Die Schatten seiner Lieder: Reinhard Mey enthüllt mit 82 Jahren die fünf Stars, die ihn am tiefsten enttäuschten – und warum sein größter Schmerz ein Spiegelbild der eigenen Seele war.

Die letzte Stille des Poeten: Reinhard Meys leise Abrechnung mit der lauten Welt der Musik

Die Entdeckung eines gut gehüteten Geheimnisses

Reinhard Mey, der Mann, dessen Stimme seit über sechs Jahrzehnten wie ein freundlicher Brief an das Leben klingt, hat mit 82 Jahren das große Schweigen gebrochen. Der Poet der leisen Töne, dessen Lieder nach Melancholie, Freiheit und dem einfachen, stillen Sein rochen, war nie der Star, der Schlagzeilen suchte. Er war der Mann mit der Gitarre, dem stillen Blick und den klaren Worten, der Zuhörer suchte, nicht Fans. Doch hinter dieser beispiellosen Sanftheit lebte ein Künstler, der oft an der Welt, an Verrat und an einem Musikgeschäft, das Ehrlichkeit immer weniger schätzte, zerbrach.

„Ich habe nie in den Applaus gepasst“, soll er einmal gesagt haben.

Nun, im Spätherbst seines Lebens, blickt Mey nicht mit Wut, aber mit der tiefen Müdigkeit derer zurück, die immer versucht haben, gut zu bleiben in einer Welt, die unerbittlich laut wurde. Zum ersten Mal spricht er offen über jene fünf Namen, fünf Schatten, fünf Künstler, die ihn auf seinem langen Weg nicht nur prägten, sondern auch zutiefst enttäuschten. Diese Enthüllung ist kein wütendes Manifest, sondern eine wehmütige Reflexion darüber, was Freundschaft und Wahrheit in der Kunst kosten können. Das Erstaunlichste: Die größte Enttäuschung kommt nicht von einem Feind, sondern von einem Kollegen, der unbewusst das Ende seiner Ära einläutete. Meys Geständnisse sind ein erschütterndes Zeugnis über die Zerbrechlichkeit der Authentizität im Angesicht von Kampf und Kommerz.

Platz 5: Wolf Biermann – Der Spiegel der Rebellion, der die Nettigkeit verhöhnte

Die erste Figur auf Meys Liste ist Wolf Biermann, der Poet des Widerstands, der das Wort zur Waffe machte und gegen Mauern sang, die nicht nur aus Beton waren. Mey bewunderte Biermanns unbändigen Mut, dort laut zu sein, wo er selbst leise blieb. Doch darin lag ihr unüberwindbarer Konflikt. Beide waren Dichter, beide Idealisten, aber sie verkörperten zwei unterschiedliche Welten: Der eine kämpfte mit der Faust des Wortes, der andere mit der Zärtlichkeit eines Akkords.

Als Biermann in den 1970er Jahren aus der DDR ausgebürgert wurde und zum Symbol des Widerstands avancierte, spürte Mey, wie sich das Land und mit ihm die Kunst spalteten. Er weigerte sich, Parolen zu singen. Er wollte Brücken bauen, doch „selbst Lieder wurden Waffen“.

Die Begegnung, die zur Enttäuschung führte, fand auf einer Bühne in Hamburg statt. Als Mey sie betrat, legte Biermann den Arm um ihn und sprach ins Mikrofon: „Das hier ist ein netter Mann, aber die Welt verändert man nicht mit Nettigkeit.“ Das Publikum lachte, Mey lächelte – doch innerlich zog sich etwas in ihm zusammen. Er verstand die Botschaft: Seine Sanftheit war als Schwäche interpretiert worden.

Später reflektierte Mey: „Er hatte Unrecht. Man kann die Welt auch mit Freundlichkeit verändern, nur dauert es länger.“ Sie sprachen kaum noch. Biermann suchte die Schlagzeilen, Mey die Stille. Doch Mey erkannte in Biermann einen Spiegel, in dem er jene Seiten sah, die er vor sich selbst verstecken wollte: die Sehnsucht, manchmal auch laut, bitter und kämpferisch zu sein. Die Enttäuschung war weniger Biermanns Angriff, als die schmerzhafte Erkenntnis der eigenen gespaltenen Natur.

Platz 4: Konstantin Wecker – Der Freund, dessen Worte wie ein Messer trafen

Konstantin Wecker und Reinhard Mey waren lange Zeit wie zwei Seiten derselben Medaille: Der sanfte Poet und der wütende Idealist. Beide schrieben über die großen Themen – Liebe, Freiheit, Menschlichkeit. In den späten 70ern teilten sie Bühnen, an denen das Publikum mehr suchte als Unterhaltung. Sie wollten dieselbe Welt, aber auf unterschiedlichen Wegen: Für Wecker war Kunst Kampf, für Mey war sie Trost. Wecker tobte gegen das System; Mey lächelte, nicht aus Gleichgültigkeit, sondern aus dem, was er Gnade nannte. „Ich glaube, Zärtlichkeit verändert mehr als Zorn“, so Meys Credo.

