„Doppelmoral!“ – Chrupallas Generalangriff auf Merz, die SPD und Brüssel: Das TV-Interview, das Deutschland spaltet

Die politische Luft in Deutschland ist zum Schneiden gespannt. In einer Zeit, in der das Land mit wirtschaftlichen Sorgen, internationalen Krisen und einer tief gespaltenen Gesellschaft ringt, hat CDU-Chef Friedrich Merz eine Debatte losgetreten, die den Nerv der Nation trifft: die „Stadtbild-Debatte“. Seine Äußerungen über die Veränderung des öffentlichen Raums durch Migration haben eine Pandora-Büchse geöffnet. Doch während die etablierten Parteien noch die Worte wägen, hat Tino Chrupalla, Partei- und Fraktionsvorsitzender der AfD, die Bühne betreten – nicht, um Merz beizupflichten, sondern um zum Generalangriff anzusetzen.
In einem explosiven Interview mit dem Nachrichtensender WELT rechnete Chrupalla nicht nur mit Friedrich Merz ab, sondern auch mit der SPD-geführten Regierung und der Europäischen Union. Es war keine bloße Stellungnahme; es war eine politische Kriegserklärung, die das Selbstverständnis der Bundesrepublik herausfordert.
Der Kern von Chrupallas Attacke auf den CDU-Chef ist ein Wort: „Doppelmoral“. Chrupalla bezeichnete die Haltung von Friedrich Merz als “erstaunlich”. Der Vorwurf wiegt schwer: Während Merz nun vage über Probleme im „Stadtbild“ klage, sei es die AfD, die seit Jahren konkret auf diese Missstände hinweise. Der emotionale Haken, den Chrupalla ausspielt, ist die gefühlte Ungerechtigkeit der medialen und politischen Behandlung. „Wenn hätte ich die getätigt“, so Chrupalla über Merz‘ Aussagen, „stünde wahrscheinlich gleich der Verfassungsschutz wieder vor der Tür und würde mir sofort unterstellen, dass ich hier nicht differenziere, dass ich hier verallgemeinere.“
Chrupalla wirft Merz genau das vor: mangelnde Konkretisierung und Verallgemeinerung. Doch sein eigentlicher politischer Dolchstoß zielt tiefer. Er dreht den Spieß um und beschuldigt die Union, die Architektin genau jener Probleme zu sein, die Merz nun beklage. „Er bemängelt jetzt Zustände, die seine Partei, die er selber mit verursacht hat“, konstatiert Chrupalla trocken. Es ist eine direkte Anklage gegen 16 Jahre CDU-geführte Migrationspolitik unter Angela Merkel. Für Chrupalla ist Merz damit nicht Teil der Lösung, sondern das Gesicht des Problems.
Wo Merz vage bleibt, wird Chrupalla brutal konkret. Auf die Frage, was die AfD an der Regierung ändern würde, um das „Stadtbild“ zu beeinflussen, lautet die Antwort: „Man muss sofort mit Recht und Gesetz durchsetzen anfangen.“ Er zeichnet ein düsteres Bild von „vermöllten Ecken“, „No-Go-Areas, wo die Polizei sich nicht mehr hintraut“, Straßenrennen und Prügeleien.
Chrupallas Rezept ist das einer Null-Toleranz-Politik. Er fordert, den Rechtsstaat in diesen „Kriminalitätshotspots“ durchzusetzen. Doch er belässt es nicht bei der Symptombekämpfung. Er knüpft die Kriminalität direkt an die Migrations- und Abschiebepolitik. Man müsse „natürlich dann auch schauen, was sind das für Personen? Gehören die hierher? Haben die ein Bleiberecht, ein Aufenthaltsrecht?“ Für Chrupalla ist die Konsequenz klar: Wer straffällig wird und keinen deutschen Pass hat, dessen Aufenthaltstitel müsse „aberrkannt werden“ und die Person „muss aufgegriffen und dann notfalls auch abgeschoben werden.“
Er wiederholt die Kernbotschaft der AfD seit 2015: Der „Zustrom von vielen Kulturen“ habe dazu geführt, dass die „Integration eben nicht funktioniert hat.“ Die Warnungen seiner Partei seien ignoriert worden – „und nun hat man natürlich den Salat.“
Doch das Interview war mehr als nur eine Abrechnung mit der Migrationspolitik. Es war eine Demonstration der Wehrhaftigkeit in einer Zeit, in der die AfD selbst unter massivem Druck steht. Angesprochen auf die schweren Vorwürfe der Russlandspionage, wonach die AfD über parlamentarische Anfragen sicherheitsrelevante Informationen für Moskau sammle – ein Vorwurf, den Thüringens SPD-Innenminister Georg Maier erhob –, wechselt Chrupalla sofort vom Verteidigungs- in den Angriffsmodus.

