Gunter Sachs: Der tragische Abschied einer Glamour-Ikone – Kampf gegen den Verlust der Selbstkontrolle
Am 7. Mai 2011 fand eine Ära in Gstaad ein jähes Ende. Gunter Sachs, der Inbegriff des europäischen Jetsets, wurde in seinem Chalet tot aufgefunden. Eine Schusswaffe beendete das Leben des 78-Jährigen. Was blieb, war ein knapper Abschiedsbrief, der die Welt in seinen Bann zog. Darin beschrieb er eine „hoffnungslose Krankheit“, deren erste Anzeichen sein größtes Tabu berührten: der drohende Verlust der Selbstkontrolle. Dieses Kürzel „A“ – ohne eine explizite Diagnose, aber unmissverständlich deutend auf Alzheimer – offenbarte die tiefste Furcht eines Mannes, der sein Leben lang Autonomie und Würde über alles stellte.
Die Nachricht von Sachs‘ Tod erschütterte nicht nur die High Society, sondern löste auch eine intensive Debatte über Selbstbestimmung, Würde und den Umgang mit unheilbaren Krankheiten aus. Wie konnte ein Mann, der scheinbar alles besaß – ein gigantisches Industrieerbe, unermesslichen Reichtum, eine unvergleichliche Kunstsammlung, eine legendäre Liebesgeschichte mit Brigitte Bardot und ein Leben voller Glamour und Abenteuer – einen so radikalen und stillen Abschied wählen? Die Antwort liegt tief in der komplexen Persönlichkeit Gunter Sachs‘, einem Menschen, der sein Leben wie ein Kunstwerk inszenierte und dessen größter Luxus stets die unbedingte Freiheit war.
Vom Industriemagnaten zum Pop-Art-Pionier: Die frühen Jahre eines Ausnahmelebens
Fritz Gunter Sachs erblickte am 14. November 1932 auf Schloss Mainberg bei Schweinfurt das Licht der Welt. Seine Geburt war gleichbedeutend mit dem Eintritt in die deutsche Industriearistokratie. Sein Vater, Willy Sachs, leitete Fichtel & Sachs, Europas größten Hersteller von Wälzlagern und Kupplungen. Seine Mutter, Elinor von Opel, war die Enkelin von Adam Opel, dem Gründer des berühmten Automobilunternehmens. Umgeben von Reichtum, Sportgeist und einer weitreichenden gesellschaftlichen Vernetzung, wuchs Gunter Sachs in einer Welt auf, die ihm alle Türen öffnete.
Doch die ihm vorbestimmte Rolle des Industriellen im Sinne der Familientradition reizte ihn nur wenig. Vielmehr zog es ihn zur Kunst, zur Fotografie und zu einem abenteuerlichen Lebensstil. Nach dem Tod seines Vaters Ende der 1950er-Jahre erbte Sachs einen Großteil des beträchtlichen Familienvermögens. Dieses Erbe, das ihm finanzielle Unabhängigkeit und unbegrenzte Freiheit schenkte, ermöglichte es ihm, sein Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Er wurde zu einer festen Größe des europäischen Jetsets, der zwischen mondänen Orten wie St. Moritz, St. Tropez, Paris und Monaco pendelte.
Sachs‘ Leidenschaft für die Fotografie offenbarte sich in stilvollen Mode- und Kunstaufnahmen, oft mit Frauen im Mittelpunkt. Für ihn war die Fotografie ein Mittel, Schönheit festzuhalten, bevor sie verging. Er drehte auch Dokumentarfilme, inspiriert von der Popkultur und dem hedonistischen Lebensgefühl der 1960er-Jahre.
Die Rosenaktion und die Ehe mit Brigitte Bardot: Eine Legende wird geboren
Ein Wendepunkt in seinem Leben kam 1966, als er in St. Tropez die französische Schauspielerin Brigitte Bardot traf. Wenige Tage später ließ Sachs Tausende roter Rosen per Hubschrauber über ihr Anwesen regnen – eine Geste, die in die Legenden der High Society einging. Diese spektakuläre romantische Geste führte zu einer Ehe, die zwar nur drei Jahre hielt, Sachs aber weltweit als charismatischen Unternehmer, Künstler und Lebemann bekannt machte. Die ikonischen “Bardot Portraits”, die Sachs in Auftrag gab, wurden zu einem ästhetischen Manifest der Pop-Ära und spiegelten zugleich das Echo dieser kurzen, spektakulären Ehe wider.
