Die ältere italienische Dame stand völlig verloren mitten auf dem Alexanderplatz. In der einen Hand hielt sie einen Stadtplan, den sie nicht entziffern konnte, in der anderen ein Taschentuch, mit dem sie sich die verzweifelten Tränen aus den Augen wischte. Menschen strömten in Eile an ihr vorbei, vertieft in ihre Termine, Kopfhörer in den Ohren, Augen auf ihre Smartphones gerichtet, zu beschäftigt, um eine Fremde in Not überhaupt wahrzunehmen.
Ich konnte nicht einfach vorbeigehen. Mi Scusi, Signora, Proso Ayutala, fragte ich auf Italienisch. Ihr Gesicht veränderte sich sofort. Reine Erleichterung, fast schon ein Aufleuchten. Oh, Grazi Alciello. Ja, bitte, rief sie und packte meinen Arm, als wäre ich eine Rettungsleine. Ich bin völlig verloren. Ich spreche kein Deutsch, kein Englisch und niemand versteht mich.
Es ist in Ordnung. Ich bin hier. Ich helfe Ihnen. Ich führte Sie aus dem dichtesten Gedränge hinunter zu einer ruhigeren Ecke des Platzes. Sie reichte mir ein zerknittertes Stück Papier mit einer Adresse in Charlottenburg. kein Touristenort, sondern eindeutig ein Wohnviertel. “Mein Enkel wohnt hier”, erklärte sie.
Er sollte mich am Flughafen abholen, aber mein Flug kam zu früh an und ich erreiche ihn nicht. “Haben Sie versucht ihn anzurufen?” “Mein Handy funktioniert hier nicht”, seufzte sie und wedelte hilflos damit. “Ich verstehe diese Tarife in Deutschland nicht.” Ihr Akzent war deutlich sizilianisch. Ich verbrachte die nächsten 20zig Minuten damit, ihr die Berliner es und U-Bahn zu erklären, ihr eine Fahrkarte am Automaten zu ziehen und ihr in Ruhe zu zeigen, wie die Umstiege funktionierten.
Sie warmherzig, höflich, dankbar und erinnerte mich so sehr an meine eigene Großmutter, die vor zwei Jahren gestorben war. “Sie sind sehr freundlich”, sagte sie auf Italienisch, während wir am Bahnsteig warteten. “Wie ist Ihr Name, Liebling?” “Luzia Romano”, antwortete ich. “Ein italienischer Name?” Ich weiß.
Meine Familie kommt aus Neapel, aber ich bin hier in Deutschland geboren. Ihre Augen leuchteten. Una Bella Koinzidenzer. Unser Gespräch floss leicht. Sie erzählte von ihrer Heimat in Sizilien, von ihrem Enkel, der aus beruflichen Gründen nach Berlin gezogen war und wie sehr sie Angst gehabt hatte, allein in einem fremden Land zu stehen.
Ich erzählte ihr von meinem Job Übersetzerin, freiberuflich, meistisch, Deutsch, manchmal auch Englisch und Französisch. Als wir in Charlottenburg ankamen, bot ich an, sie zur Adresse zu begleiten. Die Gegend war ruhig, teuer, mit prächtigen Altbauten, frisch restaurierten Fassaden und gepflegten Vorgärten.
“Hier ist es”, sagte sie vor einem besonders eindrucksvollen Gründerzeithaus. Sie klopfte, die Tür öffnete sich und ein großer Mann in dunklem Anzug stand vor uns. Sein Blick war neutral, bis er die alte Frau erkannte. “Signora Russo, wir wollten sie gerade abholen”, sagte er auf Italienisch. Sein Tonfall, seine Haltung, eindeutig Sicherheitsmann, nicht Verwandtschaft.
Mein Flug kam früher, erklärte sie. Und dieses liebe Mädchen hat mir geholfen, den Weg hierher zu finden. Ihr Name ist Luzia. Der Mann musterte mich nun anders, prüfend. Sie sprechen Italienisch. Ah ja, ich habe der Signora nur helfen wollen. Bevor er etwas erwidern konnte, ertönte eine Stimme aus dem Inneren des Hauses. Marco Chi Alaporter.
Dann erschien er. Ein Mann anfang 30, groß, breitschultrig, mit dunklem Haar und markanten italienischen Gesichtszügen. Er trug ein schwarzes Hemd, die Ärmelässig hochgekrempelt und seine tätowierten Unterarme waren ein unübersehbarer Hinweis darauf, dass er keinen gewöhnlichen Bürojob hatte. Seine Präsenz war überwältigend, dominant, unübersehbar, selbst in einem vollen Raum.