Er tut den Vorwurf als „teilweise so lustig“ ab und stellt die „Ernsthaftigkeit von Herrn Maier“ fundamental infrage. Chrupalla stilisiert die Anfragen als das „einzige Recht“ der Opposition und wirft Maier im Gegenzug vor, Abgeordnete „kriminalisieren“ zu wollen. Er sieht darin eine gezielte „Propaganda“-Kampagne von CDU und SPD, um ein „Verbotsverfahren“ gegen die AfD vorzubereiten, indem man sie als „Spione Moskaus“ brandmarkt.
Es ist eine kühne Umkehrung der Tatsachen: Nicht die AfD sei der Feind der Demokratie, sondern der Innenminister, der das parlamentarische Fragerecht infrage stelle. Chrupalla eskaliert die Rhetorik auf ein neues Niveau, indem er die Handlungen des SPD-Ministers als „radikal“ bezeichnet.
Diese Taktik der Täter-Opfer-Umkehr setzt er nahtlos bei der Debatte um die sogenannte „Brandmauer“ fort. Konfrontiert mit der Forderung von Brandenburgs Regierungschef Dietmar Woidke, die AfD müsse ihre „Extremisten rausschmeißen“, um koalitionsfähig zu werden, winkt Chrupalla ab. Er nennt es ein „Spielchen“ zu sortieren, „mit der Person ja, mit der Person nicht.“
Er positioniert die AfD als „Rechtsstaatspartei“ mit „roten Linien“, die auf dem Grundgesetz fuße. Seine Kernaussage ist ein Frontalangriff: „Wir haben keine Extremisten.“ Stattdessen, so Chrupalla, zeige der Thüringer Innenminister Maier „extremistische Tendenzen“, wenn er Parlamentarier mundtot machen wolle.
Den finalen und vielleicht weitreichendsten Schlagabtausch lieferte das Interview jedoch beim Thema Europa. Es ging um eine mögliche Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) über Mindeststandards für Geldleistungen an abgelehnte Asylbewerber. Chrupalla bekräftigte die AfD-Forderung nach reinen Sachleistungen statt Geld, um die „Pull-Faktoren“ zu minimieren und die „absolut überlasteten“ Sozialsysteme zu schützen.
Die entscheidende Frage war: Was passiert, wenn der EuGH Deutschland zwingt, weiterhin Geld zu zahlen?
Chrupallas Antwort war ein Ultimatum an Brüssel. Wenn das Gericht so entscheide, müsse Deutschland „aussteigen“ – sprich, die EU-Aufnahmerichtlinie verlassen. Es war eine unverhohlene Drohung, die er sofort zu einer Generalabrechnung mit der Europäischen Union ausweitete. „Wir lassen uns doch nicht von Brüssel vorschreiben, was in Deutschland gut und richtig ist!“, polterte er. Er nannte das Verbrennerverbot und die Brüsseler Bürokratie als weitere Beispiele dafür, wie die EU die souveränen Länder „knebelt“. Sein Fazit war vernichtend: „Diese EU, wie sie existiert, ist für uns, für Deutschland, schädlich.“
Tino Chrupalla hat in diesen wenigen Minuten im WELT-Studio nicht nur ein Interview gegeben. Er hat die politischen Kampfzonen für die kommenden Monate abgesteckt. Er hat Friedrich Merz der Heuchelei bezichtigt, der SPD verfassungsfeindliche, “radikale” Taktiken unterstellt und der EU offen mit dem Ausstieg aus zentralen Vereinbarungen gedroht.
Er positionierte die AfD als die einzige, wahre Opposition – nicht nur gegen die amtierende Ampel-Regierung, sondern auch gegen das, was er als einheitlichen Block aus CDU, SPD und Brüsseler Technokraten darstellt. Das Interview war eine kalkulierte Provokation, eine bewusste Zurschaustellung von Härte und Unnachgiebigkeit. Es war der Versuch, die „Stadtbild-Debatte“ von Merz zu kapern und sie in eine fundamentale Systemfrage umzuwandeln. Ein Generalangriff, der die politische Landschaft Deutschlands weiter polarisieren wird.
 
								 
								 
								 
								 
								