Nach der Scheidung 1969 pflegte Sachs weiterhin das Image des Abenteurers, widmete sich aber verstärkt der ernsthaften Kunstförderung. Er war einer der ersten Sammler in Europa, der Werke von Andy Warhol, Roy Lichtenstein und Salvador Dalí erwarb und ausstellte. Seine Ausstellungen in Paris und München trugen maßgeblich dazu bei, die Pop-Art in Deutschland und der Schweiz zu etablieren.
Die goldenen Jahre: Kunst, Abenteuer und der Ruf der Selbstbestimmung
Nach dem Ende seiner Ehe mit Brigitte Bardot 1969 zog sich Gunter Sachs keineswegs aus dem Rampenlicht zurück. Im Gegenteil, er trat in eine Phase ein, die viele als seine „goldenen Jahre“ bezeichneten – eine Zeit, in der Spitzenkunst, kluge Investitionen und ein Lebensstil, der die Presse in Atem hielt, zu einem einzigen Bild verdichtet wurden.
Im Kunstbereich profilierte sich Sachs als wegweisender Sammler. Er erwarb Werke von Andy Warhol, als viele europäische Kritiker noch am langfristigen Wert der Pop-Art zweifelten. Die von ihm organisierte Ausstellung „Andy Warhol Paintings in Paris“ (1972) trug entscheidend dazu bei, Warhol auf dem europäischen Markt zu etablieren und Sachs selbst als einflussreiche Figur der zeitgenössischen Kunstszene zu verankern. Seine Sammlung, die Werke von Warhol, Lichtenstein, Dalí und Yves Klein umfasste, hatte zum Zeitpunkt seines Todes einen geschätzten Wert in dreistelliger Millionenhöhe.
Parallel dazu pflegte Sachs sein Image als Abenteurer: Skifahren in St. Moritz, Großwildjagd in Afrika, Segeln im Mittelmeer. Er war sogar Mitglied der Schweizer Bob-Nationalmannschaft und gewann 1958 bei der Europameisterschaft die Goldmedaille – ein Beweis dafür, dass seine Leidenschaft für den Sport nie erlosch.
Sein Privatleben sorgte auch nach Bardot für Schlagzeilen. Der entscheidende Wendepunkt kam jedoch 1969, als Sachs Mirja Larsson, ein ehemaliges schwedisches Model, kennenlernte. Sie heirateten im selben Jahr und bekamen zwei Söhne, Rolf und Christian. Diese Ehe hielt über vier Jahrzehnte und brachte Sachs eine gewisse Stabilität, auch wenn sein luxuriöser Lebensstil und die internationalen Verpflichtungen Mirja regelmäßig ins Blickfeld der Klatschpresse rückten.
In den 1980er- und 1990er-Jahren weitete Sachs seine Investments auf Immobilien und Luxushotels aus und engagierte sich gleichzeitig verstärkt in der Philanthropie. Er unterstützte medizinische Forschungsprojekte, förderte den Erhalt von Kunstwerken und pflegte enge Beziehungen zu Persönlichkeiten wie Gianni Agnelli, Ari Onassis und Mitgliedern des Fürstenhauses von Monaco. Hinter dem Bild des von Schönheit und Luxus umgebenen Mannes stand jedoch ein analytischer Geist, ein Mensch mit starkem Bedürfnis nach Kontrolle über das eigene Leben und der Überzeugung, dass jeder das Recht haben sollte, den Zeitpunkt und die Art seines Abschieds selbst zu bestimmen. Eine Überzeugung, die das letzte Kapitel seines Lebens prägen sollte.
Der Schatten des „A“: Die Angst vor dem Verlust der Selbstkontrolle
Doch hinter der makellosen Fassade zeigten sich Risse. Das Alter brachte Verluste mit sich; Freunde aus der Jetset-Szene starben, die Kunstwelt wandelte sich, und das jüngere Publikum kannte Sachs oft nur aus alten Fotos. Ab Ende der 2000er-Jahre traten erste Gedächtnisprobleme auf. Er vergaß Namen, erzählte dieselbe Anekdote mehrmals am selben Abend. Für jemanden, der stolz auf sein scharfes Gedächtnis und seine Kontrolle über jede Situation war, war dies ein Alarmzeichen.
Nach außen blieb Sachs der elegante Mann von Gstaad, sichtbar bei Wohltätigkeitsveranstaltungen und Kunstausstellungen. Doch innerlich wuchs die Angst, die Kontrolle zu verlieren. Freunde beschrieben ihn als „einen seltenen Vogel, der spürt, wie sich der Käfig schließt“. Der Schatten jener Krankheit, die er nur mit dem Buchstaben „A“ bezeichnete, legte sich über die letzten Monate seines glamourösen Lebens.
