Die Welt des Tennissports trauert um eine ihrer prägendsten Figuren. Nikola „Niki“ Pilić, der einstige deutsche Davis-Cup-Kapitän, ist im Alter von 86 Jahren im kroatischen Opatija verstorben, wie der kroatische Verband bekannt gab. Mit Pilić verliert die Tenniswelt nicht nur einen herausragenden Spieler und Trainer, sondern einen wahren Wegbereiter des modernen Tennissports, dessen Einfluss Generationen von Athleten und die Geschichte des Davis Cups maßgeblich geprägt hat. Seine Geschichte ist ein Zeugnis von unerschütterlicher Leidenschaft, strategischem Genie und der Fähigkeit, das Potenzial in jungen Talenten zu erkennen und zu fördern – Qualitäten, die ihn zu einer Legende machten.
Geboren 1939 in Split, damals Jugoslawien, begann Pilićs Karriere auf den Sandplätzen seiner Heimat, lange bevor er zu einer Ikone des deutschen und internationalen Tennis wurde. Während seiner aktiven Spielerkarriere, die ihn 1987 auch mit dem deutschen Pass ausstattete, sorgte er für Aufmerksamkeit, doch seine wahre Berufung und sein größter Erfolg sollten sich erst nach seiner Zeit als Profi-Spieler entfalten. Es war als Mannschaftskapitän, dass Niki Pilić seinen unvergleichlichen Stempel aufdrückte und als der “Preuße vom Balkan” bekannt wurde – ein Spitzname, der seine resolute Art und seinen unbedingten Siegeswillen treffend beschrieb.
Pilić führte das deutsche Davis-Cup-Team in den 1980er und 1990er Jahren zu vier triumphalen Siegen. Unvergessen bleiben die Jahre 1988, 1989 und 1993, in denen er Boris Becker, Carl-Uwe Steeb, Michael Stich und andere deutsche Größen zu Höchstleistungen anspornte. Unter seiner Führung errang Deutschland den prestigeträchtigen „Salatschüssel“ genannten Pokal. Ein weiteres Denkmal setzte er sich im Jahr 2005, als er sein Heimatland Kroatien zum Davis-Cup-Sieg führte, und 2010 saß er als Berater im Siegerteam Serbiens, dessen Triumph maßgeblich von einem seiner größten Schützlinge mitgetragen wurde: Novak Djokovic.
Die Verbindung zu Novak Djokovic ist vielleicht der bemerkenswerteste Teil von Pilićs Vermächtnis. Bereits 1999 holte er den damals noch unbekannten jungen Serben in seine internationale Tennisschule nahe München. Djokovic verbrachte dort über vier Jahre unter Pilićs Fittichen, eine prägende Zeit, die das Fundament für seine spätere Weltkarriere legte. Djokovic selbst bezeichnete Pilić später als seinen “Tennisvater” und einen der wichtigsten Tennis- und Lebensmentoren, die er je hatte. Diese herzliche und tiefe Beziehung zeugt von Pilićs außergewöhnlicher Fähigkeit, nicht nur technische Fertigkeiten zu vermitteln, sondern auch die mentale Stärke und den Charakter eines Champions zu formen. Ohne Pilićs Weitsicht und Hingabe wäre die Erfolgsgeschichte von Djokovic, einem der größten Tennisspieler aller Zeiten, möglicherweise anders verlaufen.
Doch Djokovic war bei weitem nicht der einzige Star, den Niki Pilić maßgeblich beeinflusste. Er formte auch die kroatische Tennislegende Goran Ivanišević und Ivan Ljubičić, der später als Trainer von Roger Federer zu Weltruhm gelangen sollte. Die Süddeutsche Zeitung rechnete zu Pilićs 80. Geburtstag im Jahr 2019 aus, dass er insgesamt 47 Spieler in die Top 100 der Weltrangliste gebracht hatte – eine beeindruckende Bilanz, die seinen Status als einer der erfolgreichsten Tennistrainer der Geschichte untermauert. Seine unkonventionellen Methoden, seine Entschlossenheit und seine Fähigkeit, das Beste aus jedem Spieler herauszuholen, machten ihn zu einem begehrten Mentor.
Pilićs Zeit als deutscher Davis-Cup-Kapitän ist eng verbunden mit den großen Triumphen des Tennissports in den ausgehenden 1980er und den frühen 1990er Jahren. Unvergessen ist Boris Beckers legendäres Davis-Cup-Spiel in Hartford im Jahr 1987. Diese über sechsstündige Schlacht zwischen dem Wimbledon-Sieger und dem US-Amerikaner John McEnroe sicherte Deutschland den Klassenerhalt und war das Fundament für den späteren Siegeszug. Ein Jahr später, im Finale gegen Schweden, triumphierte das deutsche Team erneut: Carl-Uwe Steeb besiegte Mats Wilander, Becker schlug Stefan Edberg, und am zweiten Tag gewannen Becker und Eric Jelen in einem erstaunlichen Doppel mit 3:6, 2:6, 7:5, 6:3, 6:2 gegen Edberg und Anders Järryd. Pilić sagte später über diesen Moment: “Ich hatte das Gefühl, jetzt können wir sogar übers Wasser gehen.” Sie gingen zwar nicht über Wasser, aber sie verteidigten den Titel im folgenden Jahr erneut gegen Schweden.
Ein weiteres Meisterstück lieferte Pilić im Jahr 1992 ab, als er das eigentlich zerstrittene Doppel Boris Becker und Michael Stich zum Olympiasieg in Barcelona führte. Pilić erklärte später schmunzelnd, er habe die beiden Stars mit vielen “Lügen in Einzelgesprächen” bei Laune gehalten – ein Zeugnis seiner psychologischen Raffinesse und seines Verständnisses für die komplexen Persönlichkeiten seiner Spieler. 1993 schnappte er sich mit Stich, Marc-Kevin Goellner und Patrik Kühnen gegen Australien noch einmal den Davis Cup, die größte Salatschüssel der Welt.
Als das deutsche Tennis in den folgenden Jahren aus der internationalen Spitze in die Mittelmäßigkeit abrutschte und die Ära von Becker und Stich zu Ende ging, widmete sich Niki Pilić verstärkt seiner Tennisschule. Doch seine Leidenschaft für den Davis Cup blieb ungebrochen, und er kehrte immer wieder zu diesem Wettbewerb zurück, den er so sehr liebte. Er erkannte frühzeitig die globale Natur des Tennissports und die Bedeutung der Förderung junger Talente, unabhängig von ihrer Herkunft.
Niki Pilićs Leben war eine Odyssee voller Hingabe an den Tennissport. Er war ein Visionär, ein strenger, aber gerechter Mentor und ein Stratege, der verstand, dass Erfolg nicht nur von Talent, sondern auch von harter Arbeit, Disziplin und einem unbedingten Siegeswillen abhängt. Sein Vermächtnis lebt nicht nur in den Rekordbüchern weiter, sondern vor allem in den Herzen der Spieler, die er formte, und der Fans, die seine Triumphe bejubelten. Mit seinem Tod verliert der Tennissport eine seiner größten Persönlichkeiten, doch sein Einfluss wird auf immer spürbar bleiben. Er hat nicht nur Titel gewonnen, sondern auch Menschen inspiriert und den Weg für eine neue Generation von Champions geebnet. Niki Pilić wird als der Mann in Erinnerung bleiben, der das deutsche Tennis zu Ruhm führte und einem jungen Serben namens Novak Djokovic den Weg zum Weltranglistenersten ebnete.