hamburg
Um den Mann zu verstehen, der heute so verletzlich wirkt, muss man an den Anfang zurückkehren. An einen Ort, der gegensätzlicher kaum sein könnte. Am 14. Januar 1946 wird Howard Victor Carpendale in Durban, Südafrika, geboren. Die Sonne brennt heiß über der Hafenstadt am Indischen Ozean. Er wächst auf als mittleres Kind eines Kaufmanns und einer willensstarken Mutter, in einer Zeit voller Umbrüche und den tiefen Schatten der Apartheid.
Diese Kindheit prägt ihn. Die Weite des Meeres, die Leidenschaft für den Sport, aber vor allem die Musik. Im Kirchenchor mischt sich seine klare Stimme unter die anderen. Es ist eine Kindheit zwischen Freiheit am Strand und den spürbaren gesellschaftlichen Spannungen eines geteilten Landes. Mit 19 Jahren wird ihm Durban zu eng. Getrieben von einem Traum, der größer ist als der Ozean, packt er seine Koffer und reist nach Europa.
Er landet 1965 im kalten, grauen Hamburg. Es ist ein Kulturschock. Mit wenigen Mark in der Tasche und einem Gitarrenkoffer schlägt er sich durch. Er spielt in verrauchten Clubs, gründet Bands, erlebt Ablehnung und die Härte des Showgeschäfts. Er lernt mühsam die deutsche Sprache, die sich anfangs wie ein “Käfig” anfühlt. Doch Carpendale ist ehrgeizig. Er gibt nicht auf. 1970 erhält er seinen ersten großen Plattenvertrag, und 1971 katapultiert ihn die Single “Something’s Burning” in die Charts. Der Südafrikaner mit dem charmanten Akzent ist plötzlich ein Star.
Goldene Jahre, privates Glück und tiefe Risse
Die 1970er und 1980er Jahre sind ein Rausch aus Gold- und Platinplatten. Die Bühnen werden größer, die Hallen voller. Hits wie “Nachts wenn alles schläft” (1984) und natürlich die unsterbliche Hymne “Hello Again” (1984) machen ihn zu einer Ikone des deutschen Schlagers. Er ist ein Multitalent, moderiert Fernsehshows und wird zum absoluten Publikumsliebling.
Auch privat scheint das Glück perfekt. 1972 heiratet er Claudia Herzfeld, 1977 wird Sohn Wayne geboren. Doch der Erfolg fordert seinen Tribut. Die Ehe leidet unter dem ständigen Druck der Öffentlichkeit und den endlosen Tourneen. 1981 tritt eine neue Frau in sein Leben: Donis Pierce, eine Amerikanerin, die seine Muse und sein Fels in der Brandung wird. 1988 kommt der gemeinsame Sohn Cass zur Welt.
Das Leben hinter den Kulissen ist ein Roman voller Höhen und Tiefen. Die Trennung von Claudia im Jahr 2005, nach über drei Jahrzehnten, ist schmerzhaft, aber respektvoll. Erst 2018 heiratet er seine langjährige Liebe Donis. Doch das private Glück wird von Tragödien überschattet. Der Tod seines Vaters trifft ihn tief, und der tragische Unfalltod seiner Mutter Beatrice, die in der Badewanne ertrinkt, erschüttert die Familie bis ins Mark. Diese Erlebnisse formen ihn, machen aus dem strahlenden Star einen nachdenklichen Patriarchen.

Wenn der Körper streikt
Die Bühne ist ein Schlachtfeld, und der Körper ist das Instrument. Schon in den 90er Jahren sendet Carpendales Körper erste Warnsignale. Rückenschmerzen nach unzähligen Stunden am Mikrofon, Heiserkeit. Er ignoriert sie, schiebt sie auf die Routine. 1999, nach einer Konzertreihe, bricht er zusammen. Die Diagnose: Jetlag. Eine beschwichtigende Erklärung für etwas, das viel ernster ist.
Die 2000er Jahre werden zu einem Marathon von Arztbesuchen. Eine verrutschte Bandscheibe erzwingt Operationen und monatelange Pausen. Die Fans halten ihm die Treue, schicken Briefe, die ihn rühren. Seine Frau Donis wird zur Managerin seiner Genesung, organisiert Erholungsphasen in der Provence. Er kehrt zurück, immer wieder. Doch die Risse in der Fassade des unermüdlichen Performers werden tiefer.
