„Ich sollte nur Zettel vorlesen“: Ex-Tagesschau-Star Konstantin Schreiber über seinen ARD-Abschied, Islam-Kontroversen und eine Nacht, die sein Sicherheitsempfinden für immer veränderte

Jahrelang war er eines der bekanntesten Gesichter Deutschlands. Pünktlich um 20:00 Uhr blickte Konstantin Schreiber in Millionen von Wohnzimmern und verkörperte die Seriosität und Objektivität der “Tagesschau”. Er war der Mann, der die Welt erklärte, ruhig, sachlich, unantastbar. Doch hinter der Fassade des perfekten Nachrichtensprechers brodelte ein Konflikt, der so tiefgreifend war, dass er ihn schließlich zum Aufhören zwang. Im Mai dieses Jahres, nach vier Jahren im Studio der 20-Uhr-Ausgabe, war Schluss.

Jetzt, Monate später, bricht der 46-Jährige sein Schweigen. In seinem eigenen Podcast packt Schreiber über die wahren Gründe für seinen Abschied aus – und es ist eine Enthüllung, die weit über eine einfache berufliche Neuorientierung hinausgeht. Es ist eine Geschichte über journalistische Frustration, gesellschaftliche Sprengsätze und eine persönliche Bedrohungserfahrung, die alles veränderte.

Der goldene Käfig der Krawattenwahl

Wer dachte, der Job als Sprecher der wichtigsten Nachrichtensendung des Landes sei der Gipfel journalistischer Erfüllung, den belehrt Schreiber eines Besseren. Er beschreibt seinen Alltag beim NDR als einen goldenen Käfig, einen Ort der intellektuellen Unterforderung. „Ich kam gegen 18:30 Uhr in den Sender zum NDR, habe mich umgezogen und mir überlegt, welche Krawattenfarbe soll es heute sein?“, beschreibt er den typischen Ablauf. Eine fast banale Frage angesichts der Weltlage, die er Minuten später verkünden sollte.

Der Kern seiner Frustration lag in der Rolle selbst. Schreiber war “Sprecher”, nicht “Redakteur” oder “Moderator”. Seine Aufgabe war es nicht, Inhalte zu gestalten, sondern sie zu präsentieren. „Gegen 19:45 Uhr bekam ich Zettel, die ich vorlesen sollte, auf denen ich keinen einzigen Satz selbst geschrieben habe“, so seine ernüchternde Bilanz. Für einen Mann, der als langjähriger Auslandskorrespondent die Welt bereist hatte, der Geschichten aufgespürt und komplexe Zusammenhänge analysiert hatte, war dies auf Dauer unerträglich. „Über die Jahre“ sei der Wunsch „immer größer geworden, wieder journalistisch zu arbeiten und hinauszugehen in die Welt“. Dieser Wunsch biss sich fundamental mit der Marke und der Erwartungshaltung der Tagesschau.

Der Elefant im Raum: Die Islam-Kontroverse

Doch die berufliche Unterforderung war nur die eine Hälfte der Wahrheit. Die andere war weitaus explosiver und persönlicher. Parallel zu seiner Rolle als neutraler Nachrichtenverkünder war Konstantin Schreiber auch ein erfolgreicher Buchautor. Seine Sachbücher und Romane, die sich kritisch mit dem Islam und Islamismus auseinandersetzen, machten ihn zur Zielscheibe heftiger öffentlicher Debatten.

Der Höhepunkt dieser Kontroverse war eine Lesung an der Universität Jena im Jahr 2023, bei der er von Aktivisten mit einer Torte beworfen wurde. Dieses Ereignis war mehr als nur eine mediale Randnotiz; es markierte einen Wendepunkt. Schreiber erkannte selbst den fundamentalen Widerspruch seiner beiden öffentlichen Rollen. “Das passte auch nicht zur Rolle als Tagesschausprecher zu dem Zeitpunkt, dass ich in so hoch kontroversen Debatten unterwegs war”, räumt er im Rückblick ein.

Er stand vor einer Wahl: Entweder der sichere Hafen der Tagesschau und das Schweigen zu den Themen, die ihm am Herzen lagen, oder die Freiheit, seine Meinung zu sagen, mit allen Konsequenzen. Nach dem Tortenwurf hatte er zunächst erklärt, sich zum Thema Islam nicht mehr äußern zu wollen. Doch diese Selbstzensur fühlte sich falsch an. Für ihn sei es ein „bewusster Teil dieses Wechsels“ gewesen, dass er es “falsch finde zu sagen, ich äußere mich zu bestimmten Dingen nicht, weil die Rahmenbedingungen so feindselig sind”. Er wollte nicht länger schweigen, nur weil der Wind ihm eisig ins Gesicht blies.