Und als er seine Großmutter sah, schmolz die Stränge in seinem Gesicht zur Wärme. Nonna, du bist zu früh. Ich hätte nachsehen müssen. Dann wandte er sich mir zu, und seine Augen, dunkel und intensiv, fixierten mich so kraftvoll, dass ich unwillkürlich schlucken musste. “Sie haben meiner Großmutter geholfen?”, fragte er auf Italienisch. Ich nickte.
“Sie war am Alexanderplatz verloren. Ich habe ihr nur den Weg gezeigt.” Nonna Russo strahlte. Sie spricht perfekt italienisch und so freundlich. Sie hat mir alles erklärt, sogar das Ticket gekauft. “Es war mir eine Freude”, murmelte ich plötzlich nervös, denn Enzos Aufmerksamkeit fühlte sich wie ein Gewicht an.
“Jetzt, wo sie sicher zu Hause ist, gehe ich dann lieber.” “Warten Sie”, sagte er und aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie sich Marco unauffällig so positionierte, dass er meinen Weg versperrte. “Wie heißen Sie?” “Iuzier Romano.” “Kennen Sie Berlin?”, fragte Non auf Italienisch. “Können Sie zum Abendessen bleiben?” Ich würde Ihnen so gern danken.
Das ist sehr lieb, aber es wäre keine Unhöflichkeit, sagte Enzo nun auf Deutsch. Ein leichter Akzent lag auf seinen Worten. Sie haben mir geholfen, als niemand stehen blieb. Das Mindeste ist ein ordentliches Essen. Sein Blick hielt meinen Fest. Zu höflich, um zu fliehen. Zu intensiv, um nicht zu spüren, dass es hier um mehr ging als Dankbarkeit.

Eine Stunde, hörte ich mich sagen, aber wirklich nur eine. Eine Stunde, wiederholte er, doch sein leichtes, wissendes Lächeln verriet, dass er nicht eine Sekunde daran glaubte. Im Inneren des Charlottenburger Altbaus war es genauso elegant, wie ich erwartet hatte. Hohe Stuckdecken, restaurierter Pakettboden, schwere Vorhänge aus dunklem Samt, leise Jazzmusik im Hintergrund.
Doch zwischen all der offensichtlichen Noblesse waren auch persönliche Details sichtbar. Familienfotos, religiöse Ikonen, alte Schwarz-weißaufnahmen aus Sizilien, Wärme inmitten von Reichtum. Setz dich, setz dich, drängte mich Nonna Maria, wie sie wollte, dass ich sie nannte, auf Italienisch und führte mich in ein Esszimmer, das aussah, als wäre es einem Magazin entsprungen.
“Enzo, bring ihr etwas zu trinken”, befahl sie ihrem Enkel. “Und nenn mich nicht Signora Russo, das macht mich uralt.” Nonna, du bist alt”, konterte er liebevoll und verschwand Richtung Küche. Ich lachte leise, obwohl die Situation mich nervös machte. Die alte Dame nahm mir gegenüber Platz und musterte mich mit einem Blick, der schärfer war als jedes Rönkengerät.
“Bist du verheiratet? Verlobt, Kinder?”, fragte sie natürlich auf Italienisch. “Nonna”, rief Enzo aus der Küche. “ich musste schmunzeln.” “Ich bin Single”, antwortete ich auf Deutsch. Halb aus Trotz, halb aus Spaß. Und bevor sie fragen, ja, freiwillig, mein Job ist anstrengend. Enzo kehrte zurück und stellte ein Glas Wasser vor mich.
Er selbst setzte sich an das Kopfende des Tisches, eine Position, die er mit natürlicher Autorität einnahm, als wäre sie für ihn geschaffen. “Was arbeiten Sie genau?”, fragte er auf Deutsch. Freiberufliche Übersetzer. Hauptsächlich Italienisch, Deutsch, gelegentlich Englisch oder Französisch. für Firmen, Kanzleien, manchmal Touristen.
Und warum sprechen Sie italienisch so gut? Meine Großeltern, erklärte ich, neapolitanische Familie. Ich bin zweisprachig aufgewachsen. Außerdem habe ich ein Jahr in Florenz studiert. Enzo nickte. Man hört es. Du klingst fast wie eine Einheimische Florenz seufzte Nonna Maria verträumt auf Italienisch. Eine wunderschöne Stadt.
