Das Schweigen nach dem Sturz: Die tragische Wahrheit über Rex Gildos Doppelleben

Es war ein trüber Samstagnachmittag, der 23. Oktober 1999. Im “Wohnparadies” in Bad Vilbel, einem Möbelhaus bei Frankfurt, drängten sich rund 3000 Menschen zwischen Sofas und Küchenzeilen. Sie waren nicht wegen der Möbel gekommen. Sie waren hier, um ihn zu sehen: Rex Gildo. Einst war er “Sexy Rexy”, der strahlende Prinz des deutschen Schlagers, ein Mann, dessen Lächeln Millionen Herzen zum Schmelzen brachte.

Doch der Mann, der an diesem Tag die provisorische Bühne betrat, war nur noch ein Schatten seiner selbst. Mit 63 Jahren, das pechschwarze Toupet saß perfekt wie immer, das Lächeln wirkte gequält. Ein Beobachter bemerkte später, er sei “schwach, krank und emotional abwesend” erschienen. Der Moderator kündigte an, Gildo leide seit Tagen an einem Virus, wolle aber für seine Fans da sein.

Er sang “Du bist mein Wunder”. Es war eine Qual. Augenzeugen berichteten von verfehlten Tönen, von einer stockenden Stimme, von einem Mann, der sich kaum auf den Beinen halten konnte. Es war ein herzzerreißender Anblick. Das Publikum klatschte höflich, vielleicht aus Mitleid, vielleicht in Erinnerung an bessere Zeiten. Die geplante Autogrammstunde wurde abrupt abgesagt. Rex Gildo verließ mit seinem Assistenten still den Ort. Niemand ahnte, dass dies der letzte Applaus war.

Nur wenige Stunden später, in seiner Münchner Wohnung, eskalierte eine Situation, deren Details bis heute im Dunkeln liegen. Nachbarn hörten einen Schrei. Dann ein dumpfes Geräusch. Rex Gildo war aus dem Fenster seiner Badezimmerwohnung im zweiten Stock gestürzt. Er lebte noch, als die Sanitäter eintrafen, aber seine Verletzungen waren katastrophal. Drei Tage lang kämpften die Ärzte um sein Leben. Am 26. Oktober 1999 starb er.

Die offizielle Todesursache: Unfall. Doch das Schweigen, das auf seinen Tod folgte, war lauter und ohrenbetäubender als all seine Hits. Es war ein Schweigen, das eine Lebenslüge deckte, die so perfekt inszeniert war, dass sie den Mann dahinter fast vollständig verschlungen hatte.

Um die Tragödie von Rex Gildo zu verstehen, muss man den Mann kennen, den es offiziell nie gab: Ludwig Franz Hirtreiter. Geboren am 2. Juli 1936 in Straubing, als jüngstes von fünf Kindern einer einfachen Postbeamtenfamilie. Der Junge aus Niederbayern war alles, was Rex Gildo nicht war: normal, unauffällig, echt.

Die Verwandlung begann in den 1950er-Jahren. Das Nachkriegsdeutschland sehnte sich nach Glamour, nach Leichtigkeit, nach einer heilen Welt. Hier trat Fred W. Mecky auf den Plan. Ein Musikproduzent mit einem untrüglichen Gespür für Talent und Vermarktbarkeit. Er sah in dem jungen Ludwig nicht nur einen Sänger, sondern ein formbares Idol. Mecky wurde sein Mentor, sein Manager, sein Schöpfer. Und, wie man heute weiß, für fast vierzig Jahre sein heimlicher Lebenspartner.

In einer Zeit, in der Paragraph 175 homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte, war eine solche Beziehung Karriereselbstmord. Ein schwuler Schlagerstar war undenkbar. Also begann die große Inszenierung. Aus Ludwig Hirtreiter wurde Alexander Gildo, dann der international klingende Rex Gildo. Seine Biografie wurde umgeschrieben: Plötzlich wollte er bei den Regensburger Domspatzen gesungen haben, seine Mutter sei eine Opernsängerin gewesen. Nichts davon stimmte. Man machte ihn sogar drei Jahre jünger, um ihn für das weibliche Publikum attraktiver zu machen.

Das Konstrukt war perfekt. Rex Gildo wurde zum Superstar. Er verkaufte über 40 Millionen Platten, spielte in über 30 Filmen mit. Lieder wie “Fiesta Mexicana” oder “Marie, der letzte Tanz ist nur für dich” wurden zu Hymnen einer ganzen Generation. Er war der ideale Schwiegersohn, der charmante Verführer.

Doch der Preis für diesen Ruhm war die totale Selbstverleugnung. Um die Gerüchte über seine Sexualität zu zerstreuen, die es immer gab, wurde eine Hochzeit arrangiert. 1974 heiratete Rex Gildo seine eigene Cousine, Marion Hirtreiter. Es war eine Alibi-Ehe. Marion zog in das gemeinsame Haus mit Rex und Fred Mecky. Nach außen hin gaben sie die perfekte, wenn auch etwas exzentrische, Familie. Gegenüber der Jugendzeitschrift “Bravo” beteuerte Gildo: “Meine Welt dreht sich um Mädchen.” Es war die Lüge, die sein Publikum hören wollte.

