Die Wende im Fall Fabian: Das Rätsel des „G“-Zippers und die Spur zum zweiten Täter – Wie ein vergessener Handschuh die Staatsanwaltschaft unter Druck setzt
Güstrow, Mecklenburg-Vorpommern – Hinter den Kulissen des kleinen Waldstücks bei Klein Upal, dem schrecklichen Ort, an dem vor Wochen die verkohlten Überreste des achtjährigen Fabian gefunden wurden, brodelt es. Die anfängliche Gewissheit, die mit der Festnahme der 29-jährigen Gina H., der ehemaligen Lebensgefährtin von Fabians Vater, einherging, ist zersplittert. Statt klarer Fakten und einem abgeschlossenen Fall herrscht Misstrauen, öffentliche Empörung und eine beunruhigende Lücke in der offiziellen Erzählung. Der Fall Fabian hat sich von einer Kindertragödie zu einem Spiegelbild eines Systems entwickelt, das zwischen Überforderung, immensem öffentlichen Druck und dem Ringen um die Wahrheit schwankt.
Oberstaatsanwalt Harald Nauwak betonte zwar unlängst, man habe „jeden Stein umgedreht“ und mit größter Sorgfalt agiert. Doch diese Worte klingen für Angehörige und Beobachter immer mehr nach einer Verteidigung statt einer Erklärung. Der Grund für die tief sitzenden Zweifel liegt in zwei mysteriösen Fundstücken und einer Reihe von Ungereimtheiten, die darauf hindeuten, dass Gina H. möglicherweise nicht allein gehandelt hat – oder dass bei der Spurensicherung Fehler gemacht wurden, deren Tragweite nun das Vertrauen in die Justiz erschüttert.

Das Symbol des Versagens: Der Zipper mit dem Buchstaben „G“
Einer der brisantesten Diskussionspunkte ist ein kleiner, weißer Reißverschlusszipper mit einem eingeprägten Buchstaben „G“, der direkt neben der Brandstelle gefunden wurde. Ein Objekt, das für viele das Symbol eines schwer erklärbaren Fehlers der Ermittlungsbehörden darstellt. Der Zipper hätte umgehend als potenzielles Beweisstück gesichert werden müssen. Stattdessen erklärte die Staatsanwaltschaft, er stamme von einem Schutzanzug der Kriminaltechnik und sei somit „nicht tatrelevant“.
Die Reaktion des Oberstaatsanwalts, der das Zusammentreffen des Buchstabens „G“ mit dem Vornamen der Hauptverdächtigen Gina als „unglücklichen Zufall“ abtat, wirkte auf die Öffentlichkeit wie eine hastige Abwiegelung. Interne Protokolle, die später an die Presse gelangten, verkomplizierten die Situation zusätzlich: Demnach soll der Zipper zunächst nur fotografiert, dann aber liegen gelassen und später bei einer erneuten Durchsuchung als nicht mehr auffindbar vermerkt worden sein. Wie aber konnte dann ein Pressefoto, aufgenommen Tage nach der vermeintlich vollständigen Spurensicherung, das Objekt noch deutlich an derselben Stelle zeigen?
Für forensische Experten ist solch ein Vorgehen ein klares Zeichen von Unprofessionalität. „Selbst wenn ein Gegenstand zunächst als irrelevant gilt, man nimmt ihn mit – immer. Alles andere ist unprofessionell,“ kommentierte ein forensischer Sachverständiger anonym. Die Debatte um den Zipper, die in den sozialen Medien schnell zum Hashtag #Zippergate mutierte, legte offen, wie brüchig das Vertrauen der Bevölkerung in die Sorgfalt der Ermittlungen geworden war.
Der verkohlte Handschuh und die zweite DNA-Spur
Noch größere Sprengkraft entfaltet der zweite mysteriöse Fund: Ein verkohlter Lederhandschuh. Er wurde Wochen nach der Tat, lange nachdem die Polizei die intensive Suchaktion abgeschlossen hatte, von einer Spaziergängerin entdeckt, die ihren Fund einer Fernsehsendung meldete. Die Diskrepanz zwischen offiziellen Angaben und internen Quellen über den Fundort ist alarmierend. Während die Staatsanwaltschaft behauptete, er habe mehrere hundert Meter entfernt gelegen, was den Zusammenhang zur Tat unwahrscheinlich mache, bestanden interne Stimmen aus dem Polizeipräsidium Schwerin darauf, dass die Distanz kaum 100 Meter betrug – fast auf Sichtlinie zur Brandstelle.
