„Erst Stunden Später Kam der Schlag“: Thomas Huber bricht sein Schweigen über Laura Dahlmeiers Tragödie, den gescheiterten Rettungsversuch und den herzzerreißenden letzten Wunsch

„Erst Stunden Später Kam der Schlag“: Thomas Huber bricht sein Schweigen über Laura Dahlmeiers Tragödie, den gescheiterten Rettungsversuch und den herzzerreißenden letzten Wunsch

Die Berge sind ihr Zuhause. Sie sind ihr Heiligtum und ihr Schicksal. Für Laura Dahlmeier, die zweifache Olympiasiegerin und gefeierte Biathletin, war der Wechsel von der präzisen, kalten Welt des Schießstands zur majestätischen, unberechenbaren Vertikalen der Extreme kein Rückzug, sondern eine logische Fortsetzung ihres Strebens nach größtmöglicher Herausforderung. Im Biathlon perfektionierte sie die kontrollierte Anstrengung; im Alpinismus suchte sie die ultimative Freiheit. Am 28. Juli jedoch forderte das Karakorumgebirge, eines der rauesten und unerbittlichsten Gebirge der Welt, seinen tragischen Tribut. Ein Steinschlag auf rund 5700 Metern Höhe riss die 31-jährige Ausnahmesportlerin aus dem Leben und hinterließ eine tiefe Wunde in der Sportwelt und in den Herzen ihrer engsten Vertrauten.

Einer dieser Vertrauten, der nicht nur einen Freund, sondern auch eine Schwester im Geiste verlor, ist Extrembergsteiger Thomas Huber. Wochen nach der Tragödie bricht Huber, bekannt als einer der “Huberbuam”, sein Schweigen. Er spricht nicht nur über die schmerzhafte Freundschaft, die sie verband, sondern liefert einen erschütternden Bericht über die dramatische Rettungsaktion, an der er selbst beteiligt war. Sein Interview mit der Süddeutschen Zeitung ist ein Dokument tief empfundener Trauer und professioneller Kaltblütigkeit – eine Kaltblütigkeit, die in Momenten der höchsten Not überlebenswichtig ist, die aber ihren Preis hat: die verzögerte, alles zermalmende Realisierung des Verlusts.

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Die Nachricht, die um 10 Uhr morgens die Welt anhielt

Thomas Huber, selbst eine Legende im Bergsport, erfuhr gegen 10 Uhr morgens von der Tragödie. Die Nachricht, die ihn erreichte, war fragmentiert und alarmierend: Laura Dahlmeier, unterwegs mit ihrer Seilpartnerin, war von einem Steinschlag getroffen und schwer verletzt worden. Sofort werde versucht, mit Hubschraubern eine Rettung zu organisieren.

In solchen Momenten existiert keine Distanz, keine Prominenz, kein persönlicher Hintergrund mehr. Die gesamte, eng vernetzte Community der Bergsteiger schaltet in einen Notfallmodus, der von einem ungeschriebenen, heiligen Kodex bestimmt wird. Huber betont diesen zentralen Wert: „Huba und Dahlmeier verbindet eine langjährige Freundschaft, aber das spielt bei einem Notfall keine Rolle“, so Huber. Bei Notfällen in der Bergsteiger Community werde unter jeden Umständen uneingeschränkte Hilfe geleistet. Dies ist die absolute Priorität, die alle persönlichen Empfindungen überschreibt. Die Freundschaft muss in den Hintergrund treten, damit der Profi handeln kann.

Diese professionelle Distanzierung von der eigenen Emotion ist ein Schutzmechanismus, der in der Todeszone des Hochgebirges über Leben und Tod entscheiden kann. Wenn jeder Atemzug eine kalkulierte Handlung sein muss und jedes Urteil über die Verhältnisse am Berg frei von Tränen getroffen werden muss, dann wird der Schock der Nachricht zunächst in handlungsfähige Energie kanalisiert. Huber handelte sofort, die Freundschaft wurde in eine Pflicht zur Hilfe umgewandelt.

 

Der gescheiterte Flug über 5700 Meter

Einen Tag nach der Tragödie machte sich Thomas Huber gemeinsam mit erfahrenen Bergsteigerkollegen auf den Weg zum Unfallort. Die Bedingungen im Karakorum, einem der entlegensten und am schwierigsten zugänglichen Gebiete der Erde, machten die Rettung von Anfang an zu einer Mission mit minimalen Erfolgschancen. Die extremen Höhenlagen, das unvorhersehbare Wetter und die tückischen Gletscherspalten und Felswänge verwandeln jede Rettungsaktion in eine Gratwanderung zwischen Hilfe und Selbstgefährdung.

Die Hoffnung, die Thomas Huber und seine Kollegen mit jedem Flug im Rettungshubschrauber über das gewaltige Massiv trugen, sank jedoch stetig. Die Umrundungsflüge dienten nicht nur der Suche, sondern auch der nüchternen Analyse der Lage. Die Realität am Berg war unerbittlich. Huber schildert den Moment des bitteren Erkennens: „Nach weiteren Umrundungsflügen haben wir ziemlich schnell erkennen müssen, dass für Laura jede Hilfe zu spät kam“.

