Der Mann ohne Gesicht: Das beklemmende Schweigen der Lyudmila Putina
Die Szene wirkte, als wäre sie sorgfältig inszeniert worden, ein letzter Akt auf der politischen Bühne, bevor der Vorhang für immer fiel. Es war der Abend des 6. Juni 2013. Wladimir Putin, der mächtigste Mann Russlands, und seine Frau Lyudmila Putina, die jahrelang fast unsichtbar an seiner Seite existiert hatte, besuchten gemeinsam eine Ballettvorstellung im Großen Kremlpalast, die „Esmeralda“ nach Victor Hugos „Der Glöckner von Notre Dame“. Was folgte, war kein charmantes Statement über die Kultur des Landes, sondern eine knappe, überraschende Mitteilung vor laufender Kamera: Das Paar trennt sich. „Das war unsere gemeinsame Entscheidung, unsere Ehe ist am Ende“, sagte Putin. Lyudmila Putina stimmte ihm mit bemerkenswerter Gelassenheit zu: „Wir sehen uns praktisch kaum. Wladimir Wladimirowitsch ist in die Arbeit vertieft. Unsere Kinder sind erwachsen, jedes von ihnen lebt sein eigenes Leben“.
Es war ein Abschied nach 30 Jahren Ehe, der nicht nur Russland, sondern die ganze Welt in Erstaunen versetzte. Hinter dieser öffentlichen, als „zivilisiert“ deklarierten Scheidung, verbarg sich jedoch eine Geschichte von emotionaler Kargheit, Demütigung und einem Doppelleben, das Wladimir Putins öffentliches Bekenntnis zu „traditionellen orthodoxen Werten“ zutiefst Lügen strafte. Die wahre Geschichte von Lyudmila Putina ist das Porträt einer Frau, die in der eisigen Dunkelheit der Macht lebte, isoliert und im Schatten eines Mannes, der sein Privatleben zum am besten gehüteten Geheimnis Russlands erhob.
Die Einsamkeit hinter den Kremlmauern
Das Privatleben des Kremlchefs war und ist das größte Tabu in der russischen Medienlandschaft. Journalisten, die es wagten, über Putins Familie oder seine Affären zu berichten, erlebten die unerbittliche Rache des Machtapparats. Doch die Scheidung im Jahr 2013 öffnete zaghaft die Tür zu Berichten und Memoiren, die ein zutiefst beunruhigendes Bild des Mannes ohne Gesicht zeichneten, wie ihn die Autorin Masha Gessen in ihrem Buch beschreibt.
Lyudmila Putina, eine Philologin und Romanistin, die Französisch und Spanisch studierte und den jungen KGB-Offizier in Leningrad kennenlernte, beschrieb dem Autor Oleg Blokzky in einer Biografie schon 2002 ihre tiefe Einsamkeit. Die Beziehung, die 1983 mit der Hochzeit begann, war offenbar schon früh von Putins Indifferenz und Selbstbezogenheit geprägt. Eine der schockierendsten Enthüllungen, die aus den Recherchen von Blokzky und der späteren Berichterstattung hervorging, betrifft Putins Umgang mit seiner hochschwangeren Frau und Mutter seiner zwei Töchter, Maria und Katerina.
Lyudmila erzählte dem Biografen, dass sie während ihrer Schwangerschaft oft allein war. Putin habe sich nicht darum gekümmert, ob sie – hochschwanger, mit einem Kind im Arm und Einkaufstüten beladen – die Treppen in den sechsten Stock hinaufklettern musste. Er war überzeugt, dass eine Ehefrau im Haus alles selbst erledigen müsse. Diese Gleichgültigkeit war nur der Anfang. Wie die Journalistin Irene Pietsch, die die Putins in den 1990er-Jahren in der ehemaligen DDR kennenlernte und mit Lyudmila befreundet war, berichtete, litt Putins Frau unter „unzähligen Demütigungen“. Eine Quelle des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND), die sich mit Lyudmila befreundete, will sogar von Schlägen durch ihren Mann erfahren haben.
Die Ehe war demnach von Beginn an ein Ort der Isolation und des Schmerzes für Lyudmila. Sie lebte das Leben einer First Lady, die nicht in die Öffentlichkeit wollte und konnte. Während Putin seine öffentliche Rolle als starker Führer zelebrierte, führte er zu Hause ein Doppelleben, das von Verachtung und angeblicher Gewalt geprägt war.
Das dunkle Doppelleben und die geheimen Geliebten
Das Bild des Wladimir Putin, der die Familie als Fundament der russischen Gesellschaft preist, zerbröselt, wenn man die Berichte über seine außerehelichen Affären betrachtet. Schon lange vor der offiziellen Scheidung im Jahr 2013 brodelte die Gerüchteküche in Moskau. Am prominentesten waren die Spekulationen über eine Beziehung zu der ehemaligen Turn-Olympiasiegerin Alina Kabajewa. Gerüchte über eine heimliche Hochzeit zwischen Putin und Kabajewa wurden 2008 von einer Zeitung veröffentlicht, die daraufhin zum Dementi gezwungen wurde und schließlich ihren Betrieb einstellen musste – ein klares Signal des Kreml, dass diese Art von Berichterstattung nicht geduldet wird.
