Seit über drei Jahrzehnten wirft ein Schatten einen dunklen Schleier über das Leben einer der berühmtesten Familien Italiens. Es ist die Geschichte von Ylenia Carrisi, der strahlenden, intelligenten und abenteuerlustigen Tochter des legendären Musiker-Duos Al Bano und Romina Power, die im Januar 1994 im pulsierenden Labyrinth von New Orleans spurlos verschwand. Ihr Verschwinden ist mehr als nur ein ungelöster Kriminalfall; es ist eine menschliche Tragödie, die eine Familie entzweit und zwei Elternteile auf völlig entgegengesetzte Wege des Schmerzes und der Bewältigung geführt hat. Während Romina Power mit der unerschütterlichen Überzeugung einer Mutter daran festhält, dass ihre Tochter noch am Leben ist, hat Al Bano einen schmerzhaften Schlussstrich gezogen – ein Riss, der bis heute nicht verheilt ist.
Die Geschichte beginnt Ende 1993. Ylenia, eine 23-jährige Studentin am King’s College in London, beschließt, sich eine Auszeit zu nehmen, um die Welt zu bereisen. Mit nur einem Rucksack und ihrem Tagebuch macht sie sich auf den Weg, um Inspiration für einen Roman zu finden. Ihre Reise führt sie durch Süd- und Mittelamerika, bis sie schließlich in New Orleans ankommt – einer Stadt, die für ihre Mystik, ihre Musik und ihre dunklen Geheimnisse bekannt ist. Hier, im French Quarter, verliert sich ihre Spur. Die letzten, die von ihr hörten, waren ihre Eltern am Telefon in der Silvesternacht. Am 6. Januar 1994 verlässt sie ihr Hotel ohne ihr Gepäck, ohne ihren Pass, ohne einen Hinweis, wohin sie gehen würde. Sie kehrt nie wieder zurück.
Die sofort eingeleitete Suche verläuft im Sand. Die Polizei von New Orleans ermittelt, doch die Hinweise sind spärlich und widersprüchlich. Ein Sicherheitsmann berichtet von einer jungen Frau, die seiner Beschreibung nach Ylenia sein könnte und die sich mit den Worten „Ich gehöre ins Wasser“ in den Mississippi gestürzt haben soll. Eine intensive Suche im Fluss bleibt erfolglos. Ihr Begleiter, ein zwielichtiger Straßenmusiker namens Alexander Masakela, wird kurzzeitig festgenommen, aber aus Mangel an Beweisen wieder freigelassen. Die Akte Ylenia Carrisi wird zu einem der vielen ungelösten Rätsel der Stadt.
Für Al Bano und Romina Power beginnt ein Albtraum, aus dem es kein Erwachen gibt. In den ersten Jahren nach dem Verschwinden klammern sich beide noch an die Hoffnung. Sie treten in Fernsehsendungen auf, starten öffentliche Suchaufrufe und versprechen hohe Belohnungen für Hinweise. Doch mit jedem Jahr, das vergeht, wächst die Verzweiflung und mit ihr die Kluft zwischen den Eltern.
Al Bano, der Patriarch, der Mann, der stets versuchte, seine Familie zu beschützen, beginnt langsam, die schrecklichste aller Möglichkeiten zu akzeptieren. Die Aussage des Sicherheitsmanns am Mississippi brennt sich in sein Gedächtnis. Er kommt zu der Überzeugung, dass seine Tochter in einem Moment der Verwirrung, möglicherweise unter dem Einfluss von Drogen, den Freitod gewählt hat. Für ihn ist diese Annahme der einzige Weg, um mit dem unerträglichen Schweigen und der Ungewissheit Frieden zu schließen. Nach fast 20 Jahren des vergeblichen Wartens trifft er eine Entscheidung, die das Band zu seiner Ex-Frau endgültig zerschneiden sollte: Im Jahr 2013 beantragt er offiziell die Todeserklärung für Ylenia. Ein juristischer Akt, der für ihn ein notwendiger Schritt zur Trauerbewältigung ist, für Romina jedoch einem Verrat gleichkommt. Im Dezember 2014 wird Ylenia Maria Sole Carrisi für tot erklärt.
