Für Millionen von Fernsehzuschauern auf der ganzen Welt ist die Grafschaft Midsomer ein trügerisches Idyll. Sanfte grüne Hügel, malerische Dörfer und exzentrische Bewohner bilden die Kulisse für eine der langlebigsten und beliebtesten Krimiserien aller Zeiten: „Inspector Barnaby“. Im Zentrum dieses Universums stand über ein Jahrzehnt lang ein Mann, dessen stoische Ruhe und scharfsinniger Verstand jedes noch so komplexe Verbrechen aufklärten – John Nettles als Detective Chief Inspector Tom Barnaby. Sein Gesicht wurde zum Synonym für britische Krimi-Kultur, seine Figur zum Inbegriff des besonnenen Ermittlers. Doch was die Zuschauer nie sahen, war das Drama, das sich abspielte, wenn die Kameras ausgeschaltet waren. Es war ein stiller Krieg, geprägt von künstlerischen Differenzen, gekränktem Stolz und tiefen persönlichen Abneigungen. Jetzt, im Alter von 81 Jahren, wird die Fassade des harmonischen Ensembles endgültig eingerissen. Es ist die Enthüllung von John Nettles’ dunkler Liste – einer Liste von fünf Kollegen, deren Verhalten und Arbeitsweise ihn an den Rand der Verzweiflung trieben und letztlich zu seinem Ausstieg aus der Serie führten.
Daniel Casey (DS Gavin Troy): Der jugendliche Störfaktor
Als die Serie 1997 startete, wurde John Nettles der junge Schauspieler Daniel Casey als Detective Sergeant Gavin Troy an die Seite gestellt. Auf dem Papier das perfekte Duo: der erfahrene, bedachte Veteran und der eifrige, etwas ungestüme Neuling. Doch die Realität sah anders aus. Nettles, ein klassisch ausgebildeter Theaterschauspieler, legte höchsten Wert auf Disziplin, Präzision und die Ernsthaftigkeit des Skripts. Casey hingegen brachte eine jugendliche Spontaneität und eine oft tollpatschige Art mit, die ihn beim Publikum schnell beliebt machte, Nettles jedoch zur Weißglut trieb.
Für Nettles untergrub Caseys Darstellung die Glaubwürdigkeit der Serie. Er sah „Inspector Barnaby“ als ernsthaftes Krimidrama, nicht als Bühne für Slapstick-Einlagen. Crewmitglieder berichteten von zunehmend angespannten Situationen am Set. Es kam zu hitzigen Diskussionen, in denen ein frustrierter Nettles seinen jüngeren Kollegen aufforderte, die Dialoge ernster zu nehmen und sich auf die Substanz der Szenen zu konzentrieren. Die Tatsache, dass ausgerechnet Caseys Ungeschicklichkeit bei den Zuschauern so gut ankam, war für Nettles eine zusätzliche Irritation. Es fühlte sich an, als würde sein künstlerischer Anspruch von oberflächlicher Unterhaltung verdrängt. Als Casey 2003 die Serie verließ, lautete die offizielle Begründung, er wolle sich neuen Herausforderungen stellen. Hinter vorgehaltener Hand war jedoch klar: Die unüberbrückbaren Spannungen mit dem Hauptdarsteller waren der wahre Grund für seinen Abschied.
John Hopkins (DS Dan Scott): Die Rebellion der Disziplinlosigkeit
Nach dem Abgang von Casey sehnte sich Nettles nach einem Partner, der seine professionelle Ernsthaftigkeit teilte. Doch mit John Hopkins, der als DS Dan Scott eingeführt wurde, kam es noch schlimmer. Hopkins verkörperte eine großstädtische Lässigkeit, die in Nettles’ Augen pure Disziplinlosigkeit war. Berichte vom Set zeichnen ein düsteres Bild: Hopkins soll wiederholt zu spät gekommen sein, oft unvorbereitet gewirkt und eine improvisierte Spielweise bevorzugt haben, die sich fundamental von Nettles’ akribischer Vorbereitung unterschied.
