Die deutsche Medienlandschaft hat eine ihrer polarisierendsten, exzentrischsten und zweifellos prägendsten Stimmen für immer verloren. Franz Josef Wagner, der langjährige Kolumnist der „Bild“-Zeitung, ist im Alter von 82 Jahren gestorben. Die Nachricht, die vom Springer-Verlag in Berlin übermittelt wurde, markiert das Ende einer Ära des Boulevardjournalismus, die kaum hätte bunter, lauter und kontroverser sein können. Wagner war mehr als nur ein Kolumnist; er war ein Phänomen, ein Seismograf der deutschen Seele, der mit seiner täglichen „Post von Wagner“ fast 25 Jahre lang die Nation in Aufregung versetzte und damit unzählige Male den Finger in die Wunde gesellschaftlicher Debatten legte.
Sein Tod hinterlässt eine Lücke, die so groß und unübersehbar ist wie die Schlagzeilen, die er über Jahrzehnte hinweg mitgestaltete. Er war der Prototyp des Boulevardreporters, ein Mann, der das Prinzip der emotionalen Zuspitzung perfektionierte und dabei eine unverwechselbare literarische Sprache entwickelte, die ihm den Spitznamen „Gossen-Goethe“ einbrachte. Seine Kolumnen waren keine nüchternen Kommentare, sondern emotionale Briefe, mal an Politiker, mal an Prominente, oft aber direkt an den „einfachen Mann“ oder die „kleine Frau“ gerichtet. Er war die Stimme des vermeintlich ungeschminkten Volkszorns, des Befremdens und der Sehnsucht.
Die Kunst der Empörung: Ein Leben im Rausch des Boulevards
Geboren am 7. August 1943 in Olmütz, durchlebte Franz Josef Wagner eine Vita, die ebenso abenteuerlich wie sein journalistisches Schaffen war. Sein Weg führte ihn nicht nur in die Chefredaktionen bedeutender Zeitungen wie der „B.Z.“ – wo sein Führungsstil als chaotisch, aber impulsiv galt – und später als „Chefkolumnist“ zum Springer-Verlag, sondern auch tief in die Abgründe und Höhen der deutschen Gesellschaft. Er war ein Wanderer zwischen den Welten: zwischen der intellektuellen Kritik, die ihn als „Gaga-Kolumnisten“ oder gar „Lügen-Wagner“ verhöhnte, und der breiten Masse, die seine direkten, oft hochemotionalen und zynischen Ausbrüche liebte.
Was Wagner auszeichnete, war seine Fähigkeit, das Unsagbare auszusprechen und damit eine Resonanz zu erzeugen, die weit über das reine Zeitungslesen hinausging. Seine tägliche Kolumne, die er 2001 auf den Weg brachte, war eine Art emotionaler Blitzableiter für Millionen. Egal, ob es um die Bedenken der Bürger gegen neue Gesetze, die Eskapaden von Prominenten oder einfach nur die Tücken des Alltags ging – Wagner fand stets eine dramatische, oft polemische und immer aufwühlende Perspektive. Er wusste genau, welche Knöpfe er drücken musste, um Empörung, Zustimmung oder pure Faszination auszulösen.
Der Stil: Zornig, poetisch, einzigartig
Sein Stil war eine Melange aus literarischer Wucht und Gossensprache. Er nutzte die Großbuchstaben exzessiv, setzte Ellipsen und Ausrufezeichen wie emotionale Paukenschläge ein. Seine Sätze waren oft kurz und prägnant, doch durch die Auswahl der Worte und die intensive Tonalität wurden sie zu flammenden Plädoyers oder vernichtenden Anklagen. Er sah sich selbst als „Volksschriftsteller“, ein Titel, den ihm auch der FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher einst zugedacht hatte. Er war sich der Kontroversen um seine Person stets bewusst und kultivierte sie regelrecht. Kritiker beschrieben ihn als cholerisch, reaktionär und chaotisch – Attribute, die er in seinen Kolumnen unbewusst oder bewusst zur Schau stellte.
Dieser radikale Subjektivismus war das Fundament seines Erfolgs. Wagner schrieb nicht über ein Thema, er fühlte es und teilte dieses Gefühl ungefiltert mit seinen Lesern. Diese Authentizität, so übertrieben und zugespitzt sie auch war, schuf eine Bindung. Die Leser hatten das Gefühl, dass da jemand war, der ihre Wut, ihre Ängste und ihre latenten Vorurteile verstand und ihnen eine Stimme gab. Er war ein Meister darin, einfache Wahrheiten zu verkünden, auch wenn diese Wahrheiten oft einer komplexen Realität nicht standhielten.
Ein Erbe der Kontroverse und der Unvergesslichkeit
Franz Josef Wagners Einfluss reichte weit über die Zeitungsseiten hinaus. Seine Kolumnen wurden zum Gesprächsthema in Büros, an Stammtischen und in den sozialen Medien. Er war eine journalistische Ikone, deren Name untrennbar mit dem Stil der Bild-Zeitung verbunden bleiben wird. Dass er nicht nur als Kolumnist, sondern auch als Ghostwriter für Prominente wie Udo Jürgens, Franz Beckenbauer und Boris Becker tätig war, zeugt von seinem tiefen Verständnis für die Mechanismen der Öffentlichkeit und der menschlichen Psyche.
Sein Lebenswerk ist ein Spiegelbild der Mediengeschichte der Bundesrepublik: eine Geschichte des Aufstiegs des Boulevards zur gesellschaftsrelevanten Kraft, des Kampfes um Aufmerksamkeit und der ständigen Suche nach der emotionalen Verbindung zum Publikum. In einer Zeit, in der die Nachrichtenwelt immer fragmentierter und digitaler wird, bleibt Wagner als ein journalistisches Original in Erinnerung, der die Macht der einfachen, emotional aufgeladenen Sprache bis zur Perfektion beherrschte.
Mit seinem Tod geht ein Stück deutscher Medientradition verloren, ein Stück Unangepasstheit und provokanter Direktheit. Die „Post von Wagner“ wird nicht mehr kommen, aber die Erinnerung an den Mann, der es wagte, in der Welt des Journalismus radikal er selbst zu sein – impulsiv, zynisch und unverwechselbar –, wird noch lange nachhallen. Die Republik verneigt sich vor einem „Volksschriftsteller“, der uns gelehrt hat, dass selbst der zornigste Brief ein Kunstwerk sein kann. Ruhe in Frieden, Franz Josef Wagner.”