Es sollte der strahlendste Triumphzug der jüngeren Fernsehgeschichte werden. Als Stefan Raab im September 2024, nach fast einem Jahrzehnt im selbstgewählten Exil, wieder ins Rampenlicht trat, hielt die Medienwelt den Atem an. Ein spektakulärer Boxkampf gegen Regina Halmich, ein triumphaler Einzug bei RTL und ein exklusiver Fünf-Jahres-Vertrag, der Gerüchten zufolge satte 90 Millionen Euro schwer sein soll. “Der Raab ist zurück!”, jubelte die Nation. Doch heute, gut ein Jahr später, im trüben November 2025, ist von diesem Glanz erschreckend wenig übrig geblieben. Was als Revolution des deutschen Entertainments geplant war, droht zu einem der teuersten Missverständnisse der Sendergeschichte zu werden.

Der freie Fall der Zahlen
Die Realität, die sich in den Quotentabellen von RTL widerspiegelt, ist ernüchternd, fast schon brutal. Erinnern wir uns: Der Auftakt war gigantisch. Fast sechs Millionen Menschen sahen den Boxkampf, die Erwartungen waren himmelhoch. Doch der Alltag im harten TV-Geschäft hat den “Raabinator” schneller eingeholt, als ihm lieb sein konnte.
Die Vorzeige-Show “Du gewinnst hier nicht die Million bei Stefan Raab”, ursprünglich als Zugpferd für den Streamingdienst RTL+ konzipiert und später ins lineare Fernsehen gehievt, zeigt beispielhaft das Dilemma. Startete man noch hoffnungsvoll mit 1,71 Millionen Zuschauern und starken 14,4 Prozent Marktanteil, liest sich die aktuelle Bilanz wie ein Unfallbericht. Zuletzt schalteten nur noch 680.000 Menschen ein. Ein Marktanteil von 2,9 Prozent beim Gesamtpublikum ist für einen Sender wie RTL nicht nur schlecht – es ist ein Desaster. In der für Werbeeinnahmen überlebenswichtigen Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen dümpelt die Show bei einstelligen 7 Prozent. Das ist nicht das Niveau eines “König Lustig”, das ist das Niveau des Nachtprogramms.
Auch Elton kann es nicht richten
Wer hoffte, dass altbewährte Partnerschaften das Ruder herumreißen würden, wurde enttäuscht. Das Quizformat “Die Unzerquizbaren”, in dem Raab gemeinsam mit seinem ewigen Show-Praktikanten Elton antritt, sollte an die glorreichen Zeiten von “Schlag den Raab” oder “TV total” anknüpfen. Doch das Publikum wirkt satt. Die Chemie stimmt zwar noch, aber das Konzept wirkt wie ein Echo aus einer vergangenen Zeit. Die erste Folge im November 2025 erreichte magere 8,3 Prozent in der Zielgruppe. Die Tendenz? Weiter fallend. Die Konkurrenz am Mittwochabend ist gnadenlos, und Raab, einst der Schrecken aller Programmdirektoren der Konkurrenz, wirkt plötzlich seltsam harmlos und angreifbar.