Früher war ich oft dort. Das Gespräch flossß ruhig zwischen Deutsch und Italienisch hin und her. Sie testeten meine Sprachgewandtheit, stellten Fragen über meine Familie, meinen Alltag, meine Arbeit, während Enzos Blick immer wieder an mir hängen blieb. Es war nicht unhöflich, nicht unangenehm, aber intensiv auf eine Art, die man nicht ignorieren konnte.
Nach einer Stunde sah ich auf die Uhr. “Ich muss los”, sagte ich auf Deutsch. “Ich habe heute Abend eine Deadline. Wir bringen dich”, sagte Eno sofort nicht als Angebot. als Entscheidung. Nein, wirklich. Die Bahn kommt nicht in Frage. Seine Stimme wurde fester. Berlin ist abends nicht ungefährlich. Marco, hol das Auto.
Marco war schon unterwegs, bevor ich wieder sprechen konnte. Wenige Minuten später saß ich in einem schwarzen SUV. Diskret, teuer, definitiv nicht gemietet. Enzo stieg neben mich ein. Marco fuhr “Wo wohnst du?”, fragte Enzo auf Deutsch. Astoria, sorry. Gewohnheit in Berlin. Moabit. Marco, hast du gehört? Die Fahrt sollte 10 Minuten dauern. Es wurden 40.
Nicht wegen des Verkehrs, wegen der Fragen. Für wen arbeitest du? Wie viele Kunden hast du? Arbeitest du von zu Hause? Bearbeitest du juristische Dokumente? Kennst du Leute in Botschaften? Hast du Kontakte zu Firmen, die Importe abwickeln? Die Fragen wurden spezifischer, zielgerichteter. Zu zielgerichtet.
Warum wollen Sie das alles wissen?”, fragte ich schließlich. “Neugier”, antwortete er mit einem Ton, der eindeutig mehr bedeutete. “Der Beruf macht dich interessant.” Als wir vor meinem Miethaus ankamen, einem einfachen, aber gemütlichen Altbau, musterte er die Fassade lange. “Du wohnst hier, alleine?” “Ai ja, es ist klein, aber bezahlbar.
” Ich öffnete die Tür, wollte aussteigen, doch seine Hand berührte meinen Arm warm, stark, kontrolliert. “Darf ich deine Nummer haben? Für Nonna. Sie würde dich gern wiedersehen. Nur für Nonna, fragte ich vorsichtig. Er lächelte, ein Lächeln, das zu gefährlich war, um harmlos zu sein. Für Nonna. Ich hätte nein sagen sollen, aber ich gab sie ihm.
Etwas in seinem Blick ließ mich nicht fliehen. Danke, sagte er auf Deutsch. Du warst heute sehr freundlich. Ich werde das nicht vergessen. Die Tür schloss sich hinter mir. Der SUV fuhr davon und ich stand da im dämrigen Treppenhausflur mit einem Gefühl im Bauch, dass ich nicht benennen konnte. Am nächsten Morgen klingelte mein Handy um Punkt 8 Uhr.
Unbekannte Nummer. Hallo, guten Morgen, Luzia. Hier ist Enzo. Habe ich dich geweckt? Seine Stimme klang weich, fast charmant. Nein, ich war schon wach. Ist alles in Ordnung? Ist n Non gut? Sehr gut. Sie spricht seit gestern Abend fast ausschließlich über dich und sie möchte, dass du am Sonntag zum Mittagessen kommst.
Das ist wirklich nett, aber ich finde auch, dass du kommen solltest. Er gab mir keine Chance zu entkommen. Ein Mittagessen sagte ich vorsichtig. Nur eins nur eins wiederholte er. Und wieder klang es so, als würde er etwas wissen, was ich noch nicht wusste. Und so begann es. Was ein zufälliger Moment hätte sein können, wurde eine Routine.
Ein Sonntag nach dem anderen. Italienische Gerichte, Geschichten aus Sizilien, Nonna Marias herzliche Wärme und Enzos schweigende stetige Präsenz. Seine Blicke, sein ruhiger Ton, sein auffälliges Interesse an meinen Fähigkeiten. Und irgendwann zwischen Pasta, Dolky und einer Nonna, die mich behandelte, als wäre ich ihre Enkelin, bemerkte ich etwas.