Im Frühling 2011 lag noch Schnee über den Alpen, doch im Chalet von Gunter Sachs in Gstaad herrschte eine andere Kälte. Seit Monaten quälten ihn wachsende Lücken im Gedächtnis. An manchen Morgen wusste er nicht mehr, welches Foto er im Ausstellungsraum umgehängt hatte; bei Gesellschaften stockte er mitten im Satz, unfähig, den Namen des Gegenübers zu erinnern. Für einen Mann, der sein Leben bis ins kleinste Detail kontrollierte – vom Licht in einem Foto bis zur Geste auf einem Empfang – war dies ein lautloser, aber erbarmungsloser Zerfall.
Er suchte ärztlichen Rat, doch die Diagnose lautete lediglich „leichte kognitive Beeinträchtigung“ – eine Formulierung, die Sachs wie ein vorweggenommenes Urteil las. In seinem Abschiedsbrief schrieb er, dass das „A“ nun da sei, ohne es auszusprechen. Doch jedem war klar, es war seine Anspielung auf Alzheimer. Für Sachs bedeutete diese Krankheit den Verlust der Selbstbestimmung – etwas, das er nicht akzeptieren konnte.
Der letzte Akt: Ein Manifest der Freiheit
In den letzten Wochen ordnete Gunter Sachs sein Leben. Er traf sich mit seinem Anwalt, passte das Testament an, sortierte seine Kunstsammlung. Einige Werke gingen an Museen, andere wurden für Auktionen bewertet. Er verbrachte Zeit mit seiner Frau Mirja und den beiden Söhnen, sprach aber nie offen über seine Pläne. Freunde berichteten, dass er bei Treffen noch lachte und Geschichten erzählte, doch sein Blick manchmal ins Leere ging, als ob er sich bereits an einem anderen Ort befände, um die Details seiner letzten Reise zu prüfen.
Am Abend des 6. Mai blieb er allein im Chalet. Auf dem Schreibtisch lag neben dem versiegelten Umschlag ein Notizbuch mit einer Liste von Terminen, jede Zeile sorgfältig durchgestrichen. Am Morgen darauf fiel der Schuss, der das Unvermeidliche besiegelte.
Der Brief, den die Polizei neben der Leiche fand, war handschriftlich und knapp: „Ich will die Kontrolle über mich selbst nicht verlieren. Das steht mir nicht zu Gesicht. Dies ist meine letzte Entscheidung, meine Freiheit.“ Wenige Sätze, doch ein klares Manifest – der Schlusspunkt eines Lebens, das wie ein Kunstwerk gelebt und wie ein präzise gesetzter Schlussstrich beendet wurde.
Ein Vermächtnis, das die Welt spaltet
Die Geschichte von Gunter Sachs lässt kaum jemanden unberührt; sie bewegt sich zwischen zwei klaren Polen. Auf der einen Seite steht eine fast vorbehaltlose Bewunderung: Er führte ein Leben ohne Grenzen, schöpfte alles aus, was die Welt zu bieten hatte, und verstand es zugleich, dieser Welt etwas Bleibendes zurückzugeben. Sachs war nicht nur Sammler; er wurde Teil der Kunstgeschichte, weil er Künstler förderte, an die damals noch kaum jemand glaubte. Werke von Warhol, Lichtenstein, Dalí oder Yves Klein, die er erwarb und ausstellte, prägten den Kunstgeschmack einer ganzen Generation. Er verkörperte das Ideal des freien Mannes im umfassendsten Sinn: Er wählte seine Partnerin, den Ort, an dem er leben wollte, und auch den Zeitpunkt, um sich von Dingen zu trennen, die ihm keine Freude mehr bereiteten. Diese Freiheit wurde von manchen als impulsiv missverstanden, doch bei genauerem Hinsehen war sie Ausdruck einer Lebensphilosophie: sich von nichts – weder von der Zeit noch von einer Krankheit – beherrschen zu lassen.