Die Flucht nach vorn: RTLs Verteidigungsstrategie
Wie reagiert man in Köln-Deutz auf diese Hiobsbotschaften? Mit demonstrativer Gelassenheit und einer Prise Realitätsverweigerung. RTL-Programmgeschäftsführerin Inga Leschek, die Frau, die den Mega-Deal eingefädelt hat, geht in die Offensive. In einem viel beachteten Interview mit dem “Spiegel” wischt sie die Sorgen um die linearen TV-Quoten beiseite. Ihre These: “Die reinen TV-Quoten sind maximal die Hälfte der Wahrheit.”
Leschek argumentiert mit der neuen Währung der Medienwelt: Streaming und Aufmerksamkeit. Raab sei ein Treiber für RTL+, die Abrufzahlen dort seien stark – auch wenn der Sender sich standhaft weigert, konkrete Streaming-Daten zu veröffentlichen. Zudem generiere Raab immer noch gewaltiges mediales Rauschen. “Seit er bei RTL ist, wurden 74.000 Artikel über ihn geschrieben”, rechnet Leschek vor. Das mag stimmen, doch man muss die Frage stellen dürfen: Hilft es einem Sender, wenn über seinen teuersten Star viel geschrieben wird, aber niemand mehr seine Sendungen einschaltet? Aufmerksamkeit ist gut, aber am Ende des Tages müssen Werbekunden erreicht werden.
Ein Hauch von “Gestern”
Kritiker sehen das Problem weniger in der Ausspielung (TV vs. Streaming), sondern im Inhalt. Stefan Raab war in den 2000ern der Innovator schlechthin. Er erfand die Wok-WM, das Turmspringen, Schlag den Raab. Er machte den ESC wieder cool. Doch 2025 wirkt sein Repertoire seltsam beständig – im negativen Sinne. Viele seiner neuen Formate wirken wie Coverversionen seiner eigenen Greatest Hits.
Die Kritik wird lauter, dass Raab den Anschluss an den Zeitgeist verloren haben könnte. Das Publikum von heute, geprägt von schnellen TikTok-Trends und authentischen Influencern, lässt sich mit den klassischen, teils langatmigen Show-Konzepten der Nullerjahre kaum noch hinter dem Ofen hervorlocken. Auch die oft zitierte “Unfairness” in seinen Spielshows, früher ein Markenzeichen seines Ehrgeizes, wirkt auf viele Zuschauer heute eher verbissen als unterhaltsam.

Das 90-Millionen-Gamble
Im Hintergrund schwebt wie ein Damoklesschwert die Summe von 90 Millionen Euro. Auch wenn diese Zahl nie offiziell bestätigt wurde, gilt sie in der Branche als offenes Geheimnis für das Produktionsvolumen des Fünf-Jahres-Vertrags. RTL hat alles auf eine Karte gesetzt. Man wollte den “Messias” des deutschen Fernsehens zurückholen, um dem schwächelnden Markt neues Leben einzuhauchen.
Stand jetzt muss man konstatieren: Der “Raab-Effekt” war ein kurzes Strohfeuer. Die anfängliche Neugier ist verflogen, zurück bleibt der harte Kampf um jeden Zuschauer. RTL steht nun vor einer gewaltigen Herausforderung. Man kann den teuersten Star des Senders nicht einfach fallen lassen. Es gilt, Formate zu entwickeln, die wirklich neu sind, die Raabs unbestreitbares Talent in eine moderne Form gießen, statt nur Nostalgie zu bedienen.
Inga Leschek betont, der Deal sei immer noch “das Smarteste”, was sie je gemacht habe. Das ist mutig. Aber vielleicht ist es auch die einzige Aussage, die ihr in dieser Situation bleibt. Denn eines ist klar: Scheitert Stefan Raab endgültig, ist das nicht nur sein persönlicher Misserfolg, sondern auch eine krachende Niederlage für die Strategen bei RTL.
Fazit: Quo vadis, Raab?
Ist Stefan Raabs TV-Karriere also am Ende? Es wäre töricht, einen Kämpfer wie ihn vorschnell abzuschreiben. Er hat oft genug bewiesen, dass er ein Stehaufmännchen ist. Doch die fetten Jahre, in denen alles, was er anfasste, zu Gold wurde, sind definitiv vorbei. Er muss sich neu beweisen, vielleicht mehr denn je. Die Schonfrist ist abgelaufen. Wenn RTL und Raab das Ruder nicht bald herumreißen, wird aus dem strahlenden Comeback eine sehr teure Fußnote der Fernsehgeschichte. Und die Frage “Was macht eigentlich Stefan Raab?” könnte bald wieder öfter gestellt werden, als ihm lieb ist – diesmal aber nicht aus Sehnsucht, sondern aus Vergessenheit.