Die Öffentlichkeit sieht einen Mann, der Haltung bewahrt. Christian Neureuther, 76 Jahre alt, die Skilegende, der charmante TV-Experte, der Patriarch einer der beliebtesten Familien Deutschlands. Man sieht ihn lächeln, stark für die Enkelkinder. Doch hinter der gefassten Fassade, die er über ein Jahr lang aufrechterhielt, verbirgt sich eine Wahrheit, die nun leise durchsickert. Eine Wahrheit, die er endlich zugibt: Das Leben ohne seine Rosi hat ihn gebrochen. Es ist das schmerzhafte Eingeständnis eines Mannes, der nach über 50 gemeinsamen Jahren die Stücke seines Lebens neu zusammensetzen muss.
Es begann alles mit einem Sturz, der zum Segen wurde. Einem Moment, der wie ein Blitzschlag war. Wir schreiben das Jahr 1966. Ein junger, 16-jähriger Christian Neureuther fährt ein Rennen im Kleinwalsertal. Mitten im Lauf löst sich seine Bindung, er stürzt den Hang hinunter, direkt vor die Füße einer 15-jährigen Zuschauerin namens Rosi Mittermaier. Sie erinnerte sich ein Leben lang an diesen Augenblick. “Er ist gefallen, aber dann hat er gelacht”, erzählte sie oft. “Und ich dachte, der ist okay, ein guter Typ”. Dieser unbeholfene Sturz markierte den Beginn einer der ikonischsten und bodenständigsten Liebesgeschichten Deutschlands.

Zwei Teenager auf Skiern, mit Träumen in den Augen. Anfangs waren sie nur “Skikinder”, die sich auf Wettkämpfen und beim Training über den Weg liefen. Er, der aufstrebende Slalomspezialist; sie, das sprühende Talent voller Sonnenschein. Sie sahen sich manchmal monatelang nicht, doch ein unsichtbares Band war bereits geknüpft.
Jahrelang hielten sie ihre aufkeimende Beziehung aus der Öffentlichkeit heraus. Während die Fans sie auf Podien und Magazin-Covern sahen, bauten sie im Stillen etwas auf, das stärker war als Ruhm: Vertrauen, Respekt und unendlich viel Lachen. In der Nebensaison, fernab der Kameras, vertiefte sich ihre Verbindung durch handgeschriebene Briefe. Christian Neureuther bewahrt bis heute jeden einzelnen Brief auf, den Rosi ihm geschrieben hat. Für ihn war ein Detail das Wichtigste: wie sie unterschrieb. “Mir war wichtig, dass sie ‘Deine Rosi’ schrieb, nicht nur ‘Rosi'”, verriet er einmal. Eine kleine Phrase, aber ein großes Versprechen der Zugehörigkeit.
Sie waren, wie ihre Tochter Amelie es später beschrieb, “perfekte Gegengewichte”. In vielerlei Hinsicht waren sie Gegensätze. Rosi, die sich selbst als Realistin sah, die Bodenständige. Christian, der emotionale Träumer, der Romantiker. Er nannte sie liebevoll “die Bedenkenträgerin”, während sie ihn als “den Anschubser” bezeichnete, den Motivator. Doch ihre Unterschiede waren keine Hindernisse; sie waren Anker. “Sie nehmen einander genauso, wie sie sind”, fasste Amelie das Geheimnis ihrer Ehe zusammen.
Über 50 Jahre standen sie im Rampenlicht. Rosi wurde als “Goldrosi” nach ihren triumphalen Siegen bei den Olympischen Spielen 1976 in Innsbruck zur Nationalheldin. Christian gewann sechs Weltcuprennen. Doch Skandale oder öffentliches Drama? Fehlanzeige. Sie lebten nicht für die Aufmerksamkeit. Sie lebten füreinander. Nach dem Karriereende zogen sie nicht nach Monaco oder Hollywood. Sie blieben in Bayern, in ihrer Heimat. Christian in Garmisch-Partenkirchen, Rosi auf der Winkelmoos Alm in Reit im Winkel.

Hier zogen sie ihre Kinder, Amelie und Felix, mit einem starken Sinn für Normalität groß. “Wir wollten einfach ein echtes Zuhause für sie”, sagte Christian. Der Name Neureuther brachte Erwartungen mit sich, doch ihr Zuhause war ein Ort der Ausgewogenheit, nicht des Drucks. Ihr Sohn Felix, selbst ein Weltklasse-Skifahrer, nannte seine Eltern in einer BR-Dokumentation “ein Team” – nicht nur auf der Piste, sondern im Leben. Ihr Schlüssel, so Rosi, war einfach: “sich jeden Tag gegenseitig glücklich machen zu wollen”. Für sie war der wahre Erfolg nicht olympisches Gold, sondern morgens neben dem anderen aufzuwachen mit derselben Freude wie am ersten Tag.
Doch selbst die stärkste Liebe kann die Zeit nicht aufhalten. Im Jahr 2021 begann Rosi, Symptome zu zeigen, die zunächst harmlos wirkten. Anhaltende Müdigkeit, allgemeines Unwohlsein, Rückenschmerzen, die nicht nachließen. Sie schob es auf das Alter, auf die Langzeitfolgen eines Lebens im Hochleistungssport. Doch Christian drängte sie, ärztliche Hilfe zu suchen.
Die Diagnose war ein tiefer Schock für die Familie: ein seltener und aggressiver Lymphdrüsenkrebs. Von diesem Moment bis zu ihrem Tod vergingen nur etwa acht Monate. Das Paar traf eine bewusste Entscheidung: Sie machten die Krankheit nicht öffentlich. Sie wollten ihre verbleibende gemeinsame Zeit in Privatsphäre verbringen.
In diesen dunkelsten Monaten zeigte Rosi ihre wahre Stärke. Sie reagierte mit ihrer typischen Ruhe und Pragmatik. “Sie geriet nie in Panik”, erinnerte sich ihre Schwiegertochter Miriam Neureuter. Christian wich nicht von ihrer Seite, betreute sie ununterbrochen in ihrem Zuhause. Die Familie rückte enger zusammen als je zuvor. Felix und Miriam, die nur wenige Minuten entfernt wohnen, waren täglich da, um zu helfen.
Rosi blieb das emotionale Zentrum. Statt in Verzweiflung zu verfallen, war sie es, die ihre Familie tröstete. “Selbst in den schlimmsten Phasen ihrer Krankheit verlor Rosie nie ihre Fassung”, sagte Miriam. “Sie hat uns getröstet und motiviert, obwohl sie diejenige war, die krank war.”