Ich war bereits hineingezogen in ihre Welt, in seine und ich wusste nicht, ob ich noch hinausfinden wollte. Sonntagmittag wurde zu Sonntagstradition und aus einer Tradition wurde ein fester Teil meines Lebens. Jede Woche kochte Nonna Maria ein ganzes sizilianisches Festmal in ihrer Berliner Küche Arancini, Pasta Alpforno, Kenoli, Gerichte, die nach Sonne, Meer und Lebensfreude schmeckten.
Ich half ihr oft Schnittgemüse, mischte Teige, übersetzte italienische Rezepte ins Deutsche, während sie mir Geschichten aus ihrer Jugend erzählte. Es fühlte sich nie gezwungen an. Es war heimisch, vertraut. Doch je vertrauter Nonna wurde, desto undurchsichtiger wurde Enzo. Er kam nicht immer zum Mittagessen, aber wenn er erschien, ahnte man es schon vorher.
Die Atmosphäre im Altbau veränderte sich. Marco tauchte plötzlich öfter auf. Männer, die sich Geschäftsfreunde nannten, standen im Flur, sprachen halb laut Italienisch, verstummten jedoch sofort, wenn ich den Raum betrat. Eines Sonntags, als wir gerade gemeinsam in der Küche standen und Teig kneteten, sah mich Nonner scharf an.
Du magst meinen Enkel, nicht wahr?”, fragte sie auf Italienisch. Ich lachte überrascht und schüttelte den Kopf. “Nonna, ich kenne ihn kaum, aber du gefällst ihm”, sagte sie wissend. “Das sieht man.” “Ich wollte protestieren, doch die Wahrheit hing unausgesprochen im Raum. Enzo hatte eine Art, mich anzusehen, nicht fli, nicht überheblich, intensiv, analysierend, als würde er jede Nuance meiner Worte, jede Geste speichern.
Und irgendwie fühlte ich mich gesehen, mehr als mir lieb war. Später an diesem Tag nach dem Essen bat Enzo mich mit ihm zu sprechen. Komm, sagte er ruhig und führte mich in sein Arbeitszimmer. Ich war noch nie darin gewesen. Der Raum war elegant, aber nicht protzig. Ein großer Schreibtisch, zwei Ledersessel, Regale voller Aktenordner und eine Wand voller Sicherheitsmonitore, die Innen und Außenansichten des Hauses zeigten.
Ich fröstelte unwillkürlich. Er bemerkte es. Setz dich”, sagte er. Ich tat es. Er stellte sich vor mich. Nicht drohend, aber so, dass ich ihn ansehen musste. “Du weißt, dass wir kein gewöhnliches Leben führen”, begann er auf Deutsch. Ich nickte. “Ich habe es mir gedacht. Wirklich?” Seine Augen fixierten mich. “Was genau hast du gedacht?” Ich schluckte.
Dass sie in etwas Wichtiges verwickelt sind mit vielen Männern, viel Kontrolle, viel Schweigen. Er lächelte schwach. Sag es. Organisierte Kriminalität, sagte ich leise oder irgendetwas in der Richtung. Er setzte sich nicht defensiv, sondern offen. Ja, ich leite die Geschäfte meiner Familie in Berlin. Ich atmete tief durch und nicht geschockt, sondern bestätigt.
Und warum erzählen Sie mir das? Fragte ich. Weil du jetzt Teil unseres Alltags bist. Wegen Nonna und wegen mir. Ich hielt seinen Blick stand. Und was wollen Sie von mir? Eine Zusammenarbeit. Was? Du bist Übersetzerin”, sagte er ruhig. “Du sprichst Italienisch so natürlich, dass du für viele Familien ein Gewinn wärst. Ich brauche jemanden, der Meetings übersetzt, schriftliche Dokumente bearbeitet, mit Geschäftspartnern kommuniziert. Ich starte ihn an.
” Also ein Job bei Ihnen. Ah ja. Gutes Gehalt, keine illegalen Handlungen von dir, nur Sprache. Das was du ohnehin tust. Ich runzelte die Stirn für eine kriminelle Organisation. Er hob die Hand für meine Organisation. Und nein, du würdest nicht schießen, nicht schmuggeln, nicht erpressen.
Du würdest nur das tun, was du jetzt schon tust. Aber unter meinem Schutz. Ein Schutz. Das Wort hing schwer in der Luft. Wovor? Fragte ich. Er sah weg. Das erste Mal seit ich ihn kannte. Berlin ist kompliziert. Andere Familien beobachten uns. Wenn du weiter zu uns kommst und Nonna wird dich nicht gehen lassen, wirst du sichtbar und das macht dich angreifbar.
