Es gibt ein Bild von Alexander Gauland, das sich in das kollektive Gedächtnis Deutschlands eingebrannt hat: der scharfzüngige Intellektuelle im Bundestag, der Stratege mit der Hornbrille, der Mann, der Sätze von eiskalter Provokation prägte. Es ist das Bild eines politischen Brandstifters, eines Mitbegründers und Vordenkers, der die etablierte Ordnung der Bundesrepublik herausforderte und das Parteiensystem für immer erschütterte.
Doch dieses Bild zerbricht. Es zerfällt angesichts neuer Aufnahmen, die einen völlig anderen Mann zeigen. Einen Mann, der nicht mehr im Rampenlicht der Kameras steht, sondern im Zwielicht seines Arbeitszimmers in Potsdam sitzt. Es ist ein 83-Jähriger im Sessel, die Hände gefaltet, der Blick “ungewohnt leer”.
Und dieser Mann spricht. Er spricht Sätze, die schwerer wiegen als jede seiner Bundestagsreden. “Ich habe Dinge gesagt, die ich heute anders sehe”, murmelt er fast tonlos.

Dies ist nicht die Geschichte eines Politikers auf dem Höhepunkt seiner Macht. Es ist die Geschichte einer späten, vielleicht zu späten Abrechnung. Es ist das Porträt eines Mannes, der auf sein Lebenswerk blickt und von der Erkenntnis gebrochen scheint, nicht von seinen Gegnern, sondern von sich selbst. Die Gerüchte über seinen Rückzug, über eine tiefe, persönliche Krise, erhalten plötzlich eine erschütternde Substanz. Im Zentrum steht ein Satz, ein Geständnis, das wie ein Donnerschlag wirkt: “Ich dachte, ich könnte etwas verändern, aber vielleicht habe ich nur Türen geöffnet, die besser geschlossen geblieben wären”.
Um die Tragweite dieses Satzes zu verstehen, muss man die beiden Leben des Alexander Gauland betrachten, die nun in seinen letzten, stillen Tagen aufeinanderprallen.
Da war der öffentliche Gauland. Der Mann, der 2013 auszog, um die politische Landschaft umzupflügen. Der ehemalige CDU-Mann, der Journalist, der die AfD von einer euroskeptischen Protestbewegung zu einer der mächtigsten Oppositionsparteien des Landes formte. Er war der Stratege, der wusste, wie man Worte zu Waffen formt. Er verstand, dass man in einer Zeit der politischen Müdigkeit Emotionen auslösen muss, um gehört zu werden. Seine Reden waren kalkuliert, seine Provokationen legendär – wie jene berüchtigte Forderung, stolz auf die “Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen” zu sein. Er gab einer Bewegung, die sich als “Stimme des Volkes” sah, eine intellektuelle Fassade. Doch er selbst muss nun mitansehen, wie aus dieser Stimme, wie er sagt, “ein Schrei” wurde.
Und dann ist da der private Gauland, ein Mann, den die Öffentlichkeit nie wirklich zu Gesicht bekam. Ein Mann, der in einem alten Haus in Potsdam lebt, umgeben von hohen Bücherregalen, dem Geruch von Pfeifentabak und den Klängen von Bach und Händel. Ein Mann, der seit Jahrzehnten fernab von Skandalen mit seiner Frau Eva verheiratet ist, die als “ruhige Kraft” in seinem Leben beschrieben wird. Ein Vater von zwei Kindern, die er bewusst aus der Politik heraushielt. In seinem Arbeitszimmer, so heißt es, hängen Porträts von Bismarck und Adenauer – Denker, die zwischen Macht und Moral schwankten.