Die Bergungsversuche mussten abgebrochen werden. Der Grund war nicht mangelnder Wille oder fehlende Expertise, sondern die kritische und lebensgefährliche Situation vor Ort. Die Wetterbedingungen und die Verhältnisse am Berg wurden immer kritischer. An diesem Punkt kollidierte die Pflicht zur uneingeschränkten Hilfe mit einer höheren, moralischen Verpflichtung, die aus der tiefsten Überzeugung der Verstorbenen selbst stammte.

Traurige Gewissheit: Die in Pakistan verunglückte Ex-Biathletin Laura  Dahlmeier ist tot | SN.at

Der letzte Wille und die heilige Respektierung

Inmitten des professionellen Schmerzes der gescheiterten Rettung trat ein Punkt zutage, der dem Drama eine zutiefst persönliche und herzzerreißende Note verlieh: Lauras letzter Wille. Sie hatte eine klare Haltung zur Bergung von Verunglückten entwickelt. „Lauras letzter Wille war nicht geborgen zu werden, wenn das Risiko zu hoch sei“.

In der Bergsteigergemeinschaft wird dieser letzte Wunsch nicht als Laune, sondern als Testament eines Bergbewohners verstanden. Die Berge sollen die Seele derer, die sie lieben, in sich behalten, wenn die Gefahr für die Lebenden zu groß wird. Diesem Wunsch wurde respektiert, auch von Thomas Huber. Die Entscheidung, Laura Dahlmeiers Leichnam im Karakorum zu belassen, war die höchste Form der Ehrerbietung an ihre Philosophie und ihre Liebe zu den Bergen. Sie sollte dort ruhen, wo sie ihr größtes Glück fand, auch wenn dieser Ort ihr Schicksal besiegelte. Es war ein Akt unendlicher Freundschaft und tiefster Wertschätzung für ihre Selbstbestimmung, der jedoch den ohnehin schon unerträglichen Verlust noch emotional schwerer machte.

 

Die Mauer des Schocks und der Schlag im Basislager

Die wahre emotionale Tragweite des Verlusts traf Thomas Huber nicht im Moment des Scheiterns der Rettungsaktion, sondern erst Stunden später. Wie er selbst erklärt, ist der Schock, wenn man jemanden sieht, aus dem das Leben gewichen ist, eine biologische Notwehrreaktion: „Dann baut dieser Schockmoment eine Mauer auf“. Die unmittelbare Wahrnehmung der Realität, das Geschehen eines Todesfalls, führt zu einer sofortigen, emotionalen Distanzierung. Man ist sich der gesamten Tragweite zunächst nicht bewusst. Der Profi, der Freund, der Mensch in ihm war gespalten: Der Profi handelte, der Mensch verharrte im Schockzustand.

Diese Mauer aus Verdrängung und Funktionieren hielt Thomas Huber während der Rettungsversuche und der bitteren Entscheidung, die Bergung einzustellen, aufrecht. Erst als er in die relative Sicherheit des Basislagers zurückgekehrt war, fernab der kritischen Gefahrenzone, begann der Mechanismus zu versagen. „Irgendwann kam es dann wie ein Schlag“, beschreibt er den Moment des emotionalen Zusammenbruchs.

Der Bergsteiger, der die Furcht in der Vertikalen besiegen kann, wurde von der Wucht seiner eigenen, aufgestauten Emotionen überwältigt. Er setzte sich auf einen Stein und ließ endlich die Tränen zu, die er so lange zurückgehalten hatte. „Dann konnte ich endlich weinen und mich von einem guten Freund wie Laura einer war verabschieden“. Dieser Moment am Basislager, sitzend auf einem Stein, umgeben von der gnadenlosen, aber stillen Erhabenheit des Karakorum, war sein persönliches Abschiedsritual. Es war das menschliche Ende einer herzzerreißenden Mission, die mit einem professionellen Anfang begonnen hatte.

Die Geschichte von Thomas Huber und Laura Dahlmeier ist nicht nur eine Tragödie, sondern auch eine tiefe Auseinandersetzung mit der Essenz des Extrem- und Bergsports. Sie zeigt, dass selbst in der Gemeinschaft, die sich ständig am Rande des Lebens bewegt, der Verlust eines Mitglieds eine zutiefst menschliche und schmerzhafte Erfahrung bleibt. Laura Dahlmeier bleibt eine Legende – eine Legende, deren letzter Ruheplatz in der Stille und Majestät der Berge liegt, die sie so bedingungslos liebte. Ihr letzter Wunsch und Thomas Hubers Tränen sind ein unvergängliches Zeugnis ihrer gemeinsamen Leidenschaft und einer Freundschaft, die auch über den Tod hinaus Bestand hat.

Laura Dahlmeier: Extremkletterer Thomas Huber auf dem Weg zu verunglückter  Biathlon-Olympiasiegerin - DER SPIEGEL

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