Ein geheimer Milliarden-Deal, den kaum jemand kommen sah: Wird genau dieser Schritt das Ende von Netflix in Deutschland einläuten und eine neue Ära des Streamings beginnen – mit völlig anderen Regeln, Machtverhältnissen und Gewinnern, als wir sie bisher kannten?
Nach der Übernahme von Sky will RTL-CEO Thomas Rabe „auf Augenhöhe“ mit den großen US-Streamern agieren. Das wird ein weiter Weg, zeigen exklusive Daten.Tobias Gürtler27.06.2025 – 18:09 Uhr
Bertelsmann- und RTL-Chef Thomas Rabe Foto: Bertelsmann SE & Co. KGaA
An Superlativen sparte Thomas Rabe am Freitagmorgen nicht: Die geplante Übernahme von Sky Deutschland sei ein „Meilenstein“ nicht nur für Bertelsmann, sondern für die ganze „europäische Medienlandschaft“, schwärmte der Bertelsmann- und RTL-Chef. Man übernehme damit „Verantwortung für den Wirtschaftsstandort Deutschland“ und trage zur „Stärkung der europäischen Medienmärkte“ bei, die „im Wettbewerb mit den globalen Tech- und Streamingplattformen zwingend ist“, hieß es weiter.
150 Millionen Euro in bar will sich die Bertelsmann-Tochter RTL Group die Übernahme des Bezahlsenders und Streamingdienstanbieters kosten lassen, der seit 2018 zum US-Konzern Comcast gehört. In den nächsten fünf Jahren könnte der Kaufpreis, je nach Entwicklung des RTL-Aktienkurses, noch auf bis zu 527 Millionen Euro anwachsen. Nach dem Vollzug, der für 2026 erwartet wird, soll Sky Deutschland ein Teil von RTL Deutschland werden, die Marken sollen für sich jedoch weiter bestehen bleiben.
Sollte der Deal bei den Behörden durchgehen, wäre es die größte Transaktion seit Gründung der RTL-Gruppe vor 25 Jahren. Und, darauf spielt Bertelsmann-Chef Rabe in seinen großen Worten mit Blick auf die Bedeutung des Deals an: Es wäre ein zentraler Schritt auf dem Weg zur Konsolidierung im europäischen Fernseh- und Streamingmarkt. Denn die börsennotierte RTL-Gruppe würde im deutschsprachigen Raum dann nicht nur jede Menge TV-Sender und Magazine vereinen. Sondern auch die beiden derzeit größten deutschen bezahlpflichtigen Streamingdienste: RTL+ und Wow.
„Wir sehen uns im Verbund mit Sky als klarer nationaler Medienchampion in Deutschland, der alle Voraussetzungen und Ressourcen hat, um im Wettbewerb mit den US-Plattformen zu bestehen“, sagt Rabe dazu im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Reuters. Und auch Medienstaatsminister Wolfram Weimer lobt den Zusammenschluss als ein notwendiges „Gegengewicht zu den dominierenden amerikanischen Plattformen“.
Schafft der Bertelsmann- und RTL-Chef hier also endlich einen ernstzunehmenden deutschen Konkurrenten für Netflix und Amazon?
Verdopplung der Abonnenten
Auf den ersten Blick sehen die Karten dafür tatsächlich nicht schlecht aus. Immerhin würden Sky Deutschland und RTL laut Unternehmensangaben zusammen 11,5 Millionen zahlende Streaming-Abonnenten zählen. Das entspräche in etwa einer Verdopplung der bisherigen RTL+-Abonnenten-Zahl. Der Deal würde das Unternehmen auf einen Schlag „auf Augenhöhe mit den amerikanischen Plattformen, vor allem Netflix und Amazon Prime“ bringen, gelobt Thomas Rabe.
Die Streaming-Dienste RTL+ und Wow von Sky wären dann zusammen deutlich vor Disney auf Platz 3, aber noch immer klar hinter Marktführer Netflix und Amazons Prime. Weder Netflix noch Amazon Prime legen Abonnentenzahlen spezifisch für Deutschland offen. Schätzungen zufolge soll Netflix hierzulande aber auf etwa 16,6 Millionen Abonnenten kommen, Amazon Prime auf etwa 15 Millionen.
Es wäre damit noch ein weiter Weg bis zur wirklichen „Augenhöhe“ zu den US-Streaminggiganten im deutschen Markt. Und dennoch: Der Deal brächte RTL und Bertelsmann auf diesem Weg in jedem Fall weit voran.
So zeigt eine Datenauswertung des Unternehmens JustWatch, die der WirtschaftsWoche exklusiv vorliegt: Ein Zusammenschluss von RTL+ und Wow (Sky) würde mit Blick auf Film- und Serienstreaming derzeit etwa einen Marktanteil von rund 12 Prozent in Deutschland ausmachen. Damit läge das kombinierte Angebot auf Platz vier im Marktanteilsranking – vor Apple TV+ (8 Prozent), aber noch weit hinter den großen globalen Anbietern wie Disney+ (17 Prozent), Netflix (25 Prozent) und Prime Video (28 Prozent).