Der wahre Einschnitt, der Moment, der alles verändert, kommt im November 2022. Es beginnt mit einem Kribbeln im rechten Bein. Bald werden daraus unerträgliche Qualen, die ihn nachts nicht schlafen lassen und tagsüber lähmen. Die Diagnose in einer Kölner Klinik ist ein Schock: eine massive Nervenkompression, verursacht durch jahrelange Überlastung. Eine riskante Operation ist unausweichlich.
Die Erholung wird zur Hölle. Wochenlang ans Bett gefesselt, Physiotherapie, die sich wie Folter anfühlt. Und das Schlimmste: Seine Stimme, sein Kapital, sein treuester Begleiter, versagt vorübergehend. “Es fühlte sich an, als würde man mir die Flügel stutzen”, gesteht er 2025 in einem Podcast.
Das dunkelste Geheimnis: Fünf Jahre im “Schwarzen Loch”
Doch dieser physische Zusammenbruch reißt eine noch tiefere Wunde auf. Er weckt alte Dämonen. Was die Öffentlichkeit nicht weiß und was Carpendale erst jetzt, im Juli 2025, in einem aufsehenerregenden Fernsehinterview zugibt: Er litt fünf Jahre lang an schweren Depressionen.
“Ich war fünf Jahre sehr depressiv”, sagt er, die Stimme brüchig. Er beschreibt die Krankheit als ein “schwarzes Loch”, eine Finsternis, die alle Freude aus seinem Leben saugte. Während er auf der Bühne stand, lachte und sang, rang er hinter den Kulissen mit Suizidgedanken. Er zog sich zurück, mied Freunde. Eine Isolation, die für seine Familie kaum zu ertragen war.
In dieser tiefsten Dunkelheit wird seine Familie zu seinem einzigen Anker. Seine Frau Donis weicht nicht von seiner Seite, kämpft wie eine Löwin um ihn. Sohn Wayne, selbst ein etablierter Schauspieler, besucht ihn wöchentlich, versucht, mit Anekdoten vom Filmset ein Licht in die Dunkelheit zu bringen. Sohn Cass, der Filmemacher, verarbeitet die Resilienz seines Vaters in einem Kurzfilm.
Howard Carpendale wählt einen schweren Weg. Er verzichtet auf Medikamente, setzt stattdessen auf Therapie und die heilende Kraft der Natur. Lange Spaziergänge in der Eifel, wo er heute lebt, werden zu seiner täglichen Meditation, zu einem Kampf zurück ins Licht.

Ein neuer Mann auf der Bühne
Mit seinem Geständnis bricht er ein Tabu in der glitzernden Unterhaltungsbranche, in der Perfektion erwartet wird. Er zeigt sich nicht mehr nur als der makellose Star, sondern als Mensch. Weitere Operationen folgen, 2025 muss er sich erneut am Rückgrat operieren lassen. Die Schübe kehren wellenförmig zurück.
Doch in dieser Krise findet er eine neue Kreativität. Sein Album “Zeitenwende” (2025) ist ein Zeugnis dieses Kampfes, voller Songs über Hoffnung und Resilienz. Es wird zu einem riesigen Erfolg, vielleicht weil es ehrlicher ist als alles, was er zuvor gemacht hat.
Als Howard Carpendale nun, im Herbst 2025, für die Show zu seinem 80. Geburtstag auf die Bühne tritt, ist er ein anderer. Er ist verletzlicher, gezeichnet von den Kämpfen, die er ausfocht. Aber er ist auch “echter”, wie er selbst sagt. Das Publikum spürt es. Die Standing Ovations gelten nicht mehr nur den Hits von gestern, sie gelten dem Mut eines Mannes, der hingefallen und wieder aufgestanden ist.
Howard Carpendale hat sein Leben lang Geschichten von Sehnsucht, Wiedersehen und Liebe erzählt. Jetzt hat er seine eigene, schwierigste Geschichte geteilt. Er hat gezeigt, dass auch Helden altern, dass hinter dem größten Lächeln die tiefste Dunkelheit lauern kann – und dass der Kampf zurück ins Leben der größte Sieg von allen ist.