Das klingt als hätte ich keine Wahl. “Du hast immer eine Wahl”, sagte er ruhig. “aber manche sind sicherer als andere.” Ich stand auf. “Ich muss darüber nachdenken.” “Natürlich.” “Denk nach.” Er zog eine Karte aus seiner Brieftasche und reichte sie mir. Am Donnerstag ist ein Treffen. Nichts gefährliches, nur reden, nur zuhören.
Komm als Beobachterin, danach entscheidest du. Die Tage bis Donnerstag verbrachte ich in einem Sturm aus Gedanken. Ich telefonierte mit meiner besten Freundin, erzählte ihr eine abgeschwächte Version der Wahrheit. “Eine Mafia Familie will dich als Übersetzerin”, rief sie. “Das ist doch ein Film. Ich weiß und trotzdem das Geld wäre irre.
Die Arbeit spannend, gefährlich. Ja, ich schwieg, aber Enzo würde mich schützen. Aha, sagte sie trocken. Jetzt sind wir bei der wahren Ursache. Ich ignorierte den Kommentar. Donnerstagabend holte Marco mich ab. Kein Small Tog, kein Lächeln, nur professionelle Stille. Wir fuhren zu einem Restaurant in Charlottenburg, das geschlossen wirkte.
Innen jedoch saßen zwölf Männer an einem langen Tisch. Hor am Kopfwende. Als er mich sah, hälte sich sein Gesicht minimal auf. Da bist du. Er stellte mich vor. Das ist Luzia, unsere mögliche neue Übersetzerin. Die Männer musterten mich nicht respektlos, aber prüfend. Ich fühlte mich wie eine Schachfigur, die gerade auf ein neues Brett gesetzt wurde. Das Treffen begann.
Es ging um Territorien, Lieferketten, Abmachungen, Fäden. Alles in einem seltsamen Mischmasch aus Italienisch und Deutsch. Manchmal wechselten sie die Sprache mitten im Satz. Sie testeten mich ganz offensichtlich. Ich verstand alles, übersetzte präzise, erkannte Nuanc, Untertöne, Sticheeleihen. Nach zwei Stunden beendete Enzo das Gespräch.
Die Männer nickten mir respektvoll zu, als sie gingen. Als wir allein waren, fragte er: “Was denkst du?” Ich atmete aus. “Es ist gefährlich, aber faszinierend.” “Kannst du es?” Ich nickte. Ja. Er trat näher, nicht bedrohlich, aber intensiv. Das ist nicht nur ein Job für mich. Ich erstarte, sondern ich vertraue dir und ich mag dich.
Der Raum wurde kleiner, die Luft dichter. Ich brauche nicht deine Nähe, sagte ich unbeholfen. Ich brauche Klarheit. Die bekommst du aber nicht heute. Und was bekomme ich stattdessen? Er lächelte leise. Eine Wahrheit, wenn du für mich arbeitest, bist du unter meinem Schutz. Und in meiner Welt ist Schutz alles. Ich schauderte ohne zu wissen, warum.
Vielleicht Angst, vielleicht Vorahnung, vielleicht etwas anderes, etwas viel viel gefährlicheres. Ich nahm den Job nicht sofort, nicht leichtfertig, aber nach einer Woche voller Grübeleien, durchwachter Nächte und langen Gesprächen mit meiner Freundin, in denen sie immer wieder sagte: “Luzia, das ist verrückt, aber du bist auch verrückt genug, das durchzuziehen.
” Kam ich zu einer Erkenntnis. Ich hatte die Entscheidung innerlich längst getroffen. Vielleicht wegen des Geldes, vielleicht wegen der Herausforderung, vielleicht wegen ihm. Mein erstes offizielles Treffen als Übersetzerin fand in einem stillvollen italienischen Restaurant in der Kantstraße statt, geschlossen für die Öffentlichkeit, bewacht von zwei Männern, die aussahen, als könnten sie einen Menschen in der Luft festhalten.