Zudem sind die Marktanteile, insbesondere von RTL+, der Auswertung zufolge zuletzt stärker gewachsen als die jedes anderen Streamingdienstes. Und während Disney+ (minus 2 Prozent), Netflix und Prime Video (jeweils minus 1 Prozent) im Vergleich zum Vorjahr einbüßten, konnte Wow seine Position zumindest halten.
Die angenommenen Marktanteile basieren dabei auf einer Messung des Interesses an den jeweiligen Streamingdiensten über die Plattform JustWatch, eine Art digitale Programmzeitschrift für Streamingdienste. „Wir können nicht mit Gewissheit sagen, dass diese Nutzer auch den Streaming-Service abonniert haben, jedoch sind es schon sehr starke Signale“, sagt Leonard Brahm, der die Daten für JustWatch auswertet.
Entscheidend allerdings: Nur die On-Demand-Nutzung von Filmen und Serien ist in der Auswertung erfasst, nicht aber Liveübertragungen. Und die sind, insbesondere im Sportbereich, zentral für den geplanten RTL-Zukauf. Die tatsächlichen Marktanteile dürften bei Wow demzufolge noch einmal bedeutend höher liegen.
So sicherte sich Sky Deutschland zuletzt gegen harte Konkurrenz die meisten Live-Spiele der 1. Fußball-Bundesliga und alle Partien der 2. Bundesliga. Zudem überträgt Sky die Formel 1, Tennis und Golf. Mit RTL gibt es auch bereits eine Kooperation im Sport. Sky hält derzeit die Rechte für alle Rennen der Formel 1 und lässt parallel sieben Große Preise beim Free-TV-Sender laufen. RTL durfte im Rahmen dieser „strategischen Partnerschaft“ zuletzt auch einige Fußball-Inhalte zeigen, darunter Konferenzschaltungen der 2. Fußball-Bundesliga sowie einzelne Spiele der Premier League und der Europa League.
Künftig dürfte es weitere Kooperationen und Cross-Promotions geben. Bertelsmann-Chef Thomas Rabe rechnet innerhalb von drei Jahren mit jährlichen Synergieeffekten in Höhe von 250 Millionen Euro.
Defizitäre Jahre
Und doch ist bei diesem Kaufobjekt nicht alles Gold, was glänzt. Das zeigt schon der Kaufpreis, den Comcast nun für Sky Deutschland gegenüber RTL aufruft – und der symptomatisch niedrig ist. So war Sky Deutschland vor elf Jahren noch mit 6 Milliarden Euro bewertet worden. Vor zwei Jahren dann hatte Comcast das Unternehmen immerhin noch für eine Milliarde Euro feilgeboten, das Doppelte des jetzigen Kaufpreises also.
Grund für den massiven Wertverlust: Sky Deutschland hat schwierige Jahre hinter sich, gegenüber Konkurrenten wie dem Streamingdienst DAZN auch im für das Unternehmen so wichtigen Sportbereich an Boden verloren. Nach 25 Jahren musste man an den Konkurrenten etwa zuletzt die Rechte für die bei Zuschauern beliebte „Konferenz“ der Fußball-Bundesliga abgeben, bei der zwischen den Spielen hin- und hergeschalten wird. Die Spiele der „Champions League“, lange ein wichtiger Schwerpunkt des Sky-Programms, überträgt derweil inzwischen Amazon Prime.
Zwischenzeitlich war Sky Deutschland zehn Jahre lang nicht profitabel, verzeichnete allein 2020 vier Milliarden Euro Verlust, war 2022 1,63 Milliarden im Minus. Im Zuge der daraufhin eingeleiteten Sanierungsmaßnahmen wurden kostspielige Eigenproduktionen im Fiction-Bereich (sogenannte „Sky Originals“) ab 2024 eingestellt. Was wiederum das hauseigene Angebot weiter schwächte.
„Das Geschäft war vor ein paar Jahren defizitär und soll in diesem Jahr die Gewinnschwelle erreichen“, gelobt nun allerdings Thomas Rabe. Und: „Das ist eine gute Grundlage, um mit RTL im Verbund Synergien zu heben und den Wert der Geschäfte weiter zu steigern.“ Jährlich würde das zusammengeführte Unternehmen mit dem Deal künftig rund 2,5 Milliarden Euro in Inhalte investieren.
Weitere Übernahmen im Zuge des Konkurrenzkampfs mit den US-Streamingdiensten plant Rabe indes explizit nicht. So hatte der Bertelsmann-Chef in der Vergangenheit etwa wiederholt mit einer Fusion mit dem Konkurrenten ProSiebenSat.1 geliebäugelt. Dieses Thema habe sich nun aber „definitiv erledigt”, sagte er am Freitag der Nachrichtenagentur Reuters.
Die Übernahme von Sky Deutschland sei „für uns die deutlich bessere Option, weil das Geschäft komplementär ist zu RTL“, erklärte Rabe. „Eine weitere Konsolidierung für uns auf dem deutschen Markt ist nicht erforderlich und würden wir auch nicht anstreben.“