Genau diese Moral scheint Gauland nun eingeholt zu haben. Die Aufnahmen zeigen ihn in Momenten tiefster Introspektion, konfrontiert mit den Geistern seiner eigenen Vergangenheit. Man sieht den Kontrast zwischen den Archivbildern – Gauland mit erhobener Faust im Bundestag, umjubelt von Tausenden – und dem heutigen, gebrechlichen Mann, dessen Stimme kaum noch trägt.
Das vielleicht schockierendste Eingeständnis, das in den Berichten über seine letzten Wochen auftaucht, ist seine späte Einsicht in die Dynamik, die er selbst mit angestoßen hat. Er gibt zu, die “Radikalisierung innerhalb der Partei zu lange ignoriert” zu haben. Es ist das Bekenntnis eines Mannes, der glaubte, ein Feuer kontrollieren zu können, das längst zu einem Flächenbrand geworden ist. In einem seiner Notizhefte soll der Satz stehen: “Macht ist nie das Ziel, sondern die Falle”.
In diesen Tagen der Isolation und Reflexion, so wird berichtet, arbeitet Gauland fieberhaft an einem letzten Werk. Ein Manuskript mit dem Titel “Nach dem Sturm”. Es soll keine politische Analyse sein, sondern eine persönliche Abrechnung. Quellen, die angeblich Auszüge gesehen haben, beschreiben den Text als “schonungslos ehrlich”, fast “schmerzhaft introspektiv”. Gauland schreibe nicht über Strategien, sondern über “Schuld, Irrtum und den Preis der Überzeugung”.
In Potsdam, so heißt es, sortiert er alte Ordner, handschriftliche Notizen, verbrennt alte Briefe im Kamin. Er scheint zu versuchen, die Kontrolle über seine eigene Erzählung zurückzugewinnen, bevor andere sie für ihn schreiben. Dieses Manuskript, so wird gemunkelt, könnte ein politischer Sprengsatz sein – eine Enthüllung interner Machtspiele und Intrigen, die das Fundament seiner eigenen Partei erschüttern könnten. Verlage sollen bereits Schlange stehen. Doch Gauland selbst scheint zu zögern. “Ich weiß nicht, ob die Wahrheit die Welt heilt oder sie nur noch wütender macht”, soll er einem Vertrauten gesagt haben.

Der emotionale Höhepunkt dieser Berichte ist die Beschreibung einer “letzten Aufnahme”, einer finalen Szene, die dem Filmteam gewährt wurde. Minutenlang herrscht Stille, bevor Gauland mit ruhiger Stimme spricht. “Ich habe mein Leben damit verbracht zu erklären, zu verteidigen, zu rechtfertigen”, sagt er. “Aber es gibt Dinge, die sich nicht rechtfertigen lassen”.
Er spricht über die Verwandlung von Worten in Waffen und über die Leere, die nach dem Sieg bleibt. Schließlich liest er den letzten Absatz seines Manuskripts vor: “Ich habe geglaubt, ich könne die Geschichte schreiben, aber Geschichte schreibt uns alle … Ich bin kein Opfer und kein Held, nur ein Zeuge dessen, was Menschen aus Angst, Stolz und Überzeugung tun können. Wenn es eine Wahrheit gibt, dann diese: Alles, was bleibt, ist Verantwortung”.
Nachdem das Team gegangen ist, bleibt Gauland am Fenster stehen. Der Regen hat aufgehört. “Vielleicht”, so flüstert er, “ist das das erste Mal, dass ich wirklich frei bin”.
Die Gerüchte über “große Trauer”, die in sensationsheischenden Titeln verbreitet werden, scheinen sich auf eine andere Art zu bewahrheiten. Es ist nicht der physische Tod, der hier betrauert wird, sondern der Tod einer politischen Persona. Es ist die Trauer über ein Erbe, das seinem Schöpfer aus den Händen geglitten ist. Alexander Gauland, der Mann, der einst auszog, um Deutschland zu verändern, sitzt nun in seinem stillen Haus in Potsdam, ein Zeuge seiner eigenen Geschichte, und versucht, mit der Verantwortung für die Türen zu leben, die er geöffnet hat – und die sich nun vielleicht nie wieder schließen lassen.
 
								 
								 
								 
								 
								