“Du musst heute perfekt sein”, sagte Enzo ruhig zu mir, kurz bevor die Gäste erschienen. “Diese Männer vertrauen niemandem, aber sie vertrauen der Sprache. “Und bist ihre Brücke.” Ich nickte. Mein Herz schlug zu schnell, doch meine Stimme blieb fest. “Ich bin bereit. Die Gäste, eine Delegation aus Sizilien, kamen mit ernsten Mienen, maßgeschneiderten Anzügen und einem Auftreten, das keine Zweifel über ihre Bedeutung zuließ.
Der Anführer, Don Salvatore, war ein Mann in den 60ern mit kalten Augen, die nichts übersahen. Die Gespräche begannen sofort. Ich übersetzte jede Silbe, jedes Zögern, jedes unterschwellige Drohen. Zwischen den Zeilen verstand ich Dinge, die nicht ausgesprochen wurden. Loyalitäten, Spannungen, Stolz. Ihre Übersetzerin ist außergewöhnlich, sagte Don Salvatore irgendwann auf Italienisch.
Natürlich, kaum jemand beherrscht unsere Sprache so präzise. Ich übersetzte es für Enzo, versuchte jedoch das leichte Erröten in meinem Gesicht zu verbergen. Enzo antwortete auf Italienisch und ich übersetzte für die deutschen Zuhörer. Sie ist unbezahlbar. Der Blick, den er mir dabei zuwarf, ging tiefer als berufliche Anerkennung.
Das Treffen endete erfolgreich. Männer, die sonst kaum nickten, gaben mir respektvolle Blicke. Don Salvatore verabschiedete sich mit einem Satz, den ich übersetzte, obwohl mein Herz zu hüpfen begann. Russo, beschütze sie gut. Sie ist wertvoller als du glaubst. Doch kaum war das Treffen vorbei, geschah etwas, das meine Sicht auf Enzos Welt für immer veränderte.
Ich war gerade dabei, meine Sachen zu packen, als draußen laute Stimmen erklangen. Dann die erste Explosion von Gewalt, Schüsse, Schreie, hastige Befehle. Marco riß die Tür zum Nebenraum auf. Boss, sie sind da. Castellanus, drei Autos, acht bis zehn Männer. Enzo war sofort in Bewegung. Kein Zögern, kein Fluchen, einfach pure, effiziente Reaktion.
Er öffnete eine Schublade, holte eine Waffe heraus und die sichere Ruhe, mit der er sie hielt, ließ mir das Blut gefrieren. Das war kein Mann, der sich verteidigte, das war jemand, der gewohnt war zu kämpfen. Luzia, sagte er ruhig. aber mit einer Autorität, die keinen Widerspruch zuließ. Du gehst jetzt in den hinteren Raum. Tür zu, Tür verriegeln.
Du kommst nicht raus, bis ich dich hole. Verstanden? Was? Was passiert? Geh. Marco packte meinen Arm und zog mich in ein kleines Büro. Er drückte mich hinein und schloss die Tür. Das Schloss klickte, dann waren da nur noch die Geräusche. Schüsse, italienische Flüche, deutsche Kommandos, Kampfgeräusche, Dinge, die umstürzten, Glas, das zersprang. Ich stand wie festgenagelt.
Meine Hände zitterten. Mein Atem war viel zu laut. 5 Minuten, fünf endlose Minuten. Aber die Stille danach war schlimmer. Dann klopfte jemand an die Tür. Eiluzia, ich bin’s. Ich öffnete und da stand Enzo. Sein Hemd war gerissen, Blut an seinen Knöcheln, sein Blick dunkel, wachsam, gefährlich, aber als er mich sah, veränderte er sich.
Wurde weich, erleichtert. “Bist du verletzt?”, fragte er sofort. “Ich nein.” Und sie das Blut nicht meins. “Nichts Ernstes, er kam näher.” “Es tut mir leid, dass du das sehen musstest. Das war nicht geplant.” “Was war das, flüsterte ich.” “Eine Botschaft”, sagte er bitter. Die Castellanos denken, sie könnten uns einschüchtern. Sie liegen falsch.
Ich stockte. Das ist ihre Welt. So sieht das aus. Nicht jeden Tag. Aber ja, das ist die hässliche Wahrheit. Ich atmete schwer. Mein Körper war Adrenalin und Angst und etwas anderem. Nähe, Schutz, Abhängigkeit, alles gleichzeitig. Er hob meine Hand an seine. Luzia, du bist jetzt sichtbarer Teil meiner Familie und das bedeutet, dass du in Gefahr bist, egal ob du bleibst oder gehst.
