Hinter dem schimmernden Vorhang von Las Vegas, der schier endlosen Reihe von über 140 Millionen verkauften Tonträgern und den berühmten Koteletten, die wie eine Hommage an die goldene Ära des Showbusiness in die Jahre gekommen sind, steht heute ein Mann, dessen Leben die Dramatik einer epischen Ballade erreicht hat. Engelbert Humperdinck, der auch im hohen Alter noch immer auf der Bühne steht. Doch die Lieder, die er singt, tragen nun das Gewicht eines Schmerzes, der tiefer sitzt als jede musikalische Note. Sein Leben ist eine Geschichte von hart erkämpftem Ruhm, beispiellosem Verrat und einer tiefen, lebenslangen Liebesbeziehung, deren Ende ihn in eine Vulnerabilität gestürzt hat, die man vom „König der Romantik“ nie erwartet hätte. Der weltweite Erfolg kaschiert die Narben eines Mannes, der unsichtbar war, bankrott ging, um seine Karriere kämpfte und schließlich von den Menschen verraten wurde, denen er am meisten vertraute.
Der Unsichtbare Träumer: Arnold George Dorsey
Lange bevor der Name Engelbert Humperdinck zu einem Synonym für globale Romantik wurde, kämpfte Arnold George Dorsey in seiner Jugend in Indien mit Armut und Identitätsverlust. Als eines von zehn Kindern in einer strengen Militärfamilie aufgewachsen, erlebte Arnold im kolonialen Indien noch einen relativen Komfort. Dieses scheinbare Privileg zerbrach jedoch schlagartig, als die Familie nach der Unabhängigkeit Indiens ins graue, vom Krieg gezeichnete Leicester, England, zog.
Der Umzug war für den jungen Burschen traumatisch. Im England der Nachkriegszeit wurde Arnold zu einem Außenseiter. Seine Kleidung war ungewohnt, seine Haut etwas dunkler, und sein Akzent klang anders. Er wurde gehänselt, ignoriert und von den anderen Kindern ausgeschlossen. „Ich fühlte mich ausgeschlossen“, erinnert er sich. In der Schule galt er als Träumer, dessen Blick öfter am Fenster hing als an den Seiten, die er lesen sollte. Das führte dazu, dass er in jungen Jahren die Schule verlassen musste, um auf Wunsch seines Vaters, eines Mannes, der auf die Sicherheit eines festen Berufs setzte, eine Lehre in einer Maschinenbaufabrik zu beginnen.
Die Arbeit war monoton und frustrierend, doch Aufgeben war in einem militärisch geführten Haushalt keine Option. Sein Rückzugsort, das war die Musik. Ermutigt durch seine musikalisch begabte Mutter, lernte er Saxophon. Doch seine Schüchternheit war lähmend. Er sang nur heimlich, hinter Vorhängen oder verschlossenen Türen. Seine erste öffentliche Gesangsleistung, mit einem Pint Bier als Mutmacher, war ein Moment der Offenbarung. Es war der erste Hauch von Anerkennung in einem Leben voller Unsichtbarkeit.
Der Kampf ums Überleben und die Wiedergeburt
Unter dem Künstlernamen Jerry Dorsey kämpfte Arnold fast ein Jahrzehnt lang in der Bedeutungslosigkeit der Arbeiterclubs. Er veröffentlichte Singles, trat in obskuren Shows auf, doch der Durchbruch blieb aus. Auf dem Höhepunkt seiner frühen Karriereanstrengungen traf ihn der härteste Schlag: Tuberkulose.
Er lag monatelang im Krankenhaus. Die Krankheit raubte ihm nicht nur die Fähigkeit zu singen, sondern auch seine junge Existenzgrundlage. „Ich musste das Haus, das ich meinen Eltern gekauft hatte, wieder abgeben. Ich konnte die Hypothek nicht mehr bezahlen“, gestand er. Er war mittellos, machte Schulden und kämpfte ums Überleben. Nach seiner Genesung musste er ganz von vorne anfangen. Geplagt von lähmender Nervosität trat er in fast leeren Clubs auf.