Die Frage, wie ein solch relevanter Gegenstand übersehen werden konnte, bleibt unbeantwortet. Der Verdacht, dass der Handschuh absichtlich entfernt oder sogar erst später dort platziert wurde, drängte sich auf. Die entscheidende Wende lieferten jedoch erste interne Analysen: Sie sollen Spuren einer zweiten DNA ergeben haben – männlich. Zwar ohne Treffer in der Datenbank, aber der Beweis, dass eine weitere Person am Tatort präsent war.
Darüber hinaus berichteten interne Quellen, dass es sich bei dem Fundstück um einen Herrenhandschuh handelte. Wenn diese Information zutrifft, würde sie die gesamte bisherige Annahme der Alleintäterschaft von Gina H. in ihren Grundfesten erschüttern. Plötzlich bekam die Beobachtung von Zeugen neues Gewicht, die am Tatabend ein zweites Fahrzeug, einen dunklen Kombi ohne Kennzeichenbeleuchtung, in der Nähe des Tatorts gesehen hatten. Die Indizien verdichteten sich zu einem klaren, unbequemen Bild: Gina H. war nicht allein.

Die Verzweiflung der Mutter und der Ruf nach unabhängiger Prüfung
Für Fabians Mutter, Dorina, bedeutete diese Entwicklung eine neue, qualvolle Phase der Unsicherheit. Ihre Anwältin erklärte der Öffentlichkeit, Dorina fühle sich alleingelassen und fast ausgeschlossen von der Wahrheit. „Sie habe zum ersten Mal gezweifelt, ob sie der Justiz noch glauben könne,“ hieß es. Mitten in dieser tiefen emotionalen Krise wuchs der öffentliche Druck ins Unermessliche.
Eine von Bürgern aus Güstrow gestartete Petition forderte eine unabhängige und vollständige Spurenauswertung. Innerhalb von nur 48 Stunden unterschrieben über 30.000 Menschen. Dieser Aufschrei zwang die Ermittler, neue Wege zu beschreiten. Als Konsequenz wurde Professor Lennard Foss, ein renommierter externer Forensiker und Tatortanalytiker aus Hamburg, hinzugezogen. Foss, bekannt für seine akribische Arbeitsweise und seine Ablehnung von Zufällen, sollte prüfen, ob bei der ersten Spurensicherung tatsächlich Fehler begangen wurden. Seine Ankunft in Rostock markierte den Beginn einer stillen, aber intensiven Neuprüfung.
Parallel dazu begannen die Ermittler, Satellitendaten, Drohnenbilder und private Dashcam-Aufnahmen aus der Region auszuwerten, in der Hoffnung, Bewegungen im Umfeld des Tatorts nachvollziehen zu können. Eine Quelle aus Polizeikreisen sprach von bisher unbeachteten Sequenzen, die möglicherweise ein zweites Auto zeigten, das kurz nach 23 Uhr am 10. Oktober, dem Tattag, das Gebiet verlassen haben könnte.
Der chemische Fingerabdruck und die Spur zu Kai M.
Der Durchbruch gelang Professor Foss nur wenige Tage nach Beginn seiner Analyse. In einem vertraulichen Zwischenbericht, der an die Presse durchsickerte, enthüllte er einen chemischen Fingerabdruck auf dem verkohlten Handschuh, der alles veränderte. Die chemischen Rückstände wiesen auf den Kontakt mit einem spezifischen Schmiermittel hin, das den Namen Glykol in 30 trug und ausschließlich in bestimmten Werkstattketten und Landwirtschaftsbetrieben in nur zwei Regionen Mecklenburg-Vorpommerns verkauft wurde – Güstrow war eine davon.
Noch brisanter: Einer der registrierten Abnehmer war ein Agrarbetrieb, in dem bis vor einem Jahr ein Mann namens Kai M. gearbeitet hatte. Kai M., dessen Name plötzlich enormes Gewicht bekam, war nicht nur Mechaniker, sondern auch ein ehemaliger Bekannter von Gina H. Fotos, die sie gemeinsam auf einer Grillparty zeigten, bestätigten die Verbindung.
