Es ist ruhig geworden um den Mann, dessen Augen jahrzehntelang das europäische und amerikanische Kino hypnotisierten. In einem lichtdurchfluteten Raum in Palm Springs, weit entfernt vom grauen Himmel Kölns, wo er 1944 in den Trümmern des Krieges geboren wurde, sitzt Udo Kier. Er ist jetzt 80 Jahre alt. Seine Hände, die in über 200 Filmen Helden, Monster und Verführer mimten, liegen ruhig in seinem Schoß. Doch der Frieden trügt. Denn Udo Kier hat sich entschieden, nicht mehr nur der coole Exzentriker zu sein, den die Welt kennt. Er bricht sein Schweigen über den Preis, den er für seinen Status als Kult-Ikone zahlen musste.
Es ist eine Abrechnung ohne Wut, aber voller Narben. Kier, das „Chamäleon“ des Arthouse-Kinos, öffnet die Akten seines Lebens und nennt fünf Namen. Fünf Giganten der Filmgeschichte, die ihn formten, aber auch beinahe zerbrachen. Es ist eine Geschichte über die dunkle Seite des Genies und die fragile Natur der menschlichen Seele im Haifischbecken des Showbusiness.

Platz 5: Rainer Werner Fassbinder – Der Mentor, der ihn fallen ließ
Die Reise in den Schmerz beginnt dort, wo Kiers Karriere ihren Anfang nahm: bei Rainer Werner Fassbinder. Für den jungen Udo war Fassbinder mehr als nur ein Regisseur; er war eine Naturgewalt, ein Mentor, fast ein Bruder. Fassbinder, bekannt für seine radikale Ehrlichkeit und emotionale Brutalität, formte Kier. Doch die Lektionen waren grausam.
„Hör auf, nett zu sein. Nett ist tot“, hatte Fassbinder ihm einst prophezeit, während er ihn mit einem Glas in der Hand fixierte. Doch die wahre Wunde schlug nicht die Kritik, sondern die Stille. Kier erzählt von dem Moment, als er fest mit einer Rolle rechnete, die ihm wie auf den Leib geschneidert schien. Er wartete auf den Anruf. Tage, Wochen. Der Anruf kam nie. Fassbinder besetzte die Rolle neu, ohne Erklärung, ohne Abschied.
Für Kier war dies kein beruflicher Rückschlag, sondern ein menschlicher Verrat. Er hatte sich dem Genie geöffnet, nur um zu erfahren, dass er in Fassbinders Kosmos nur eine Schachfigur war, die man beliebig vom Brett fegen konnte. „Er war Licht und Schatten“, resümiert Kier heute, „und ich stand zu nah an seinem Feuer.“
Platz 4: Lars von Trier – Die Demontage des Selbst
Wenn Fassbinder das Feuer war, dann war der dänische Regisseur Lars von Trier das Eis. Kier, der für seine Rollen in von Triers Meisterwerken wie „Melancholia“ oder „Riget“ gefeiert wurde, beschreibt die Zusammenarbeit als psychologische Kriegsführung. Von Trier inszenierte nicht einfach; er demontierte seine Schauspieler.
Die Anekdote, die Kier teilt, lässt einen erschaudern: Bei einer ersten Begegnung fragte der Regisseur ihn halb im Scherz: „Du weißt schon, dass ich dich quälen werde, oder?“ Was folgte, war kein Scherz. Szenen mussten zwanzig, dreißig Mal wiederholt werden, ohne Regieanweisung, nur mit einem kühlen „Noch mal“. Von Trier wollte Kier nicht spielen sehen, er wollte ihn „verlieren“ sehen.
Der tiefste Stich erfolgte jedoch über Dritte. Kier hörte, wie von Trier neutral zu Produzenten sagte: „Udo ist gut, aber er ist ersetzbar.“ Für einen Künstler, der sein Leben der Einzigartigkeit gewidmet hat, war das Wort „ersetzbar“ wie ein Dolchstoß. Es war keine Kritik an seinem Talent, sondern eine Negierung seiner Existenzberechtigung als Künstler.