Doch das Schicksal nahm eine Wende. Unter der Ägide des Managers Gordon Mills, der auch Tom Jones betreute, wurde Arnold Dorsey in eine neue Bühnenfigur verwandelt: Engelbert Humperdinck, benannt nach einem deutschen Opernkomponisten. Der ungewöhnliche Name war ein Geniestreich. Kurz darauf kam die Single „Release Me“ heraus, die nach einem unerwarteten Fernsehauftritt explodierte. Die Verkaufszahlen waren gigantisch – an der Spitze wurden fast 85.000 Exemplare pro Tag verkauft. Der Song war so erfolgreich, dass er die Beatles und ihren Hit „Strawberry Fields Forever/Penny Lane“ von der Spitze der britischen Charts fernhielt, ein seltener und historischer Triumph.
Humperdinck war über Nacht ein Weltstar. Hits wie „There Goes My Everything“, „The Last Waltz“ und „A Man Without Love“ folgten, verkauften sich millionenfach und festigten seinen Ruf. Er wurde zum Hauptact in Las Vegas, moderierte seine eigene Show und tourte unermüdlich um die Welt.
Der bittere Preis des Ruhms: Verrat und verlorene Millionen
Der Ruhm brachte Engelbert Humperdinck zwar Reichtum, aber auch eine schmerzhafte Lektion über die Schattenseiten des „Business“. Hinter dem Glanz der weltweiten ausverkauften Shows verbirgt sich eine ernüchternde Geschichte von finanziellen Verlusten und fehlgeleitetem Vertrauen.
Humperdinck, der sich selbst als „Showman“ sah und das „Business“ den Geschäftsleuten überließ, wurde bitter enttäuscht. Sein langjähriger Manager, dem er blind vertraute, nutzte Millionen aus den Einnahmen des Sängers, um eigene Spielschulden zu begleichen. „Ich habe Vermögen verloren“, gestand Humperdinck. „Unwissenheit ist etwas Schreckliches, und ich muss leider sagen, dass meine Unwissenheit viel Herzschmerz in meinem Leben verursacht hat.“ Er hatte seine gesamte finanzielle Zukunft in die Hände eines Mannes gelegt, der ihn hinterging.
Der Kummer hörte hier nicht auf. In der Hochphase seiner Karriere steckte er nahezu all seine Einkünfte in die Firma MAM, die seine Einnahmen und Rechte verwaltete. Als er ausstieg und seine Anteile verkaufte, schien es der richtige Schritt zu sein. Doch das Timing war grausam: Kurz darauf stieg der Wert der Firma stark an, nachdem sie von einem anderen Unternehmen übernommen wurde. „Ich habe es zur falschen Zeit getan“, sagte er.
Später investierte er in ein Hotel in La Paz, Mexiko, in der Hoffnung, sein Portfolio zu erweitern. Was er jedoch nicht wusste: Ausländische Investoren benötigten einen mexikanischen Partner, um Eigentum rechtlich zu erwerben. Dieses Versäumnis kostete ihn die gesamte Investition. „Ich habe es verloren“, ein schlichter Satz, der tiefe finanzielle Wunden verdeckte.
Diese Verluste waren nicht auf Verschwendung zurückzuführen, sondern auf den naiven, aber ehrlichen Glauben, dass seine Vertrauten in seinem besten Interesse handeln würden. Erst als sein Sohn Scott Dorsey die Verwaltung seiner Angelegenheiten übernahm, kehrte Stabilität und innerer Frieden zurück. „Er wird seinen eigenen Vater nicht über den Tisch ziehen“, sagte Humperdinck mit leiser Erleichterung.
Die ewige Liebe: Patricia, der Fels in der Brandung
Wenn die Musik das Ventil für Engelberts Seele war, dann war Patricia Hee, seine Ehefrau, das Fundament seines Lebens. Sie trafen sich auf einer Tanzfläche in Leicester, als er noch als Arnold bekannt war. Er war mittellos und hatte keine Sicherheit, doch ihre Liebe basierte auf Entschlossenheit und gemeinsamen Träumen.
