
Die deutsche Medien- und Musiklandschaft trauert um eine ihrer prägendsten Stimmen und charismatischsten Persönlichkeiten. Matthias Holtmann, eine wahre Radio-Legende, ist im Alter von 75 Jahren verstorben. Der einstige Moderator des Süddeutschen Rundfunks (SDR) und später des Südwestrundfunks (SWR) galt als einer der Pioniere der modernen Radiounterhaltung, ein Mann, der es verstand, Musik, Sprache und Emotion zu einem einzigartigen Hörerlebnis zu verschmelzen. Sein Tod hinterlässt eine tiefe Lücke in der Branche und in den Herzen einer riesigen Fangemeinde, die ihn über Jahrzehnte hinweg begleitete.
Matthias Holtmanns Leben war eine faszinierende Melodie aus Kreativität, Leidenschaft für die Musik und einem unbeugsamen Humor, selbst angesichts schwerster gesundheitlicher Herausforderungen. Er war nicht nur ein Moderator, sondern ein Musiker, ein Macher und zuletzt ein Buchautor, der mit entwaffnender Offenheit über sein Leben, seine Karriere und seine Parkinson-Erkrankung sprach.
Vom Schlagzeuger zum Radiopionier
Holtmann stammte aus einem Elternhaus, in dem Kunst und Kultur nicht nur geduldet, sondern zelebriert wurden. Er wuchs zusammen mit seinem älteren Bruder in einem kreativen Umfeld auf, das den Grundstein für seine spätere Vielseitigkeit legte. Nach seinem Schulabschluss vertiefte er seine musikalische Neigung durch ein Studium in Köln. Doch seine Karriere begann nicht hinter dem Radiomikrofon, sondern am Schlagzeug.
In den 1970er-Jahren war Holtmann aktives Mitglied der Progressivband Trium, mit der er nicht nur in Deutschland, sondern auch international Erfolge feierte. Diese Zeit als aktiver Musiker prägte sein tiefes Verständnis für Musik – ein Wissen und eine Leidenschaft, die er später in seine Radiosendungen einfließen ließ.
1979 wechselte Matthias Holtmann die Bühne und begann seine Laufbahn beim Süddeutschen Rundfunk (SDR). Dort machte er sich schnell einen Namen als Musikredakteur und Moderator. Er war maßgeblich an der Gestaltung des Profils von SD3 beteiligt, das als „Motoradio für den wilden Süden“ bekannt wurde und eine neue Ära der populären Radiounterhaltung einleitete. Seine Fähigkeit, Musik intelligent zu präsentieren und gleichzeitig eine lockere, nahbare Atmosphäre zu schaffen, war wegweisend.
Die goldene Ära von „Treff nach 2“
Der absolute Durchbruch und die Etablierung als eine der prägendsten Stimmen des Südwestdeutschen Rundfunks gelang Matthias Holtmann mit der werktäglichen Nachmittagssendung Treff nach 2, die zwischen 14 und 16 Uhr ausgestrahlt wurde. Mit dieser Sendung erspielte er sich eine riesige und loyale Fangemeinde.
Seine Moderationen waren eine Mischung aus fachkundigem Musikwissen, witzigen Anekdoten und einer menschlichen Wärme, die die Hörer unmittelbar ansprach. Holtmann konnte sowohl mit internationalen Größen wie Harry Belafonte und den Spice Girls als auch mit deutschen Stars wie Dieter Bohlen Gespräche führen, die weit über das übliche Interview-Format hinausgingen und Einblicke in die Persönlichkeiten hinter der Musik lieferten.
Im Laufe seiner jahrzehntelangen Karriere bewies er immer wieder seine Vielseitigkeit und seinen Innovationsgeist. Er war an der Entwicklung erfolgreicher Formate wie SWR1 Leute beteiligt und schuf mit der Musiksendung Dr. Music ein Angebot, das sich gezielt an ein fachkundiges Publikum richtete. Auch vor der Fernsehkamera war Holtmann präsent, etwa als Gastgeber von Sendungen wie nah und extra spät und dringfrei. Er bewies damit, dass sein Talent für die Unterhaltung weit über die Grenzen des Radiomikrofons hinausreichte.
