
Wenn Spitzenpolitiker runde Geburtstage feiern, handelt es sich selten nur um eine private Angelegenheit. Vielmehr sind diese Jubiläen stets auch ein gesellschaftliches und politisches Spektakel – eine Gelegenheit, Stärke, Geschlossenheit und das Gewicht des eigenen Netzwerks zu demonstrieren. Doch im Falle des bevorstehenden 70. Geburtstags von Friedrich Merz, dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, am 11. November, hat die Feier, die ihm seine Unionsfraktion ausrichten lässt, bereits im Vorfeld eine Lawine an Kontroversen und Spekulationen ausgelöst. Es geht um eine peinliche und öffentlich ausgetragene Fehde, die nicht nur die aktuellen Schlagzeilen dominiert, sondern auch ein grelles Licht auf die tiefen, unüberwundenen Gräben innerhalb der CDU wirft. Der Kern des Dramas: Nur eine Person darf bei diesem politischen Großereignis offenbar nicht mitfeiern – Erzrivalin und Altkanzlerin Angela Merkel.
Was sich hier auf den ersten Blick wie ein banaler Streit um eine Party-Einladung liest, ist in Wahrheit die jüngste Eskalation in einer sogenannten “gepflegten Feindschaft”, die die deutsche Politik über zwei Jahrzehnte hinweg geprägt hat. Diese beiden Titanen der Union kämpften immer wieder intern um die Macht, und obwohl Merkel das Duell über Jahre hinweg für sich entscheiden konnte, scheint die persönliche Wunde bei Merz noch immer schmerzhaft zu sein.
Die Geschichte einer politischen Entzweiung
Um die Tragweite des aktuellen Eklats zu verstehen, muss man in die frühen 2000er-Jahre zurückblicken, als Merz noch als Hoffnungsträger des wirtschaftsliberalen Flügels der CDU galt und den Vorsitz der Bundestagsfraktion innehatte. Er war der dynamische Gegenentwurf zur damaligen Generalsekretärin Angela Merkel, die sich mit strategischer Geduld an die Spitze der Partei manövrierte. Die Zäsur kam im Jahr 2002, als Merkel Merz von diesem wichtigen Posten verdrängte. Für Merz, den Mann aus dem Sauerland, der sich selbst als Alpha-Tier der CDU sah, war dies nicht nur eine politische Niederlage, sondern eine tiefe persönliche Kränkung. Er zog sich daraufhin für viele Jahre aus der ersten Reihe der Politik zurück – ein Rückzug, den er später selbst als “Wegmerzelung” empfunden haben dürfte.
Merkels Aufstieg zur Kanzlerin zementierte diesen Zustand, während Merz in der Wirtschaft Karriere machte, jedoch nie den Blick von der politischen Bühne abwandte. Die Feindschaft war ideologisch, zwischen Merz’ Betonung des Unternehmertums und Merkels pragmatischer Politik der Mitte, aber sie war auch zutiefst persönlich. Insbesondere Merz’ Auftreten stieß der Altkanzlerin immer wieder sauer auf. Die Quelle des aktuellen Konflikts betont explizit Merz’ “Macho Attitüde des Sauerländers”, die im Gegensatz zu Merkels eher zurückhaltender, analytischer Art stand. Es ist das Duell zweier völlig unterschiedlicher politischer Kulturen.
Die Macht der Geste: Merkel zeigte Größe im Jahr 2024
Der Kontrast zur Altkanzlerin selbst könnte kaum deutlicher sein. Als Angela Merkel im Jahr 2024 ihren eigenen 70. Geburtstag feierte, demonstrierte sie eine politische Souveränität, die in diesem Metier selten geworden ist. Trotz der historischen und anhaltenden Rivalität hatte sie Friedrich Merz zu ihren Feierlichkeiten eingeladen. Die damalige Geste war ein symbolischer Akt, ein Zeichen von “Größe” im politischen Sinne, das über parteiinterne Querelen hinausging. Es war eine Einladung an einen ehemaligen Widersacher, die in der Öffentlichkeit als Staatsakt der Versöhnung interpretiert wurde.
Merz hatte nun die Gelegenheit, dieses Zeichen zu erwidern, die diplomatische Fackel weiterzugeben und damit ein Signal der Geschlossenheit in einer Zeit zu setzen, in der die Union jede Einheit dringend nötig hat. Doch Friedrich Merz scheint das ganz anders zu sehen. Er will seine langjährige Konkurrentin offenbar nicht dabei haben, wenn er die Geburtstagskerzen ausbläst.
Der peinliche Affront: Wenn Politik zum Kindergeburtstag wird
Die Bestätigung des Affronts kam auf nüchterne, geradezu erschreckende Weise. Eine Sprecherin Merkels teilte der Öffentlichkeit lapidar mit: “Der Eingang einer Einladung ist bei uns nicht verzeichnet.”
