Der Rassemblement National will in Frankreich endlich regieren – und dafür die Brandmauer zu den Republikanern einreißen. Dort gilt Le Pen aber manchen als Sozialistin.
In Frankreich scheint in diesen Tagen fast alles möglich zu sein, nur eines ist gewiss: Wann auch immer das nächste Mal gewählt wird, ein neues Parlament oder sogar ein neuer Präsident, Marine Le Pen und ihre Partei, der Rassemblement National (RN), werden als Favoriten in den Wahlkampf ziehen. Die Nationalpopulisten stehen in den Umfragen bei deutlich über 30 Prozent und sind derzeit die mit Abstand stärkste politische Kraft. Gewiss ist allerdings noch etwas anderes: Allein wird auch der RN nicht regieren können.
Frankreich hat in den vergangenen zwei Jahren fünf Premierminister verschlissen. Doch der Rücktritt einer Regierung, die nur 14 Stunden im Amt war, hat zu Beginn dieser Woche einen politischen Bergsturz ausgelöst. Alles bricht, nichts hält seitdem mehr. Die Trümmer könnten am Ende sogar Emmanuel Macron unter sich begraben. Eine letzte Frist hatte der Präsident dem bereits zurückgetretenen Regierungschef noch gegeben. Bis Mittwochabend sollte dieser retten, was nicht mehr zu retten ist. Dass in Frankreich also bald wieder gewählt wird, scheint unausweichlich.
Schlägt dann die Stunde Le Pens? Schon bei der jüngsten Parlamentswahl, im Sommer 2024, hatte ihre Partei knapp ein Drittel der Stimmen gewonnen. Auch die Verhältnisse innerhalb des rechten Lagers sind seitdem geklärt: Mehr als neun Millionen Menschen stimmten damals für den RN; nur noch 2,1 Millionen Wählerinnen und Wähler entschieden sich für die Republikaner, die traditionelle Partei der Konservativen.
Brandmauer auf Französisch
Im Parlament stellt der RN zurzeit trotzdem nur ein Fünftel der Abgeordneten. Der Grund dafür ist das französische Wahlrecht. Genau wie der Präsident werden auch die Abgeordneten in Frankreich in zwei Runden gewählt. Die linken Parteien und die zentristischen Kräfte, die Macron unterstützen, hatten sich nach dem ersten Wahlgang verbündet und so in vielen Wahlkreisen verhindert, dass der RN gewinnt. Eine Art Brandmauer auf Französisch: der front républicain.
Diese republikanische Front galt vielen Linken und Moderaten als ein Erfolg in der Abwehr von Le Pen. Das verzerrte Kräfteverhältnis im Parlament habe aber zu einem Missverständnis geführt, argumentiert Luc Rouban. Der Politikwissenschaftler forscht an der Pariser Universität Sciences Po. Viele politische Kräfte hätten “den Aufstieg des Rassemblement National heruntergespielt” und verkannt, dass die nationalistische Partei “zum Gravitationszentrum der Rechten” geworden sei, schreibt Rouban.
Dabei hat sich das Kräfteverhältnis zwischen rechts und rechts-außen schon seit Längerem verkehrt. Marine Le Pen hatte bereits 2017 und 2022, bei den beiden vergangenen Präsidentschaftswahlen, jeweils die Stichwahl erreicht. Vor drei Jahren gewann sie mehr als 13 Millionen Stimmen. Die Kandidaten der Republikaner waren jeweils in der ersten Runde gescheitert.
RN hat die meisten Stammwähler
Ob Marine Le Pen bei der nächsten Präsidentschaftswahl, egal wann sie stattfindet, noch einmal antreten kann, ist ungewiss. Im Frühjahr ist die 57-Jährige wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder in erster Instanz verurteilt worden. Hat das Urteil Bestand, darf sie weder bei einer Präsidentschafts- noch bei einer Parlamentswahl kandidieren. Aber Jordan Bardella, der 30-jährige RN-Vorsitzende, der sie ersetzen würde, kann laut Umfragen auf eine ähnlich große Unterstützung wie Le Pen hoffen. Keine andere französische Partei verfügt heute über so viele Stammwähler wie der RN.
Um in Frankreich zu regieren, reichen die 30 Prozent trotzdem nicht aus. Wer Präsidentin oder Präsident werden will, braucht im zweiten Wahlgang eine absolute Mehrheit. Und wer im Parlament eine Mehrheit sucht, um den Premierminister stellen zu können, muss entweder mehr als die Hälfte aller Wahlkreise gewinnen – oder er braucht Partner. Bislang ist der RN im Parlament weitgehend isoliert.
In den vergangenen Jahren ist deshalb schon öfter die Idee aufgetaucht, die verschiedenen Kräfte der politischen Rechten zu bündeln. Für eine solche union des droites müssten die bürgerlichen Republikaner mit den Nationalpopulisten zusammenarbeiten – in einer blau-schwarzen Koalition, von der auch in Deutschland manche träumen. Nur, anders als bisher in Deutschland, wären Frankreichs Populisten in dem Bündnis die weitaus stärkere Kraft.