Aber wenn du bleibst, kann ich dich schützen. Ich sah ihm in die Augen. Dunkel, ehrlich, vollkommen furchteinflößend und voller etwas, dass ich nicht erwartet hatte. Sorge, Schutz, flüsterte ich oder Kontrolle. Sein Blick wurde intensiver. Beides und ich entschuldige mich nicht dafür. Er bestand darauf, daß ich bei ihnen im Haus blieb, nur vorübergehend, wie er sagte.
Aber wir beide wussten, dass es nicht vorübergehend sein würde. Als ich dort ankam, jubelte Nonna Maria, als hätte ihre Enkelin endlich die Liebe ihres Lebens gefunden. “Endlich eine Frau in diesem Haus”, verkündete sie und nahm mich in eine Umarmung. “Luzia, du bringst Licht in diese alten Mauern.” “Nonna”, sagte Enzo streng.
“Sie ist hier wegen Sicherheit.” Sie winkte ab. Sicherheit, Liebe, Familie, alles hängt zusammen. So, ich konnte nicht einmal widersprechen, denn als ich an diesem Abend allein in meinem neuen Gästezimmer saß, konnte ich den Gedanken nicht verdrängen. Ich war angekommen, nicht aus Zufall, sondern weil ein gefährlicher Mann mit sanften Augen beschlossen hatte, mich nicht mehr gehen zu lassen.
Die ersten Tage im Charlottenburger Altbau fühlten sich so real an. Ich war nicht in Gefahr. Ich war beschützt, bewacht, eingeschlossen, alles gleichzeitig. Marco oder ein anderer Wachmann begleitete mich überall hin, selbst in den Supermarkt. Enzo erklärte es mit ruhiger, unerschütterlicher Logik. Die Castellanos wissen jetzt, dass du zu uns gehörst.
Du bist eine Zielscheibe und ich lasse das nicht zu. Ich wollte protestieren, aber es brachte nichts. Seine Entschlossenheit war unausweichlich wie Schwerkraft. Also passte ich mich an. Ich arbeitete von einem kleinen hellen Schreibtisch aus, den Non mir aussuchte und mit einer Tischdecke schmückte, damit dein Kopf frei arbeitet, wie sie sagte.
Ich übersetzte Dokumente, nahm Videokars für Treffen wahr, in denen meine Stimme zwischen Italienisch und Deutsch pendelte wie ein gut geöltes Uhrwerk. Zo kam abends spät nach Hause, manchmal ruß verschmiert, manchmal erschöpft, manchmal mit einem Blick, der sagte, er habe wieder Entscheidungen treffen müssen, die kein normaler Mensch jemals treffen sollte.
Und doch, sobald er mich sah, entspannte sich etwas in ihm. Ein Muskel am Kiefer, eine angespannte Falte an den Augen. “Wie war dein Tag?”, fragte er dann, als wäre er ein gewöhnlicher Mann. Und manchmal spät nachts, wenn das Haus schlief, hörte ich ihn leise italienisch flüstern. Alte Gebete. Vielleicht wegen mir, vielleicht wegen Nonna, vielleicht wegen dem Mann, der er früher war.
Nonna Maria beobachtete uns mit der treffsicheren Intuition einer Großmutter. Eines Nachmittags, als wir gemeinsam kochten, sah sie mich an und sagte: “Du liebst ihn.” Ich ließ beinahe den Löffel fallen. “Was, Nonna?” “Nein, das ist Kind.” Sie hob die Hand. “Ich bin 80 Jahre alt. Ich erkenne Liebe, bevor sie jemand ausspricht.
” Ich schwieg, aber sie hatte recht. Nicht, weil ich es geplant hatte, nicht weil es sinnvoll war, sondern weil es unausweichlich war. “Wie Ebbe und Flut.” Er liebt dich schon lange”, sagte sie dann weicher. “Seit du ihm zum ersten Mal widersprochen hast. Er ist nicht daran gewöhnt. Und was passiert, wenn, wenn ich es auch tue?” Nonna lächelte traurig.
“Dann wird seine Welt brennen, aber er wird brennen, um dich zu schützen.” Eines Abends, nach einem besonders angespannten Tag voller Besprechungen und unruhigen Flüsterns auf den Sicherheitsmonitoren, bat Enzo mich in sein Arbeitszimmer. Er stand am Fenster. Die Berliner Nacht glitzerte hinter ihm.