Sein Vater drängte Patricia einmal, Arnold zu überreden, einen „richtigen“ Job anzunehmen. Sie weigerte sich standhaft: „Er wird das tun, was er tun will. Er ist ein sehr sturer Mensch. Er will in die Showbranche und er wird nicht aufhören, bis er drin ist.“ In den frühen Jahren, als Arnold in Telefonzellen schlief, um Auftritte zu ergattern, war es Patricia, die das nötige Geld für seine Teilnahme an Gesangswettbewerben auftrieb. „Sie war so gut zu mir“, erinnerte er sich. „Sie hat mich so gut fühlen lassen. Sie stand all die Jahre an meiner Seite.“
Ihr gemeinsames Leben war stürmisch. Humperdinck sah sich Vaterschaftsklagen gegenüber, und Patricia wusste um die Affären ihres Mannes. Doch sie blieb gefasst, stark und ehrlich. In seiner Autobiografie thematisierte sie die Untreue offen: „Männer brauchen das“, schrieb sie unverblümt. „Deshalb war es mir egal, solange es nur sexuell war. Aber wenn daraus eine Beziehung wird, dann tut es weh.“ Patricia duldete keine Lügen; sie verlangte die Wahrheit, und Engelbert respektierte das. „Sie hat nichts beschönigt“, sagte er, „und genau das habe ich an ihr geliebt.“ Ihre Liebe überdauerte Ruhm und unzählige Tourneen.
Der lange Abschied und das Schweigen der Bühne
Der lange Abschied begann, als bei Patricia Alzheimer diagnostiziert wurde. Engelbert stürzte sich mit derselben Leidenschaft, die er der Musik gewidmet hatte, in die Rolle des Pflegers. Er versuchte alles: Elektroakupunktur, Stammzellentherapie, sogar heiliges Wasser aus Lourdes.
Nach einer langen Phase der Stille geschah ein Wunder: Sie sagte seinen Namen wieder. „Ich dachte wirklich, sie würde es schaffen“, sagte er. Doch nach langer Krankheit fand ein Virus seinen Weg in ihr Zuhause in Los Angeles. Patricia kämpfte, sie überlebte, aber ihr Herz nicht. Nach der langen Zeit des Kampfes starb sie an einem Herzstillstand. Engelbert war an ihrer Seite, die Kinder per Video zugeschaltet.
„Man merkt erst, was man verloren hat, wenn es weg ist“, reflektierte er. „Nach dem Verlust von Patricia fühlte ich mich so verletzlich und roh. Dein ganzes Denken verändert sich, dein Herz verändert sich, deine ganze Welt verändert sich.“
Er hätte in den Ruhestand gehen können, doch Patricia hätte das nicht gewollt. Sie hatte ihm immer gesagt, er solle weitermachen. Also kehrte er auf die Bühne zurück. „Nun schmerzt jeder Liedtext, jeder Song hat eine tiefere Bedeutung.“ Sein Album „All About Love“ wurde zu seinem Tribut an sie.
Im hohen Alter färbt Engelbert Humperdinck noch immer seine Haare, trägt stolz die Koteletten als Hommage an den Mann, in den Patricia sich einst verliebte. Doch wenn er heute singt, singt er für sie – seine unerschütterliche Liebe, sein Fels, seine Seelenverwandte. „Hinter jedem Mann steht eine großartige Frau“, sagte er, „und sie war meine.“ Das Leben ohne sie hat sichtbare Spuren hinterlassen. Die Energie, die Worte, die Lieder – alles trägt nun ein anderes, schwereres Gewicht.
Engelbert Humperdinck ist die lebende Legende, die bewiesen hat, dass man nach der bittersten Niederlage und dem schmerzhaftesten Verrat wieder aufstehen kann. Doch er ist auch der trauernde Witwer, der in jedem Lied die Erinnerung an seine Frau ehrt. Sein Überleben ist ein Akt der Liebe, ein Versprechen an die Frau, die ihn zu dem gemacht hat, was er ist, und die ihm trotz aller Tragödien die Kraft gibt, auch im hohen Alter weiter zu singen. Er singt, weil er muss, und weil die Liebe, die er erlebte, zu groß ist, um zu verstummen.