Bon Scott war nicht nur der Frontmann von AC/DC; er war die Essenz des Rock’n’Roll. Mit einer Stimme, die wie Schmirgelpapier über Stahl klang, und einer Bühnenpräsenz, die pure, ungefilterte Rebellion verkörperte, entfachte er das Feuer, das eine der größten Bands der Musikgeschichte zum Welterfolg führen sollte. Doch hinter dem Leder, der schlitzohrigen Attitüde und dem unerschütterlichen Bravado verbarg sich ein Mann, der von Geistern verfolgt wurde, die seine Fans nie zu Gesicht bekamen. Sein kometenhafter Aufstieg endete in einer tragischen Winternacht in London, und sein Fall hinterließ nicht nur eine trauernde Band, sondern eine Reihe von dunklen Fragen und schockierenden, persönlichen Geständnissen, die bis heute im Schatten des AC/DC-Mythos lauern.
Die Geschichte des Mannes, der Ronald Belford Scott hieß, beginnt fernab des Glamours, in der bescheidenen schottischen Stadt Forfar, wo er zur Welt kam. Seine Geburt sollte Trost in eine Familie bringen, die kurz zuvor ihren erstgeborenen Sohn Sandy verloren hatte. Doch Schottland nach dem Weltkrieg war ein gezeichnetes Land, und wie so viele suchten die Scotts ihr Glück anderswo. Als Bon ein kleiner Junge war, bestiegen sie das Schiff, das sie ans andere Ende der Welt bringen sollte, nach Australien, im Rahmen des „Ten Pound Pom“-Programms.
Der Außenseiter: Von „Bonnie Scotland“ zum Rockgott
Die Ankunft in Sunshine, einem Vorort von Melbourne, war alles andere als sonnig für den jungen Ronald. Sein starker schottischer Akzent machte ihn sofort zum Ziel von Spott und Mobbing. Klassenkameraden drohten, ihn zu verprügeln, sollte er nicht „australisch“ sprechen. Schnell folgte der grausame Spitzname „Bonnie Scotland“ – ein Spottname, der nicht nur seinen Akzent verspottete, sondern in der rauen australischen Pausenhofkultur auch seine Männlichkeit infrage stellte. Doch Bon Scott duckte sich nicht. Die blauen Flecken, mit denen er nach Hause kam, waren der Preis dafür, dass er sich weigerte, zu zerbrechen. Dieser Schmerz der Verspottung verhärtete sich zu einer Entschlossenheit, die später Stadien erbeben lassen sollte. Ironischerweise wurde aus dem einst schmerzhaften „Bonnie“ einfach „Bon“ – der Name, der zur Legende wurde.
Später zogen die Scotts weiter nach Fremantle, einer rauen Hafenstadt bei Perth. Fremantle war ein Ort, der keine Zartbesaiteten duldete, ein Moloch aus Matrosen, Hafenarbeitern und einer Straßenkultur, in der Jungen zu früh zu Männern wurden. Bon schwänzte die Schule, verbrachte seine Zeit mit Motorrädern und älteren Jugendlichen. Er war klug, aber er hatte keine Geduld für Regeln. Er arbeitete in einer Reihe von körperlich harten Jobs – Langustenfischer, Wagenmechaniker – doch er fühlte sich fehl am Platz. Er jagte etwas anderem hinterher, etwas Laute- rem, etwas, das ihn schreien ließ, ohne sich entschuldigen zu müssen.
Die harten Lektionen von Riverbank
Bons unbändiges Feuer brachte ihn schließlich in Konflikt mit dem Gesetz. In seiner Jugend, nach einer Reihe impulsiver Handlungen, landete Bon vor Gericht. Die Anklagepunkte waren schwerwiegend: unbefugte Fahrzeugnutzung, Angabe falscher Personalien und unerlaubtes Entfernen aus Gewahrsam. Das Urteil war hart: Bon wurde nach Riverbank geschickt, einem Hochsicherheits-Jugendstraflager.
Riverbank war ein Ort der Härte und Kargheit. Doch anstatt daran zu zerbrechen, passte sich Bon an. Er lernte die Regeln des Überlebens und kanalisierte seine Frustration in etwas Produktives: Musik. Innerhalb der Mauern schloss er sich einer kleinen Band anderer Insassen an und spielte Schlagzeug. Bei einem seltenen Familienbesuch trat er auf der Bühne auf. Als er hinunterstieg, vom Stolz erleuchtet, sagte er zu seiner Mutter einen Satz, der wie ein Versprechen klang: „Ich werde berühmt“. Es war kein naiver Traum; es war eine Ansage, geboren aus der Hölle des jugendlichen Strafvollzugs.