Fast vier Jahrzehnte lang lebten sie in dieser Dreierkonstellation, getarnt unter dem Deckmantel einer “Onkel-Neffe”-Beziehung zwischen Gildo und seinem Manager Mecky. Es war ein fragiles Gleichgewicht aus Ruhm, Verdrängung und Angst.

Dieses Gleichgewicht zerbrach 1988, als Fred Mecky starb. Für Rex Gildo war es nicht nur der Verlust seines Managers oder seines Partners; es war der Verlust seines Lebensankers. Der Mann, der ihn erschaffen, beschützt und das gesamte Konstrukt seiner Karriere gestützt hatte, war weg.

Und Rex Gildo begann zu fallen. Zuerst langsam, dann rapide.

Der Schlager der 70er war nicht mehr gefragt. Neue Klänge, neue Idole übernahmen die Charts. Gildos Versuche, mit neuen Liedern anzuknüpfen, scheiterten. Die großen Fernsehshows wichen Bierzelten, Stadtfesten und schließlich den Einkaufszentren. Für einen Mann, der für Eleganz und Glamour stand, muss dieser Abstieg eine unermessliche Demütigung gewesen sein.

Er wurde zur Karikatur seiner selbst. Im privaten Kreis vertraute er Kollegen an, wie sehr er litt, wenn Jugendliche während seiner Auftritte höhnisch “Hossa! Hossa!” riefen, egal, welches Lied er sang. Er hasste “Fiesta Mexicana”, das Lied, das ihn unsterblich gemacht hatte, weil es zur Maske geworden war, die er nicht mehr ablegen konnte. Die Menschen wollten nicht Ludwig Hirtreiter. Sie wollten Rex Gildo, das Toupé, das Lächeln, die Illusion.

Der innere Kreis wurde klein. Die Einsamkeit wuchs. Gerüchte über Alkoholkonsum und Medikamentenmissbrauch machten die Runde. Sein Verhalten wurde unberechenbar, seine Auftritte fahrig, die Stimme zittrig. Er lebte in ständiger Angst vor einem Outing, bereitete Berichten zufolge sogar rechtliche Schritte und Unterlassungserklärungen vor, sollte ihn jemand entlarven wollen. Er war ein Mann in den Sechzigern, gefangen zwischen der Identität, die er nie leben durfte, und dem Star, der er nicht mehr war.

Der letzte Mensch an seiner Seite war sein junger Privatsekretär, mit dem er nach dem Auftritt in Bad Vilbel in die Münchner Wohnung zurückkehrte. Was genau in den Stunden vor dem Sturz passierte, bleibt widersprüchlich. Der Assistent sprach von einer Eskalation, von Groll und Frustration. Rex Gildo habe sich im Badezimmer eingeschlossen. Besorgt über seinen Zustand rief der Assistent den Notarzt.

Als die Sanitäter an die Tür klopften, soll Rex von drinnen gerufen haben: “Alles ist gut, geht weg!” Es waren seine letzten bekannten Worte. Dann das Geräusch eines sich öffnenden Fensters. Der Aufprall.

Die Reaktion der Presse auf den Tod eines der größten Stars, den Deutschland je hatte, war gespenstisch. Die “Bild”-Zeitung widmete ihm nur einen kargen Satz: “Rex Gildo gestorben. Sturz aus Fenster.” Es gab keine großen Trauerfeiern im Fernsehen, keine Flut von Nachrufen. Die Beerdigung fand fast im Geheimen statt. Es wirkte, als wolle man die Geschichte so schnell wie möglich beenden, bevor unbequeme Fragen gestellt wurden.

Die Fragen blieben. War es ein tragischer Unfall, ausgelöst durch Krankheit, Medikamente und Verzweiflung? War es ein stiller Selbstmord, der letzte, verzweifelte Akt eines Mannes, der die Lüge nicht mehr ertragen konnte?

Die Antwort findet sich vielleicht auf dem Münchner Ostfriedhof. Dort liegt er begraben, nicht als Rex Gildo, sondern unter seinem bürgerlichen Namen: Ludwig Franz Hirtreiter. Sein Grab teilt er sich mit zwei weiteren Personen: Fred W. Mecky, dem Mann, den er liebte, und Marion Hirtreiter, der Frau, die seine Fassade schützte. Selbst im Tod sind die drei Akteure dieses jahrzehntelangen Dramas vereint. Eine Konstellation, die so poetisch wie verstörend ist.

Es dauerte über zwanzig Jahre, bis das Schweigen gebrochen wurde. 2021 brachte der Filmemacher Rosa von Praunheim die halbdokumentarische Produktion “Rex Gildo – Der letzte Tanz” heraus. Der Film sprach offen aus, was jahrzehntelang nur geflüstert wurde: die Homosexualität, der immense gesellschaftliche Druck, die Tragödie eines Mannes, der seine Identität opferte, um ein Image aufrechtzuerhalten, das Deutschland von ihm verlangte.

Das Vermächtnis von Rex Gildo ist heute ein zwiespältiges. Da sind die unvergessenen Lieder, die Freude und Leichtigkeit einer vergangenen Ära. Und da ist die Geschichte von Ludwig Hirtreiter, einem Mann, der nie er selbst sein durfte und an der Kälte einer Welt zerbrach, die für seine Wahrheit noch nicht bereit war. Hinter dem Lächeln, dem Toupé und dem “Hossa” verbarg sich ein Mensch, der am Ende nur noch einen Ausweg sah – den Sprung in die Tiefe.

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