Platz 3: Werner Herzog – Die existenzielle Prüfung
Werner Herzog, der Visionär, der Schiffe über Berge ziehen ließ, verlangte von Kier nicht nur Schauspielerei, sondern das pure Überleben. Die Arbeit mit Herzog war ein ständiger Grenzgang zwischen Kunst und Wahnsinn. „Bist du bereit, die Wahrheit auszuhalten?“, hatte Herzog ihn gefragt.
Am Set herrschten Bedingungen, die jeden anderen in die Knie gezwungen hätten. Kälte, Erschöpfung, Angst. Doch die physischen Strapazen waren nichts im Vergleich zur emotionalen Verunsicherung. Herzog verweigerte Kier das Gefühl, gut genug zu sein. Während einer besonders zehrenden Szene rief Herzog laut: „Er kann mehr!“ Was als Motivation gemeint sein mochte, kam bei Kier als vernichtendes Urteil an: Du genügst nicht.
Herzogs Philosophie, dass Talent nichts wert sei, wenn der Mensch nicht standhält, brannte sich wie ein Tattoo in Kiers Seele. Es war eine Lektion in Demut, die jedoch tiefe Selbstzweifel säte, die Kier Jahre kosteten, um sie zu überwinden.

Platz 2: Andy Warhol – Die Kälte der Oberfläche
In den 70er Jahren war die Begegnung mit Andy Warhol für jeden Künstler der Ritterschlag. Für Udo Kier wurde sie zum Trauma der Gleichgültigkeit. Warhol, der Meister der Pop-Art, bezeichnete Kier als „beautiful tool“ – ein schönes Werkzeug. Was als Kompliment getarnt war, entpuppte sich als Enthumanisierung.
In der schillernden Welt der „Factory“ fühlte sich Kier oft verloren. Als er einmal nach echter menschlicher Resonanz suchte, antwortete Warhol nur mit einem leeren „I don’t know“. Doch der eigentliche Schock kam, als Warhol – ähnlich wie von Trier – Kiers Rolle in seinem inneren Kreis definierte: „Udo is good energy, but replaceable.“
Wieder dieses Wort: Ersetzbar. Dass Warhol es ohne jede Bosheit sagte, machte es nur noch schlimmer. Es war die völlige Abwesenheit von Empathie, die Kier traf. Er realisierte, dass er in Warhols Welt nur Dekoration war, eine lebendige Requisite ohne Seele. „Er hat mich nie gesehen“, sagt Kier heute. Und von jemandem wie Warhol nicht gesehen zu werden, ist eine besondere Art der Auslöschung.
Platz 1: Klaus Kinski – Der Spiegel des Wahnsinns
Doch niemand hat Udo Kier so sehr erschüttert wie Klaus Kinski. Der Mann, der als „Monster“ des deutschen Films gilt, steht unangefochten auf Platz 1 der Liste. Die Begegnung mit Kinski war kein Arbeitsverhältnis, es war ein Zusammenstoß. Kinski, der Grenzen nicht nur überschritt, sondern niedertrampelte, sah in Kier eine Schwäche, die er verachtete.
„Du bist zu weich für diese Welt“, warnte Kinski ihn. Am Set erlebte Kier, wie Kinski Kollegen vernichtete und Regisseure terrorisierte. Doch der Moment, der alles veränderte, geschah vor laufender Kamera. Kinski brach eine Szene ab, zeigte auf Kier und brüllte: „Er spielt nicht, er atmet! Warum arbeitet ihr mit ihm?“
Es war eine öffentliche Hinrichtung. Kinski sprach Kier den „Krieg“, den „Wahnsinn“ ab, den er selbst verkörperte. Für den jungen Udo war das Gefühl der Scham überwältigend. Doch heute, mit dem Abstand eines ganzen Lebens, erkennt Kier die wahre Bedeutung dieser Begegnung. Kinski verletzte ihn nicht nur durch Worte. Er verletzte ihn, weil Kier in Kinski das sah, was er niemals werden wollte: ein Mensch, der seine Menschlichkeit für die Kunst geopfert hatte.

Das Fazit eines Überlebenden
Am Ende dieses schmerzhaften Rückblicks steht Udo Kier auf und blickt über die Wüstenlandschaft von Palm Springs. Er hat sie alle überlebt – die Exzentriker, die Genies, die Tyrannen. Die Narben, die sie hinterlassen haben, sind Teil seiner Legende geworden. Aber der Sieg gehört ihm.
„Ich habe viel überlebt“, flüstert er, als würde er ein letztes Geheimnis preisgeben. „Aber das Wichtigste war, ich selbst zu bleiben, auch wenn niemand es sehen wollte.“
Udo Kier ist nicht ersetzbar. Er ist ein Unikat, geformt durch das Feuer der Kritik und das Eis der Ablehnung, aber im Kern unzerstörbar. Seine fünf größten Enttäuschungen haben ihn nicht gebrochen – sie haben ihn zu dem Mann gemacht, der er heute ist: eine Ikone, die endlich ihre eigene Geschichte erzählt.