Nach seiner Entlassung versuchte er es mit der australischen Reservearmee, wurde jedoch als „sozial unangepasst“ abgelehnt – ein Etikett, das er fortan wie ein Ehrenzeichen trug. Später gründete er seine erste ernsthafte Band, The Spectators. Die Musik war endlich der Kanal für seine unaufhaltsame Energie. In dieser Zeit lernte er auch Maria von Flimmern kennen, eine junge Frau, die seine Vertraute wurde und ihn zeitweise auf einen „geraderen Weg“ brachte. Doch die Wildheit lag in Bons DNA, und sie sollte bald wieder durchbrechen.
Der beinahe tödliche Crash und die Neugeburt
Bons Karriere führte ihn über die Teenager-Pop-Band The Valentines – deren glattes Image nie zu seiner rauen Seele passte – zur Progressive-Rock-Gruppe Fraternity. Mit Fraternity gewann er einen nationalen Wettbewerb und tourte durch Großbritannien. Doch der Erfolg blieb aus, und Fraternity kehrte, angeschlagen und pleite, nach Australien zurück. Auch sein Privatleben geriet ins Wanken; seine Ehe mit Irene Thornton stand unter Druck.
Dann kam der Tag, der beinahe das Ende bedeutet hätte. Eines tragischen Tages, nach einer angespannten Probe und einem emotionalen Streit, verließ Bon Adelaide. Trotz der Bitten seiner Freunde setzte er sich auf sein Motorrad. Minuten später kollidierte er mit einem anderen Fahrzeug. Der Aufprall war verheerend. Bon wurde ins Koma geschleudert und blieb einige Tage bewusstlos. Als er erwachte, war sein Kiefer verdrahtet. Der Mann, der für seine kraftvolle Stimme bekannt war, konnte nicht sprechen.
Die Zeit im Krankenhaus, bandagiert und bewegungsunfähig, war ein Wendepunkt. Das erzwungene Schweigen zwang ihn zur Selbstreflexion. Die Musikindustrie hatte ihn beinahe verschlungen, und seine Rücksichtslosigkeit hatte ihren Preis gefordert. Doch unter Gips und Schmerz formte sich bereits sein nächstes Kapitel: ein lauterer, härterer und unvergesslicher Sound. Bon war bereit, seine wahre Stimme zu werden.
Der elektrische Funke: Highway to Hell
Nach seiner Genesung arbeitete Bon als Tagelöhner, als er in Adelaide von einer Band hörte, die einen neuen Leadsänger suchte: AC/DC. Auf den ersten Blick schien Bon – älter, verletzt, mit dem Ruf eines “wilden Kerls” – nicht zur Band der Young-Brüder zu passen. Doch als er Angus und Malcolm Young im Puraka Hotel live spielen sah, wusste er, dass es klick machen würde. Die Chemie stimmte sofort.
Bald darauf veröffentlichte AC/DC in Australien High Voltage. Bon schrieb viele der Songs mit und brachte seinen unverwechselbaren, straßenschlauen Humor und seine Härte ein. Kurz darauf folgte T.N.T., das die Hymne der Arbeiterklasse enthielt: „It’s a Long Way to the Top (If You Wanna Rock ’n’ Roll)“. Bon, der schottisch geborene Außenseiter, der einst abgeschrieben wurde, sang diesen Song mit einem unerwarteten Dudelsack-Solo – es war sein ultimativer Moment der Erlösung.
Die folgenden Jahre waren ein Rausch: Dirty Deeds Done Dirt Cheap, Let There Be Rock, Powerage. Bon Scotts Texte fingen das raue Leben ein, Nächte voller Exzesse, Herzschmerz und wilde Wendungen, immer mit einem Augenzwinkern. Gegen Ende des Jahrzehnts erreichte die Band ihren Siedepunkt mit der Veröffentlichung von Highway to Hell. Produziert von Robert „Mutt“ Lange, war das Album ein weltweiter, kraftvoller Einschlag. AC/DC war nicht länger Australiens bestgehütetes Geheimnis; sie waren global.
Das Geständnis und die Prophezeiung der Einsamkeit
Doch hinter den Kulissen zeigten sich Risse. Bons unberechenbares Verhalten bereitete den Bandmitgliedern zunehmend Sorgen. Er war magnetisch und witzig, aber auch unzuverlässig. Einmal verschwand er während einer Aufnahmepause in London für eine ganze Woche spurlos, nachdem seine Mutter ihm ein Flugticket für einen Besuch in Australien geschickt hatte.
