
Jan Böhmermann hat sich in der neusten Folge einem Thema gewidmet, das zunächst seltsam erscheinen mag: Austern. © ZDF/Lenny Rothenberg
Wenn es eine Show gibt, in der Themen besprochen werden, die es sonst kaum in die Öffentlichkeit schaffen, dann im “ZDF Magazin Royale”. Die neueste Folge nutzte Jan Böhmermann am Freitagabend, um einem unterschätzen Meeresbewohner zu Hilfe zu eilen: der Auster. Doch leider opfert der Moderator diese Hilfe am Ende einer Pointe.
Mit einem “Unser Gastspiel geht weiter”, begrüßt Jan Böhmermann am Freitagabend seine Zuschauer im ZDF aus dem Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Der Grund ist immer noch derselbe, Böhmermann zeigt hier noch bis zum 19. Oktober die Ausstellung “Die Möglichkeit der Unvernunft” in Kombination mit Gesprächsrunden, Filmvorführungen, Konzerten und eben TV-Aufzeichnungen seines wöchentlichen “ZDF Magazin Royale”.
Dass dieser Ort zumindest sprachlich zum neuesten Thema Böhmermanns kaum besser hätte passen können, ist eigentlich selbsterklärend, Böhmermann macht es aber trotzdem. “Wir sind heute in der schwangeren Auster”, erklärt Böhmermann, wie das Haus der Kulturen der Welt im Volksmund heißt, und kommt dann zu dem Schluss: “Wenn wir schon mal in einer Auster sitzen, nutzen wir diese einmalige Chance und reden endlich mal über Austern.”
Jan Böhmermann über den Austern-Hype
Austern, ein vergleichsweise ungewöhnliches Thema, aber für Böhmermanns “ZDF Magazin Royale” nicht ungewöhnlich, vor allem aber relevant genug, wie der weitere Verlauf zeigen sollte. Und so beginnt Böhmermann das Thema Austern so, wie er es am besten kann: mit Sarkasmus. “Austern – seit 250 Millionen Jahren leben sie auf der Erde. Sie haben alle Katastrophen und Krisen ausgehalten. Sie haben die echte Jurassic World erlebt, nicht nur im Kino. Die echte Jurassic World – nur, um heute auf der sechsten Etage vom KDW von Content Creatorn geschlürft zu werden oder in anderen Berliner Imbissbuden.”
Was wie eine Ohrfeige für die Social-Media-Branche klingt, ist aber mehr als das. Es ist der Einstieg in einen Appell und er führt über den aktuellen Austern-Hype. “Austern-Schlürfen ist einfach in”, erklärt Böhmermann und sagt “Im deutschen Feuilleton hat sich ein ganzes Austern-Gerne entwickelt”, ehe er beide Behauptungen mit Beispielen hinterlegt. “‘Eine Spur Tang, zurückhaltend muschelig im Mittelteil, mit dem Aroma von Seezunge. Kräftig nussig im Abgang. Noch einmal den Mund geleckt, noch einmal nachgeschmeckt. Perfekt’, heißt es etwa im ‘Spiegel’.”
Diese poetisch unbeholfenen Zeilen sind zwar bereits mehr als 13 Jahre alt, was Böhmermanns These vom aktuellen Austern-Hype ein wenig untergräbt. Aber dem Satiriker geht es nicht darum, ob Austern nun gerade Trend, Dauer-Trend oder Nischen-Trend unter Neureichen sind. Böhmermann geht es darum, dass man sich der Folgen des Trends bewusst ist. Der geht nämlich schon viel zu lange und hat schlimme Folgen. Vor allem natürlich für die Austern, aber eben auch für die Umwelt und damit auch für uns Menschen. Und Böhmermann erklärt auch, warum das so gekommen ist.
Mehr Austern, mehr Natur, mehr Leben
Bis ins 19. Jahrhundert sei die Auster ein Essen der Arbeiterklasse gewesen, weil reich an Proteinen und in großen Mengen vorhanden. Oder wie Böhmermann es formuliert: “Die Auster war mal so was wie die Currywurst.” Industrialisierung, Überfischung, Gewässerverschmutzung oder Krankheiten sorgten dafür, dass die Auster selten wurde oder wie es Reiche nennen würden: “exklusiv”. Aber die Auster ist mehr als “Bonzen-Bifi” oder “Eliten-Quetschie”, sondern wichtig für die Natur und damit für den Menschen.
Austernbänke seien “Hotspots” biologischer Vielfalt, Nahrung, Schutz und “Kinderstube” für viele Fischarten. Bieten außerdem Schutz vor steigendem Meeresspiegel und sind eine biologische Kläranlage im Meer. Doch die Klimakrise macht mit diesen Austernriffen das, was die Klimakrise mit allem macht. Sie zerstört sie: Versauerung des Wassers, steigende Wassertemperaturen, hoher Salzgehalt, invasive Arten. “Den Meeren geht es schlechter und darum gehts dann auch den Austern schlecht und mit den Austern der Austernindustrie”, erklärt Böhmermann die Kettenreaktion.
Aber Böhmermann erklärt auch: “Austern könnten die Welt retten.” Denn eine nachhaltige Austern-Zucht könnte wenig Schaden, aber viel Nutzen für die Umwelt bringen. “Wenn die Austernindustrie boomt, dann boomt Mutter Natur” und “Je mehr Austern, desto mehr gesunder Lebensraum für Meeresbewohner”, fasst es Böhmermann zusammen.
Alles für eine einzige Pointe
Nun könnte Böhmermann seine Erklärungen nutzen, um nicht nur über Wert und Bedrohung von Austern zu informieren, sondern die Zuschauer gleich intensiver über den Umgang des Menschen mit und dessen Wertschätzung von Austern nachdenken zu lassen. Zum Beispiel, wenn er sie auf Speisekarten als “Meeresfrüchte” deklariert. So, als seien Muscheln, Tintenfische, Krabben und Co. keine Lebewesen, sondern ein kleiner Snack, den man einfach so pflücken kann. Aber diesen tiefgründigeren Ansatz verfolgt Böhmermann an diesem Abend nicht, im Gegenteil.
Auch er sieht Austern vor allem aus der Nutzenperspektive. “Wie schaffen wir das als Gesellschaft?”, fragt Böhmermann, wie man mehr Austernbänke installieren könnte und nennt gleich die Lösung. “Austern müssen billiger werden!” Man müsse mehr Austern essen, weshalb er die Bewegung “Austern for Future” gründe. Das könnte man noch als eine zwar wenig tier-, aber immerhin klimafreundliche Idee durchgehen lassen – würde Böhmermann diese Idee nicht für eine populistische Pointe nutzen. “Die Auster muss die neue Kartoffel werden”, fordert Böhmermann, um danach jedem Zuschauer im Saal eine Auster servieren zu lassen.
Mit dieser Pointe macht Böhmermann nun all das, was vorher war, zunichte. Denn eine Pointe bedient sich zwar immer am zuvor Gesagten, zerstört es durch den eigenen Effekt aber auch. Wer im Publikum denkt schließlich noch über Böhmermanns Worte über die Wichtigkeit von Austern und deren Bedrohung nach, wenn genau diese Auster gerade so gut schmeckt? Und wer von den Zuschauern zu Hause achtet im Restaurant schon darauf, dass seine Austern aus nachhaltiger Zucht kommen und nicht aus dem Labor? Am Ende war die neueste Folge “ZDF Magazin Royale” aus der schwangeren Auster keine Show für die Auster, sondern nur eine für die Pointe.