Ich bemerkte erst später, das war kein geschäftlicher Blick. Es war ein persönlicher. “Ich habe eine Entscheidung getroffen”, sagte er. “Welche?” “Die Castellanos. Er drehte sich zu mir. Es endet bald und endgültig.” Enzo, was heißt das? Dass es Krieg wird. Kurz, aber hart. Seine Stimme war ruhig, unheimlich ruhig. “Und ich will nicht, dass du davor stehst, ohne zu wissen, wo ich dich in meinem Leben sehe.” Ich setzte mich.
Meine Knie wurden weich. Enzo, er trat vor mich so nah, dass ich seinen Atem spürte. Ich liebe dich. Die Worte trafen mich wie ein physischer Schlag. Warm, schwer, unvermeidlich. Ich wollte warten, dich nicht überfordern, aber jeder Tag ohne es auszusprechen fühlte sich falsch an. Ich atmete flach. Enzo, deine Welt ist gefährlich.
Und ich verlange nichts, gar nichts. Seine Stimme wurde sanfter. Aber ich will, dass du weißt, warum ich kämpfe, warum ich Entscheidungen treffe, die du nicht verstehst, warum ich Dinge tue, die man mir vorwerfen könnte. Ich tue sie, um das hier zu schützen. Seine Hand berührte meine Wange. Zärtlich, viel zu zärtlich für einen Mann wie ihn.
Dich Mein Herz schlug so heftig, dass ich fürchtete, er müsse es hören. Ich habe Angst, flüsterte ich. Ich weiß. Und trotzdem, ich schloss die Augen. Ich will nicht weg. Er zog mich in seine Arme. Nicht grob, nicht besitzergreifend, nur schützend. So begann es. Die nächsten Wochen waren ein Tanz zwischen Alltag und Krieg, zwischen Besprechungen und Gefahren, zwischen Sicherheit und Bedrohung.
Die Auseinandersetzung mit den Castellanos eskalierte. Enzo kam spät zurück, manchmal blutvschmiert, manchmal mit kaltem Blick, der verriet, dass er Dinge getan hatte, über die er nie sprechen würde. Aber jeden Abend kam er zu mir und ich wartete auf ihn. Es war eine Liebe, die man nicht gesucht hatte, eine, die man nicht wählen sollte, eine, die einen verschluckte.
Sechs Wochen später endete der Krieg nicht durch Kugeln, sondern durch Verhandlungsgeschick, durch Druckmittel, die tief verborgen gehalten hatte, bis der richtige Moment kam. “Es ist vorbei”, sagte er an jenem Abend, als er spät heim, erschöpft, aber erleichtert. Ich fiel ihm um den Hals, bevor ich darüber nachdenken konnte.
Seine Arme schlossen sich um mich, fester als je zuvor. Und jetzt? Fragte ich leise. Er sah mich an. Ernst ohne Fluchtmöglichkeit. Jetzt musst du entscheiden, ob du bleibst. Enzo, ich bin schon geblieben. Nein, seine Stimme war weich, aber unerbittlich. Du bist geblieben, weil es gefährlich war. Bleibst du, weil du es willst.
Ich traf seinen Blick. Dunkel, verletzlich. Offen sein ist immer ein Risiko, selbst für einen Mann wie ihn. Ja, sagte ich schließlich. Ich bleibe wegen dir, nicht wegen der Gefahr. Ein kaum hörbares Ausatmen verließ seine Lippen. Er griff in seine Tasche und zog eine kleine Schachtel hervor. Dann will ich, dass du ganz bleibst. Ich öffnete den Mund.
Enzo. Luzia Romano sagte er mit dieser ruhigen, tiefen Stimme, die mich seit Monaten erschütterte. Willst du meine Frau werden? Nicht, weil du mußt, nicht weil du geschützt wirst, sondern weil ich ohne dich ein halber Mann bin. Ich sah die schlichte elegante goldene Ringschale. Ich sah Enzo, diesen widersprüchlichen Mann, diese gefährliche Sicherheit, dieses ruhelose Herz.
Und ich wusste, dies war Wahnsinn und dies war Liebe. Beides gleichzeitig. Ja, flüsterte ich. Ja, Enzo. Er setzte mir den Ring an den Finger, seine Hand zitterte dabei und dann küsste er mich. Nicht wie ein Boss, nicht wie ein Mann, der alles kontrollierte, sondern wie jemand, der zum ersten Mal etwas gefunden hatte, das stärker war als er, etwas, das ihm gehörte und doch nie wirklich besitzen konnte. mich.