Bon Scott spürte das Gewicht des Ruhms und der Selbstzerstörung, das er mit sich trug. Es war nicht nur der physische Tribut des exzessiven Lebensstils, sondern eine tief sitzende, seelische Einsamkeit, die ihn überwältigte. In einem Brief an seinen Bruder Derek gestand Bon die erschütternde Wahrheit: „Ich schreie jeden Abend auf der Bühne, aber keiner hört mich.“ Diese Zeile, von einem Mann, der dafür bekannt war, jeden Raum zu dominieren und Tausende zum Toben zu bringen, ist ein herzzerreißendes Zeugnis der Isolation, die der Erfolg mit sich bringen kann. Er war der lauteste Mann der Welt, aber niemand hörte wirklich in sein Inneres.
Die Prophezeiung seines frühen Endes manifestierte sich in seinem letzten Telefonat mit Derek. Bon klang nicht nur körperlich, sondern seelisch müde. Er soll gesagt haben: „Wenn ich nicht bald langsamer mache, werde ich die 34 nicht mehr erleben.“ Es war eine dunkle Vorahnung, die sich auf tragische Weise bewahrheiten sollte.
Die letzte Nacht und das Geheimnis von Back in Black
In einer tragischen Winternacht summte London vor Leben, doch für Bon Scott sollte es die letzte Nacht sein. Er verbrachte den Abend im Music Machine in Camden. Einer seiner Begleiter war Alistair Kinnear, der angeboten hatte, ihn nach Hause zu fahren. In den frühen Morgenstunden war Bon bewusstlos, zu betrunken, um sich zu bewegen. Kinnear ließ ihn auf dem Beifahrersitz seines kleinen Renault, geparkt vor seiner Wohnung in East Dulwich, in der Annahme, er würde sich einfach ausschlafen.
Als Kinnear am nächsten Morgen zurückkehrte, reagierte Bon nicht mehr. Kalt, still. Der Notruf war vergeblich. Bon Scott wurde in jungen Jahren für tot erklärt. Die offizielle Todesursache lautete: Akute Alkoholvergiftung, oder wie es der Gerichtsmediziner ausdrückte: Tod durch Unglücksfall. Sein Blutalkoholwert war erschreckend hoch.
Doch die Geschichte war nie so einfach. Es wurde nie ein vollständiger toxikologischer Bericht veröffentlicht, was angesichts von Bons Partyleben und den Umständen seines Todes als merkwürdig galt. Gerüchte um andere Substanzen halten sich hartnäckig. Zusätzlich vergrößerte sich das Mysterium, als Kinnear, der Mann, der Bon zuletzt lebend gesehen hatte, später bei einem Segeltörn vor der Küste Frankreichs auf mysteriöse Weise verschwand.
Ein weiteres, bis heute ungelöstes Rätsel betrifft das Album, das nach seinem Tod erschien: Back in Black. Das Album war ein Tribut an Bon, doch keiner der Liedtexte trug seinen Namen. Dennoch berichtete eine ehemalige Freundin, bekannt als Holly X, dem Autor Jesse Fink, dass Bon kurz vor seinem Tod an Songtexten gearbeitet hatte, die Zeilen enthielten, die verdächtig an den späteren Durchbruch-Hit „You Shook Me All Night Long“ erinnerten. Fans spekulieren seit Jahrzehnten: Hat Bon zu Back in Black beigetragen? Wurden seine letzten Texte ohne ihn genannt? AC/DC hat dies nie bestätigt, aber das Gerücht hallt wie ein Echo in den Herzen der Fans weiter.
Kurz darauf verlor die Musikwelt eine ihrer elektrisierendsten, unberechenbarsten Stimmen, kurz vor seinem nächsten Geburtstag, wie er es vorausgesagt hatte. Bon Scott hatte den Motor entzündet, der AC/DC zum Ruhm trug. Sein Geist hallt in jedem Powerchord, jedem Schrei und jeder trotzigen Textzeile weiter. Bei all dem Lärm, den Bon Scott auf der Bühne machte, bei all den Stadien, die er zum Beben brachte, waren seine letzten Tage geprägt von Stille, Schatten und dem erschütternden Geständnis, dass der Rockgott, der uns alle begeisterte, im tiefsten Inneren unendlich einsam war. Er schrie die Welt an, aber im entscheidenden Moment hörte ihn niemand.