Yungblud lässt in Berlin keine Seele unberührt. Und sichert ganz nebenbei den Fortbestand der Rockmusik. So war das Konzert des 28-jährigen Briten.
Was genau macht einen Rockstar eigentlich zum Rockstar? Ich habe mir diese Frage schon oft gestellt – in kleinen Clubs, auf großen Festivals, im Schlafzimmer mit Kopfhörern.
Ist es das Image von Sex, Drugs & Rock’n’Roll? Diese überlebensgroße Pose aus Exzess und Schmerz? Oder ist es die raue, aber mächtige Stimme, die sich gegen Schlagzeug und Bass durchsetzt?
Vielleicht ist es etwas viel Intimeres: dieses Verarbeiten von tiefen Gefühlen, das emotionale Blankziehen. Plötzlich können tausende Menschen mit den eigenen Geschichten mitfühlen, mitsingen, mitheulen.
Yungblud zollt in Berlin Ozzy Osbourne emotionalen Tribut
Was davon der entscheidende Faktor ist, wird jeder Rockfan am liebsten für sich selbst beantworten. Aber eines habe ich an einem unscheinbaren Montagabend in Berlin realisiert: Wenn es jemanden gibt, der all das Potenzial in sich trägt, dann ist es Yungblud. Watson war bei seinem Konzert in Berlin dabei.
Natürlich rennt er in einem rockigen Lederoutfit auf die Bühne, abgerundet durch einen kecken, leicht flirtenden Blick. In dieser Sekunde, in dieser Halle in Berlin, fühlt es sich an, als läge die Antwort darauf, was einen Rockstar ausmacht, ganz offensichtlich vor mir.
Denn der 28-Jährige gilt längst als einer der aufregendsten Newcomer der Rockmusik. In der Szene hat er sich bereits einen Namen gemacht, nicht zuletzt dank seines Mentors, dem verstorbenen Black-Sabbath-Frontmann Ozzy Osbourne. Der “Prinz der Dunkelheit” war einer der prägendsten Musiker der Rockgeschichte und glaubte früh an Yungbluds außergewöhnliches Talent.
Bei seinem Berlin-Konzert zollt Yungblud mit einem Cover des Black-Sabbath-Klassikers “Changes” Tribut. Schon nach den ersten Tönen hallten laute “Ozzy!”-Rufe durch die Halle.
In der zweiten Hälfte des Songs bricht ihm schließlich fast die Stimme. Tränen laufen über sein Gesicht, und als ich mich umsehe, sehe ich, dass er nicht der Einzige ist. Auch in der Menge glänzen Augen. Ich bin mir sicher, in diesem Moment wird nicht ausschließlich um Ozzy Osbourne getrauert, sondern über dutzende persönliche Schicksalsschläge.
Schließlich hebt Yungblud den Kopf Richtung Himmel, lächelt schwach und sagt ins Mikrofon: “Rock’n’Roll geht um Liebe. Ozzy geht um Liebe. Yungblud geht um Liebe.”
Yungblud: Ein echter Rockstar, ob mit oder ohne Aerosmith
Yungblud, der zuletzt eine Single mit Aerosmith veröffentlichte (“My Only Angel”), hat offensichtlich keine Kosten gescheut und das Ergebnis ist eine herausragende Show, die leicht überproduziert wirken könnte.
Doch im Gegenteil: Jede Sekunde wirkt authentisch. Denn trotz all des Spektakels steht immer noch seine Musik im Mittelpunkt. Neben der klassischen Rockband treten vier Streicherinnen auf, die mit Geigen und Celli der Wucht des Rocks eine unerwartete Zartheit verleihen.
Dem Rockstar-Image wird er natürlich trotzdem gerecht: Nach nur einem Song fliegt das Lederoberteil in die Ecke, wie sollte es auch anders sein. Ein randvolles Bier kippt er sich über den Kopf und den nackten Oberkörper, den Rest verteilt er in Bechern an die kreischende Menge.
Später klettert er mit einer Zigarette im Mund über die Barrikade zur jetzt völlig außer Kontrolle geratenen Frontrow. Seine E-Gitarre wirft er quer über die Bühne zu seinem Bandkollegen, der sie völlig unbeeindruckt auffängt. Dann lässt Yungblud das Kabelmikrofon durch die Luft wirbeln. Er wirkt wie ein Rockstar, durch und durch. Und doch braucht es all das eigentlich gar nicht.
Yungblud-Konzert in Berlin zeigt diverses Publikum
Denn Yungblud hat etwas geschafft, woran sich unzählige andere die Zähne ausbeißen: Er bringt Menschen zusammen, die in jeder anderen Situation wahrscheinlich aneinander vorbeilaufen würden. Durch diese Diversifizierung seiner Zielgruppe(n) kann er sich auch Risiken erlauben.
So traut er sich, Musik der Liebe an der Kunst wegen zu machen. Und auch politisch nimmt Yungblud kein Blatt vor den Mund, identifiziert sich als queer und kämpft für die Rechte von Frauen und marginalisierten Gruppen.