Der Bruch: Eine Nacht, die alles veränderte

Wie feindselig diese Rahmenbedingungen tatsächlich waren, musste Schreiber am eigenen Leib erfahren. Er berichtet von einem Vorfall, der sein Leben und sein Sicherheitsempfinden nachhaltig erschüttert hat. Es ist der vielleicht dunkelste Teil seiner Beichte, ein Moment, der die abstrakte Debatte über Meinungsfreiheit in eine konkrete, physische Bedrohung übersetzt.

Nach einem Auftritt in einer großen deutschen Veranstaltungshalle sei er von einem Security-Mitarbeiter durch einen langen Gang begleitet worden. Ein Routinede-Briefing, dachte er. Doch plötzlich blieb der Mann unvermittelt stehen. „Er drehte sich um und sagte zu mir: ‚Das hast du nicht ernst gemeint mit deinen Büchern, oder? Das mit dem Islam hast du nicht so gemeint, oder?‘“, berichtet Schreiber. Die Situation, allein in einem Gang mit einem Mann, der für seine Sicherheit zuständig war und ihn nun aggressiv konfrontierte, empfand er als “sehr bedrohlich”.

In diesem Moment der Angst tat Schreiber das Einzige, was ihm zur Deeskalation einfiel: Er verleugnete sich selbst. „Nee, das habe ich nicht so gemeint“, antwortete er. Eine Notlüge, um einer unkalkulierbaren Auseinandersetzung zu entgehen. Das Erlebnis ließ ihn nicht mehr los. „Ich gebe zu, dass das mein Sicherheitsempfinden bei Security sehr verändert hat. Es hat mich sehr schockiert“. Es war der Moment, in dem die Hassdebatten, die er oft nur digital oder aus der Ferne kannte, ihm physisch zu nahe kamen.

Die neue Realität: Zwischen Haltung und Algorithmen

Dieser Vorfall war ein Katalysator. Er untermauerte Schreibers Sorge um den „Zustand der freien Meinungsäußerung in den Medien“. Er fragt sich: „Wo leben wir denn?“, wenn es nicht mehr möglich ist, alle Themen journalistisch zu bearbeiten. Er sei nicht allein mit dieser Angst. Er erkenne „inzwischen viele Kollegen, die sich journalistisch ein Stück weit zurückziehen, weil es bei vielen Themen inzwischen so ist, dass Hass zurückkommt“.

Sein Weg führte ihn konsequent weg von der ARD und hin zur Medienmarke “Welt” des Springer-Konzerns, wo er seit September als Reporter und Autor arbeitet. Hier kann er wieder über den Islam und Islamismus sprechen. Doch Schreiber ist weit davon entfernt, seinen neuen Arbeitsplatz naiv zu glorifizieren. Er reflektiert die moderne Medienlandschaft scharf und kritisch.

Er sieht die Menschen heute als „Gefangene der Algorithmen“. Statt journalistischer Vielfalt bekomme man online nur “mehr vom gleichen” angezeigt. Diese Muster, so seine Sorge, schwappen längst auf die klassischen Medien über. Der neue Treibstoff für Kundenbindung sei nicht mehr Objektivität, sondern Meinung. „Haltung mit Meinung wird immer wichtiger, weil darüber letztlich die Bindung zum Publikum der Redaktion funktioniert“, analysiert er.

Diese Entwicklung untergrabe die klassische Annahme, Medien seien „objektiv und ausgewogen“. Es ist eine Entwicklung, die er selbst mit gemischten Gefühlen betrachtet. Er fürchtet, dies sei “die neue Form des Journalisten”, auch wenn viele den Kopf schütteln und sagen, das dürfe nicht sein. Konstantin Schreiber hat sich für diese neue Form entschieden – für die Haltung und gegen die Zettel. Er hat die scheinbare Sicherheit des Sprecherpults gegen die Unsicherheit der offenen Debatte getauscht, inklusive der Schattenseiten, “dass man in politische Debatten gerät”. Seine Geschichte ist mehr als nur ein Karrierewechsel; sie ist ein Symptom für eine Medienwelt im Umbruch, in der die Grenzen zwischen Journalismus und Aktivismus, zwischen Fakten und Haltung, immer mehr verschwimmen.

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