Diese trockene Feststellung entlarvt die Situation als das, was sie ist: ein politischer Kindergeburtstag. Die Formulierung ist eine Meisterleistung an sprachlicher Zurückhaltung, die jedoch die volle Wucht der Brüskierung transportiert. Hier feiert ein Spitzenpolitiker, der Anspruch auf die Kanzlerschaft erhebt, seinen runden Geburtstag, der von der gesamten Fraktion ausgerichtet wird, und demonstriert vor den Augen der Nation, dass er nicht bereit ist, über seinen eigenen Schatten zu springen. Der Vorwurf, der in den politischen Zirkeln und in den Kommentarspalten der sozialen Medien nun laut wird, ist der des mangelnden Formats, der Unfähigkeit zur Versöhnung und der Kleingeistigkeit. Die Metapher des Kindergeburtstags drängt sich auf: Wer nicht nach meiner Pfeife tanzt, wird ausgegrenzt.
Dieses Verhalten ist nicht nur persönlich verletzend, es ist politisch kurzsichtig. Ein Fraktionsvorsitzender, der sich anschickt, die größte Volkspartei Deutschlands zu führen, muss die Fähigkeit besitzen, selbst mit seinen schärfsten Widersachern ein Mindestmaß an öffentlicher Etikette und Respekt zu wahren. Die Nicht-Einladung ist ein Signal an die gesamte Partei: Persönliche Animositäten stehen über der geforderten Geschlossenheit der Union.
Merkels brillanter Schachzug: Die Eleganz der Absage
Doch das politische Duell war noch nicht beendet. Angela Merkel, stets die Meisterin des strategischen Kalküls, bewies einmal mehr, dass sie das Spiel der Macht nicht nur versteht, sondern in Perfektion beherrscht.
Die Altkanzlerin spielte das Spiel allerdings nicht mit. Obwohl sie keine Einladung erhalten hatte – also streng genommen auch nicht absagen konnte – ließ ihr Büro verlauten, dass eine Teilnahme der Bundeskanzlerin außerdienst wegen einer Auslandsreise ohnehin nicht möglich gewesen wäre.
Dieser Zug ist ein Meisterwerk der politischen Diplomatie. Merz hatte die Tür zugeschlagen, Merkel jedoch öffnete ein Fenster der Eleganz. Sie stellte klar, dass sie de facto nicht verfügbar gewesen wäre und bewahrte damit nicht nur ihr eigenes Gesicht, sondern auch das von Merz vor der größtmöglichen öffentlichen Demütigung.
Ihr Manöver ist in mehrfacher Hinsicht genial:
-
Würde: Merkel demonstriert, dass sie nicht auf das Niveau persönlicher Fehden herabsinkt. Ihre öffentliche Erklärung vermittelt den Eindruck, dass sie zwar nicht eingeladen war, es aber ohnehin nicht geschafft hätte – ein eleganter Weg, um Merz’ Affront ins Leere laufen zu lassen.
Staatsraison: Durch die Nennung der “Auslandsreise” als Grund positioniert sie sich als internationale Akteurin, deren Terminkalender wichtiger ist als parteiinterne Scharmützel. Sie hebt sich damit symbolisch über die aktuellen Zankereien hinweg.
Gesichtsrettung: Am wichtigsten ist, dass Merkel beiden Seiten erlaubt, das Gesicht zu wahren. Die Ex-Kanzlerin reagiert “ganz diplomatisch”, während Merz’ Lager zumindest die Möglichkeit erhält, die “Absage” als reinen Terminkonflikt darzustellen, anstatt als bewusste Ausgrenzung.
Das Ergebnis ist eindeutig: Merz hat mit der Nicht-Einladung einen offenen Angriff gestartet, doch Merkel hat ihn mit einem einzigen diplomatischen Konter in die Defensive gedrängt.
Die verpasste Chance und das Verharren im Schmollwinkel
Die Geschichte endet jedoch nicht mit einem Happy End. Trotz Merkels diplomatischem Entgegenkommen ist eine Versöhnung weiterhin “nicht in Sicht”. Merz, der sich durch die Nicht-Einladung selbst in die Rolle des Gekränkten manövriert hat, “schmollt weiter”. Er verpasst die historische Gelegenheit, an einem runden Geburtstag – einem symbolischen Neubeginn – auf ein neues Kapitel anzustoßen.
Politik lebt von Symbolen, und diese Geste der Ungnade sendet ein verheerendes Signal in die Basis der Union und an die Wähler. Es zeigt, dass die tiefe Spaltung, die Merz’ Rückzug in den 2000er-Jahren verursachte, noch immer nicht überwunden ist. Die Union braucht Geschlossenheit, um in zukünftigen Wahlen erfolgreich zu sein, doch Merz demonstriert das genaue Gegenteil.
Der Zoff um die verlorene Einladung zum 70. Geburtstag ist daher mehr als nur Tratsch. Er ist ein Indikator für den inneren Zustand der CDU: gespalten, verhaftet in alten Rivalitäten und unfähig, die Macht der Versöhnung als politische Tugend zu begreifen. Während Angela Merkel mit ihrem diplomatischen Meisterstück ihren Status als souveräne Staatsfrau festigt, schadet Friedrich Merz seinem Ruf als potenzieller Kanzlerkandidat durch die öffentliche Demonstration seiner tief sitzenden Ressentiments. Die Politik schaut zu und erkennt: Manchmal geht es selbst bei den größten Jungs noch zu wie im Kindergarten.