Nach der Fusion von SDR und SWF zum Südwestrundfunk (SWR) übernahm Holtmann zunächst die Position des Musikchefs bei SW3, kehrte aber später wieder zur Moderation zurück. Mit Sendungen wie Guten Abend Baden-Württemberg auf SWR1 festigte er seinen Status als unverzichtbare Größe in der regionalen Medienlandschaft.
Pop und Poesie: Die Vereinigung der Künste
Eine seiner wohl persönlichsten und erfolgreichsten Schöpfungen war die von ihm entwickelte Reihe Pop- und Poesie in Konzert. Dieses Format hob die Grenzen zwischen Musik und Sprache auf und vereinte sie zu einem einzigartigen Bühnenerlebnis.
Bei diesen Konzerten wurden die Texte berühmter Popsongs – die oft im englischen Original gehört, aber selten verstanden wurden – von Schauspielern und Sprechern auf der Bühne ins Deutsche übertragen und von einer Live-Band musikalisch interpretiert. Holtmann gelang es, die emotionale Tiefe und die literarische Qualität der Songtexte freizulegen und Musik und Sprache in einem neuen, bewegenden Licht zu präsentieren. Dieses Konzept war nicht nur ein künstlerischer Erfolg, sondern auch ein Beweis für Holtmanns tiefes humanistisches Verständnis und seine Liebe zur Vermittlung von Inhalten.
Der Kampf gegen Parkinson: Humor und Offenheit
Die größte Herausforderung seines Lebens stellte die Diagnose der Parkinson-Krankheit dar. Diese fortschreitende neurologische Erkrankung, die die Motorik stark beeinträchtigt, hätte viele Menschen zum Rückzug gezwungen. Doch nicht Matthias Holtmann. Er entschied sich für einen Weg der radikalen Offenheit und des Humors.
Selbst nach der Diagnose blieb er bemerkenswert aktiv. Er stand weiterhin regelmäßig bei Live-Veranstaltungen auf der Bühne, auch wenn ihm die körperliche Anstrengung zunehmend zugesetzt haben muss. Sein Mut und seine Entschlossenheit, sich von der Krankheit nicht definieren zu lassen, wurden zu einem neuen, inspirierenden Teil seiner öffentlichen Persona.
Im Jahr 2022 veröffentlichte er sein Buch Porsche Pop und Parkinson, in dem er offen und schonungslos über sein Leben, seine Karriere und vor allem den täglichen Kampf mit der Krankheit berichtete. Das Buch wurde zu einem wichtigen Dokument über den Umgang mit einer schweren Erkrankung – ehrlich, informativ und immer wieder durchblitzt von dem ihm eigenen Humor. Holtmann bewies, dass man auch mit einer schweren Diagnose noch ein sinnvolles, aktives und vor allem ehrliches Leben führen kann. Er verwandelte seine persönliche Tragödie in einen Akt der öffentlichen Stärke und Aufklärung.
Matthias Holtmanns Tod im Alter von 75 Jahren beendet eine Ära im deutschen Rundfunk. Er wird als Pionier in Erinnerung bleiben, dessen Stimme nicht nur Informationen und Musik vermittelte, sondern auch Persönlichkeit, Leidenschaft und Menschlichkeit. Sein Vermächtnis lebt nicht nur in den Archivaufnahmen des SDR und SWR weiter, sondern vor allem in der Erinnerung seiner Hörer, die ihn als den Mann kannten, der mit Musik im Herzen und Humor in der Stimme gegen alle Widrigkeiten antrat. Die Symphonie seines Lebens mag verstummt sein, aber die Resonanz seiner Arbeit wird noch lange nachhallen.