Für Romina Power ist dieser Tag eine Katastrophe. Sie hat die Hoffnung nie aufgegeben. In ihren Augen ist die Geschichte vom Sprung in den Mississippi nur eine von vielen unbewiesenen Theorien. Ihre mütterliche Intuition sagt ihr etwas anderes. Sie glaubt fest daran, dass Ylenia sich bewusst aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat, um ein neues Leben zu beginnen, frei vom Druck ihres berühmten Namens. „Ich weiß, dass sie noch lebt. Ich spüre es“, wiederholt sie immer wieder in Interviews. Sie prangert die Entscheidung von Al Bano öffentlich an, nennt sie herzlos und respektlos gegenüber der Möglichkeit, dass ihre Tochter eines Tages zurückkehren könnte. Die offizielle Todeserklärung zementiert den Bruch des einstigen Traumpaares. Ihre musikalische Harmonie, die Millionen Menschen begeistert hatte, weicht einer tiefen persönlichen Dissonanz.
Über die Jahre tauchen immer wieder angebliche Sichtungen auf. Menschen wollen Ylenia in Arizona, in der Dominikanischen Republik oder in einem Kloster in Österreich gesehen haben. Jeder dieser Hoffnungsschimmer erweist sich als falscher Alarm und reißt die Wunden bei Romina wieder auf, während Al Bano sich in seinem schmerzlichen Realismus bestätigt fühlt.
Doch nun, mehr als 30 Jahre nach Ylenias Verschwinden, gibt es eine neue Entwicklung, die das fragile Gleichgewicht des Vergessens erneut ins Wanken bringt. Ein Privatdetektiv will eine neue, vielversprechende Spur in den USA entdeckt haben. Details sind rar, aber für Romina Power ist es genug, um sofort zu handeln. Berichten zufolge reiste sie in die Vereinigten Staaten, um den neuen Hinweisen persönlich nachzugehen. Diese Nachricht schlägt in den italienischen Medien hohe Wellen und entfacht die Diskussion um den Fall Ylenia von Neuem. Ist es diesmal anders? Könnte es sein, dass die unerschütterliche Hoffnung einer Mutter am Ende doch die tragische Gewissheit eines Vaters besiegt?
Diese neue Entwicklung unterstreicht den Kern des Dramas: den unversöhnlichen Konflikt zwischen Hoffnung und Akzeptanz. Romina Powers Kampf ist symbolisch für alle Eltern vermisster Kinder, die sich weigern, das Unfassbare anzuerkennen. Ihre Suche ist ein Akt des Glaubens, ein Versprechen an ihre Tochter, sie niemals aufzugeben. Al Banos Haltung hingegen spiegelt den verzweifelten Versuch wider, einen Weg zu finden, um mit einem Verlust weiterzuleben, der keine Antworten bietet. Sein Schmerz ist nicht geringer, aber seine Methode der Verarbeitung ist eine andere. Er hat einen mentalen Grabstein errichtet, um einen Ort für seine Trauer zu haben.
Die Tragödie hat nicht nur das Leben von Al Bano und Romina für immer verändert, sondern auch das ihrer anderen Kinder, die im Schatten dieses ungelösten Dramas aufwachsen mussten. Die Familie, die einst als Inbegriff des Glücks galt, wurde durch das Schicksal zerrissen. Der Name Ylenia steht nicht mehr nur für die talentierte junge Frau, sondern für eine offene Wunde, die die Zeit nicht heilen kann.
Solange es keine endgültige Antwort gibt, wird die Frage weiter im Raum stehen: Was ist mit Ylenia Carrisi geschehen? Ist sie ein Opfer eines Verbrechens geworden? Hat sie sich entschieden, für immer zu verschwinden? Oder hat der Mississippi ihr Leben genommen? Für die Welt bleibt es ein fesselndes Mysterium. Für ihre Eltern ist es die persönliche Hölle auf Erden – ein endloser Kampf zwischen dem Glauben an ein Wunder und der Notwendigkeit, einen Abschluss zu finden, wo es keinen gibt. Und während Romina Power einer neuen Spur voller Hoffnung folgt, bleibt Al Bano bei seiner traurigen Überzeugung und die Welt schaut zu, gefangen in der herzzerreißenden Saga einer Familie, die vom Schicksal für immer gezeichnet ist.