Auf der anderen Seite steht die schwierige Frage: War der Entschluss, sein Leben zu beenden, als die Krankheit erst in den Anfängen war, ein Beweis von Mut oder ein Aufgeben vor einer noch nicht voll entfalteten Herausforderung? Manche sehen darin die absolute Wahrung seiner Würde, die Weigerung, ein Bild von sich zu hinterlassen, das von Krankheit und Verfall geprägt ist. Andere bedauern, dass ein Mensch mit seinem Talent, seinem Geist und seiner Strahlkraft die verbleibenden Jahre, so unvollkommen sie auch gewesen wären, hätte nutzen können, um weiterhin zu inspirieren und zu zeigen, dass man auch innerhalb von Grenzen erfüllt leben kann.
Sachs‘ Entscheidung öffnet eine Debatte, die nie ganz verstummen wird: das Recht auf den eigenen Tod. In der Schweiz, wo er seine letzten Jahre verbrachte, ist dies unter bestimmten Bedingungen gesetzlich erlaubt, spaltet jedoch nach wie vor die Gesellschaft. Für Sachs war es weder eine politische noch eine religiöse Frage, sondern eine persönliche Selbstbestätigung – ein Bekenntnis, dass er sowohl Anfang als auch Ende seines Lebens selbst bestimmen wollte.
Betrachtet man sein Leben im Ganzen – von der Rosenaktion über St. Tropez, über seine Pionierrolle für die Pop-Art bis hin zu dem Entschluss, die Bühne zu verlassen, solange er noch Haltung und Ausstrahlung besaß – erkennt man einen roten Faden: absolute Selbstbestimmung. Vielleicht war die Wahl des Abschiedszeitpunktes für ihn einfach das letzte Kapitel, geschrieben in derselben klaren Handschrift, die er sein Leben lang führte: stark, präzise und ohne das Entscheidungsrecht aus der Hand zu geben.
Die Frage, die er uns hinterlässt, bleibt jedoch: Was würden wir tun, wenn wir der Angst gegenüberstehen, uns selbst zu verlieren?
Am Tag der Beisetzung von Gunter Sachs füllte sich Gstaad in einen dichten grauen Schleier. Nebel strich über die Schindeldächer, als wollte er den Moment verhüllen, indem dieser Ort einen Teil seines Gedächtnisses verlor. Keine großen Gesten, keine Musik, keine Blumenmeere wie bei den Festen, die er einst inszenierte – nur einige weiße Kränze, ein paar hölzerne Stuhlreihen und schweigende Gesichter. Die Anwesenden wussten, dass sie nicht nur den Abschied eines Mannes erlebten, sondern das Ende einer Ära, in der Eleganz, Kunst und persönliche Freiheit zu einem Lebensstil verschmolzen.
Sein Vermächtnis lässt sich nicht in Millionenwerten von Gemälden oder zeitlosen Modefotografien bemessen; es steckt auch in der Art, wie er jeden Augenblick seines Lebens wie eine Filmszene inszenierte, jede Entscheidung zu einer Signatur machte. Das Bild von Gunter Sachs ist nicht nur mit Warhol, Lichtenstein oder Bardot verknüpft; es ist verbunden mit einer Lebensphilosophie, keinen Tag ungenutzt verstreichen zu lassen und den Abschied nicht anderen zu überlassen. Manche erinnern sich an ihn als glamourösen Gentleman, Inbegriff europäischer Stilsicherheit; andere sehen den einsamen Mann, der mitten in seiner eigenen Ausstellung stand und still die Werke betrachtete, die ihn ein Leben lang begleitet hatten. Und wieder andere werden sich immer fragen, ob seine letzte Entscheidung ein Bekenntnis zur Freiheit oder eine Tür war, die zu früh ins Schloss fiel. Doch jenseits aller Diskussionen tat Sachs eines mit Konsequenz von Anfang bis Ende: Er lebte nach seinem eigenen Entwurf. Er war der Architekt seines Lebens, vom Nachmittag 1966, als Rosen über St. Tropez regneten, bis zum Mai-Morgen 2011, an dem er seinen Abschiedsbrief unterzeichnete. Beide Momente, so unterschiedlich sie auch waren, trugen dieselbe Handschrift: „Keine Reue heute.“ Zwischen vergilbten Fotografien und abgegriffenen Ausstellungseinladungen taucht sein Bild noch immer auf: das silbergraue, sorgfältig gekämmte Haar, das selbstbewusste Lächeln, der Blick warm und stolz zugleich. Sein Leben, auch wenn es mit 78 Jahren endete, war wie eine Symphonie mit allen Sätzen abgeschlossen, mit einem Ton, den er selbst gewählt hat. Manche Geschichten scheinen auserzählt, doch bei Gunter Sachs bleibt immer ein Rest, den nur er kannte.