Die fehlende Chemie war vor der Kamera offensichtlich. Die Dynamik zwischen Barnaby und Scott wirkte gezwungen und spannungsgeladen. Wo Troy noch unbeholfen war, wirkte Scott oft respektlos und rebellisch. Nettles sah in ihm nie einen glaubwürdigen Partner, und seine eigene Spielfreude schien in den gemeinsamen Szenen merklich zu erlahmen. Für die Fans war der Wechsel ein Schock, und viele spürten die unterkühlte Atmosphäre. Der plötzliche und kaum erklärte Ausstieg von Hopkins im Jahr 2005 überraschte niemanden am Set. Die Arbeitsatmosphäre war unerträglich geworden.
Jason Hughes (DS Ben Jones): Der ambitionierte Thronfolger
Mit Jason Hughes als DS Ben Jones schien endlich der perfekte Partner gefunden. Er war professionell, ernsthaft und respektvoll – genau das, was sich Nettles gewünscht hatte. Doch ironischerweise wurde genau diese Professionalität bald zur Quelle eines neuen, subtileren Konflikts. Hughes war ehrgeizig. Er wollte mehr sein als nur der treue Sidekick. Er strebte danach, seiner Figur mehr Tiefe zu verleihen und sie stärker in den Mittelpunkt zu rücken.
Hinter den Kulissen entbrannten leise Machtkämpfe. Hughes’ wachsende Popularität und die Art, wie die Presse ihn als das „neue Gesicht von Barnaby“ feierte, waren für Nettles, den unbestrittenen Star und das Herz der Serie, eine schmerzhafte Kränkung. Hinzu kamen unterschiedliche Arbeitsmethoden. Während Nettles nach über einem Jahrzehnt in der Rolle auf bewährte Routinen setzte, wollte Hughes Szenen intensiv proben und neu interpretieren. Diese Reibung zermürbte Nettles zusehends. Als er 2011 seinen Hut nahm, gab er an, sich ausgebrannt zu fühlen. Viele glauben, dass der aufreibende Konkurrenzkampf mit seinem ambitionierten Co-Star einer der Hauptgründe für diese Erschöpfung war.
Jane Wymark & Laura Howard (Joyce & Cully Barnaby): Die private Last
Überraschenderweise erstreckte sich Nettles’ Frustration auch auf seine engste TV-Familie. Die Szenen mit seiner Serienehefrau Joyce (Jane Wymark) und seiner Tochter Cully (Laura Howard) empfand er zunehmend als Belastung. Er war der Meinung, dass die häuslichen Handlungsstränge das Tempo der Ermittlungen bremsten und die Krimiserie verwässerten. Die Charaktere wirkten in seinen Augen oft klischeehaft und aufgesetzt.
Doch die beiden Schauspielerinnen wollten sich nicht mit ihren passiven Rollen zufriedengeben. Jane Wymark kämpfte darum, Joyce mehr Tiefe und eine eigene Meinung zu geben, sie von der bloßen Hausfrau zu einer selbstbewussten Partnerin zu entwickeln. Auch Laura Howard strebte danach, Cullys Charakter auszubauen und ihr eigene, spannende Handlungsstränge zu verschaffen. Diese Ambitionen kollidierten frontal mit Nettles’ Vision, die sich ausschließlich auf die Mordfälle konzentrieren sollte. Er fühlte sich von den familiären Szenen künstlerisch ausgebremst und nahm seine Kolleginnen in ihrem Bestreben nicht ernst. In späteren Interviews deutete er vielsagend an, dass er die häuslichen Szenen nach seinem Ausstieg am wenigsten vermisst habe – eine klare Spitze gegen die Frauen, die über ein Jahrzehnt lang seine Familie spielten.
John Nettles’ Enthüllungen zeichnen das Bild eines Mannes, der seine Schöpfung mit aller Macht schützen wollte, dabei aber menschliche und künstlerische Konflikte provozierte. Sie zeigen, dass selbst hinter der erfolgreichsten und harmonischsten Fassade die gleichen Dramen aus Eifersucht, Missverständnis und gekränktem Stolz toben wie überall sonst. Vielleicht war es aber genau diese untergründige Reibung, diese authentische Spannung, die „Inspector Barnaby“ über all die Jahre so faszinierend und menschlich gemacht hat.