Die Ermittler folgten dieser neuen Spur mit Hochdruck. Eine Überwachungskamera eines Landhandels, 15 Kilometer vom Tatort entfernt, zeigte am Abend des 10. Oktober einen dunklen Kombi, der exakt der Beschreibung des Zeugenfahrzeugs entsprach. Zwar war das Kennzeichen undeutlich, doch die hintere Stoßstange wies eine markante Delle auf – identisch mit einem Auto, das bis vor Kurzem auf Kai M. zugelassen war.
Die sofortige Durchsuchung von Kai M.s Grundstück durch die Polizei, die Computer, Arbeitskleidung und ein altes Feuerzeug beschlagnahmte, brachte weitere beunruhigende Funde zutage: Reste von Benzinkanistern und eine verbrannte Plane in seiner Garage. Die Spurenlage, wenn auch noch dünn, erhärtete den Verdacht, dass Kai M. zumindest in der Phase nach der Tat am Brandort war.
Das Täuschungsmanöver und die schützende Mauer des Schweigens
Die Staatsanwaltschaft reagierte auf diese Entwicklungen zunächst zurückhaltend, sprach von einer Prüfung aller Möglichkeiten, aber noch keinem neuen Tatverdacht. Intern jedoch wurde die Theorie des Alleintätersin offiziell in Frage gestellt. In der Bevölkerung löste dies Schockwellen aus: Hatte die Staatsanwaltschaft monatelang in die falsche Richtung ermittelt?
Gleichzeitig schien die Strategie des Schweigens von Gina H. zu bröckeln. Ihr Anwalt bestätigte, dass sie bereit sei zu kooperieren, unter der Bedingung eines Schutzes vor der Medienöffentlichkeit. Ein deutliches Signal, dass sie womöglich eine Person schützen wollte. In einem Brief an ihre Mutter, den ein Nachrichtenmagazin einsehen konnte, schrieb Gina H. kryptisch: „Ich habe Fehler gemacht, aber nicht die von denen sie sprechen“. Zwischen den Zeilen klang die Bereitschaft durch, einen Namen preiszugeben – möglicherweise den des Mannes, der ihr näher stand, als sie jemals zugeben wollte.
Die Analyse des Berliner Labors, das unabhängig prüfte, lieferte einen weiteren, scharfen Kontrast zur offiziellen Version: Auf den Stoffresten des Handschuhs fanden sich Spuren von Kunstfasern, identisch mit den Materialien der weißen Spurensicherungsanzüge, sowie Aschepartikel, die laut Professor Foss nicht vom Tatort stammten. Die Schlussfolgerung war erschreckend: Der Handschuh könnte nachträglich dorthin gelangt sein, platziert als Täuschungsmanöver.
Wer aber hätte ein Interesse an solch einer gezielten Irreführung? War es Gina H., um die Ermittler abzulenken, oder war es jemand anders, der sie gezielt in die Schusslinie bringen wollte? Professor Foss formulierte es vorsichtig: „Entweder war der Handschuh Teil der Tat oder Teil eines Täuschungsmanövers“.
Der Mordfall Fabian ist nicht nur eine Tragödie; er ist ein tief verstörendes Puzzle aus Wahrheit, Manipulation und Schweigen. Die Suche nach dem Gerechtigkeit ist hier zwischen Wald und Wasser noch lange nicht beendet. Der Nebel, der über Klein Upal liegt, scheint metaphorisch für die vielen ungeklärten Fragen zu stehen, die sich um diesen Fall ranken. Was bleibt, ist die Hoffnung von Dorina, die jeden Tag vor dem Grab ihres Sohnes steht, und die unaufhaltsame Arbeit von Ermittlern, Journalisten und unabhängigen Experten, die trotz aller Mauern und Fehler darauf drängen, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Denn eines hat der Fall Fabian gezeigt: Das Vertrauen in die Justiz ist zerbrechlich, und das Schweigen eines Mitwissers kann zur gefährlichsten Waffe in einem Mordfall werden, der die ganze Republik erschüttert hat.