Sie und Christian sprachen offen über alles, auch über den Tod und das Danach. Rosi hinterließ klare Wünsche für die Zukunft. Einer davon war, dass ihre Kinder sich um ihren Vater kümmern sollten. Ein anderer, ganz praktischer, zeigte ihre bodenständige Art: Sie bat Miriam, für die Enkelkinder keine Plastikspielzeuge zu kaufen.
Am 4. Januar 2023 starb Rosi Mittermaier friedlich im Schlaf, umgeben von ihrer engsten Familie. Ihr Tod hinterließ eine riesige Lücke, nicht nur in der Sportwelt, sondern vor allem im Herzen eines Mannes.
Für Christian Neureuther veränderte sich alles. Nach über 50 Jahren war die Stille, die sie hinterließ, ohrenbetäubend. “Wenn du nach Hause kommst und niemand da ist, mit dem du deinen Tag teilen kannst, das tut am meisten weh”, gestand er. Es ist dieses Eingeständnis, das er lange für sich behielt.
Doch mitten in der Trauer traf er eine Entscheidung: nicht nur mit ihrer Erinnerung zu leben, sondern durch sie. Sein neuer Kompass wurde ihr letzter Wunsch, den er in der BR-Sendung “Gipfeltreffen” mit seinem Sohn Felix teilte. “Sprich nicht über das, was ich erreicht habe”, hatte Rosi ihm gesagt. “Kümmere dich um die Kinder. Kümmere dich um die nächste Generation.”
Dieses Versprechen wurde zu seinem Lebensanker. Die Enkelkinder – Matilda, Leo, Lotta und Oscar – sind sein pures Glück. “Wenn sie auf mich zurennen und sich an mich klammern, das ist pures Glück”, sagte er. “Sie sind ein Stück Rosi, und ich glaube, genauso hat sie es gewollt.”
Die Trauer ist ein ständiger Begleiter, den die Familie nicht versteckt. Felix Neureuter gab offen zu, wie sehr ihn der Verlust seiner Mutter getroffen hat. Seine älteste Tochter ruft immer noch nach “Oma”, wenn sie traurig ist. Die Familie entwickelte Rituale, um damit umzugehen. Die Kinder legen Zeichnungen für Oma behutsam in den Garten, “damit die Engel sie in den Himmel tragen können”.
Christian selbst gesteht: “Ich bin ein emotionaler Mensch, natürlich weine ich. Aber bei Rosi gibt es eine Grenze, die ich halte”. Er erlaubt der Trauer nicht, ihn zu zerstören. Er wählt Dankbarkeit für die gemeinsame Zeit über die Verzweiflung.
Die Traditionen werden weitergeführt. Weihnachten wird genauso gefeiert wie immer, mit ihr. “Immer unter demselben Stern über der Krippe”, so Christian. “Rosi ist noch da. Sie ist nie wirklich fort.” Sie sprechen ständig über sie, erzählen lustige Geschichten, sie lachen viel. Das ist ihr Weg, sie bei sich zu behalten.
Die “Lebenslinien”-Dokumentation von 2024 mit dem Titel “Christian Neureuther und Rosi Mittermeier – eine unsterbliche Liebe” fängt dieses neue Leben eindrucksvoll ein. Sie ist nicht nur ein Porträt eines Mannes, der 75 wird, sondern ein Porträt des Überlebens nach dem Verlust. Der Film zeigt Archivaufnahmen ihrer Liebe – vom Sturz im Kleinwalsertal bis zu ihren Erfolgen. Und er zeigt neue Szenen: Christian im Atelier seiner Tochter Amelie, die farbenfrohe Bilder malt, inspiriert von ihrer Mutter. Christian beim Familienessen bei Felix, umgeben vom Lachen der Enkel.
Eine Szene aus einer älteren Doku trifft heute tiefer denn je: Christian und Rosi auf einer Bank am Kreuzjoch, sie teilen Brot und blicken auf die Berge. “Wir haben nie von Hawaii geträumt”, sagt Christians Stimme aus dem Off. “Wir haben davon geträumt, hier oben noch lange gemeinsam hinaufgehen zu können.”
Er hat diesen Aufstieg für sie gemacht. Und nun, so zeigt es der Film, steigt er weiter auf. Allein, aber nie ohne sie. Christian Neureuther, mit 76, hat sein Schweigen gebrochen, um die Tiefe seines Schmerzes zu zeigen. Aber mehr noch, um zu zeigen, dass er ihr größtes Vermächtnis erfüllt. Er spricht nicht über Medaillen. Er spricht über Liebe, über Güte, über das Weitergeben. Er sorgt dafür, dass “Deine Rosi” weiterlebt.