Spätere Enthüllungen, etwa durch das investigative Journalisten-Duo Roman Badanin und Michail Rubin in ihrem Buch „Der Zar selbst“, zeichneten ein noch düstereres Bild. Sie berichten detailliert über Putins „zweites Zuhause“, eine Stripbar, die er in St. Petersburg häufig besucht haben soll. Sie enthüllten Affären und eine zweite Schattenfamilie, die Putin mit der 23 Jahre jüngeren Svetlana Krivonogikh gegründet haben soll. Svetlana Krivonogikh, deren Vermögen auf rund 100 Millionen Dollar geschätzt wird, soll eine Stelle bei einer Bank erhalten und Anteile daran besessen haben, nachdem sie eine Affäre mit dem damaligen Beamten der Stadtverwaltung St. Petersburg begonnen hatte. Das Paar soll eine Tochter namens Elizaveta Rozova haben, deren Geburtsurkunde den Namen des Vaters – Wladimir – enthält, alle weiteren Daten jedoch entfernt wurden. Diese Tochter kam zur Welt, als Putin offiziell noch mit Lyudmila verheiratet war.
Ein weiteres pikantes Detail, das Putins Vorliebe für ein weitaus weniger „traditionelles“ Privatleben enthüllte, betraf das Erotik-Model Alissa Chartschewa. Die Autoren Badanin und Rubin berichteten, dass ein erotischer Kalender Putins Aufmerksamkeit erregt habe, woraufhin die junge Frau, damals erst 17 Jahre alt, Putins Gäste im Kreml empfangen durfte. Diese Treffen, so die Journalisten, dienten offenbar als Vorwand für private Begegnungen. Chartschewa erhielt später eine teure Wohnung in Moskau.
Die Fülle der Berichte und die Konsistenz der Details – die Stripbars, die Affären, die Gewaltvorwürfe und die geheimen Kinder – zeichnen ein Bild eines Mannes, der seine Macht dazu nutzte, sein Privatleben zur Spielwiese zu machen. Während Lyudmila öffentlich die Rolle der First Lady spielen musste, lebte sie in einer emotionalen Wüste, in der ihr Mann ihr weder Respekt noch Treue entgegenbrachte.
Die Befreiung und die Stille danach
Die öffentliche Trennung nach dem Ballettbesuch im Juni 2013 war für Lyudmila Putina der Moment der Befreiung, auch wenn sie diesen Akt gemeinsam und auf Putins Bedingungen vollziehen musste. Im Interview versicherte Lyudmila, dass sie ihrem Ex-Mann dankbar sei, dass er sich weiterhin um sie und ihre Kinder kümmere. Es war ein Statement, das viele Beobachter als sorgfältig orchestriert ansahen, um Putins Ansehen nicht zu beschädigen.
Im Jahr 2015, weniger als zwei Jahre nach der Scheidungsverkündung, fand Lyudmila ihr eigenes, neues Glück abseits des Kremls. Sie heiratete den 20 Jahre jüngeren Artur Otscheretny und trägt seitdem den Namen Ljudmila Otscheretnaja. Diese zweite Ehe symbolisiert ihre endgültige Abkehr von den kalten Kremlmauern und dem Schatten Wladimir Putins. Sie wählte ein Leben außerhalb der ständigen öffentlichen Kontrolle und der politischen Inszenierung.
Die Geschichte von Wladimir und Lyudmila Putin ist mehr als eine Scheidungsgeschichte; sie ist eine Parabel über Macht, Geheimhaltung und den menschlichen Preis, den die Machtelite Russlands zahlt – oder den die Frauen in ihrem Umfeld zahlen müssen. Lyudmila Putinas lange ertragenes Schweigen und die nachträglich ans Licht gekommenen Details ihres Leidens zeigen die düstere Realität hinter der Fassade des Mannes, dessen öffentliches Leben und privates Wirken von einem tiefen Graben getrennt sind.
Die Reaktion der Öffentlichkeit auf die schrittweisen Enthüllungen – die Gerüchte über Affären, die Vorwürfe der Misshandlung und die Existenz von Schattenfamilien – ist ein Spiegelbild der tief sitzenden Faszination und des Entsetzens über die Kluft zwischen Putins öffentlichem Image und seinem wahren Charakter. Fans und Beobachter „explodieren“ nicht nur wegen der pikanten Details, sondern wegen der Erkenntnis, dass der „Mann ohne Gesicht“ noch skrupelloser ist, als man befürchtet hatte. Die Geschichte der Ex-First-Lady bleibt das lebendige, schmerzhafte Zeugnis der dunklen Seite der Macht im Kreml. Lyudmila Putina hat zwar ihren Weg in ein neues, privateres Leben gefunden, doch ihr ehemaliges Leid beleuchtet weiterhin die Abgründe, die Wladimir Putin so sorgfältig zu verbergen sucht.