Doch die 80er machten Deutschland lauter, radikaler. Wecker wurde zum unerschrockenen Helden, während Mey, der sich Parolen verweigerte, als feige und zu sanft galt. Der eigentliche Bruch kam jedoch durch einen Satz in einem Interview, der „wie ein Messer durchs Vertrauen schnitt“. Wecker sagte über Mey: „Er singt schöne Lieder, aber manchmal habe ich das Gefühl, er hat vergessen, wofür man singt.“

Für Mey war dieser Satz am Küchentisch gelesen, eine tiefere Verletzung als jede Feindschaft. „Ich glaube, er kennt mich nicht mehr“, sagte er nur. Jahre des Schweigens folgten. Meys Lieder aus dieser Zeit handelten ungesagt von diesem Verrat, von einer Freundschaft, die an Worten zerbrach. Die Wunde blieb, weil sie von einem Gleichgesinnten geschlagen wurde, der Meys Wahrheit nicht sah. Sie trafen sich Jahrzehnte später bei einer Preisverleihung. In einem kurzen Blick wussten beide, dass alles vergeben, aber nichts vergessen war. Die traurige Weisheit, die Mey daraus zog: „Freundschaft ist wie Musik. Wenn sie einmal verstimmt ist, kann man sie stimmen, aber sie klingt nie wieder gleich.“

Platz 3: Hannes Wader – Der Bruder, den die Ideologie forttrug

Die Freundschaft zwischen Hannes Wader und Reinhard Mey war einst eine „aus Liedern gebaut, aus Straßen, Gitarren und langen Nächten“. Sie teilten dieselbe Sehnsucht, dieselben Träume von einer besseren Welt, in der Musik mehr war als bloße Unterhaltung. Wader war der radikalere, kompromisslosere Teil, Mey der Beobachter, der das Große im Kleinen suchte. Sie waren ein Herzschlag.

Der Riss, leise, aber endgültig, entstand, als Wader sich offen der kommunistischen Bewegung anschloss. Plötzlich gab es eine ideologische Grenze, die selbst Musik nicht mehr überbrücken konnte. Mey zog sich zurück: „Ich konnte nicht mehr singen, wenn man mir sagte, wofür ich zu singen habe. Ich wollte frei bleiben, auch von der Freiheit der anderen.“ Wader, sein Bruder im Geiste, nannte ihn daraufhin „bürgerlich angepasst“ und „zu vorsichtig für den wahren Wandel“. Der Satz, der am meisten schmerzte, war: „Reinhard, du willst Frieden, aber du hast Angst vor dem Kampf.“

Diese Kritik traf Mey tiefer als jeder journalistische Verriss, denn sie kam nicht von einem Gegner, sondern von einem Freund, der seine Lebensentscheidung verurteilte. Sie verloren sich, nicht durch Streit, sondern weil jeder zu sehr glaubte, Recht zu haben. Mey sah ihn später zufällig in Hamburg. Ein Blick, ein Nicken, in dem alles gesagt war. Mey verurteilte Wader nie, aber er verlor einen Teil seiner eigenen musikalischen Seele an diese ideologische Spaltung. Der einzig Trost: Wader war der einzige, der wusste, wie still Musik sein kann und trotzdem alles sagt.

Platz 2: Reinhard Fendrich – Der Jüngere, der die Freundlichkeit zum Spott machte

Die Enttäuschung durch Reinhard Fendrich, dem jungen Wilden aus Wien, war die des Spottes und der Ignoranz. Mey mochte ihn anfangs, lud ihn zu Konzerten ein, nannte ihn eine mutige Stimme. Doch Fendrich, Repräsentant einer neuen Generation, suchte Gegner, nicht Väter.

Der öffentliche Hohn traf Mey. Auf die Frage nach seinen Vorbildern lachte Fendrich und sagte: „Reinhard Mey? Ein netter Kerl, aber der singt, als würde er Briefe an den lieben Gott schicken.“

Mey las dies allein in Berlin. Er lächelte zwar, aber er war innerlich leer, denn er begriff: „Freundlichkeit in dieser neuen Welt [war] ein Grund zum Spott geworden“. Die Ironie und der Wiener Biss von Fendrich enthüllten, dass Meys Haltung, seine stille Echtheit, von der neuen Avantgarde als naiv oder altmodisch abgetan wurde.

Als sie sich später trafen, reichte Mey ihm die Hand und wünschte ihm höflich „ehrliche Lieder“. Fendrichs abfällige Antwort: „Ich hoffe, du fängst irgendwann damit an.“ Es war kein Streit, sondern Stille. In seiner Garderobe komponierte Mey danach eine leise Melodie, die später zu seinem Lied „Inzwischen bin ich still“ wurde.

Die Wunde blieb, nicht weil Fendrich Unrecht hatte, sondern weil er nicht hinsah, dass man auch leise rebellieren kann. Mey musste erkennen, dass „echt sein heute die größte Provokation“ ist. Trotzdem verzieh er ihm, weil er Spott als eine „andere Form von Unsicherheit“ erkannte. Fendrichs späteres, unbenanntes Bedauern in Interviews wirkte wie eine leise späte Entschuldigung für die verletzte Freundlichkeit.

Platz 1: Herbert Grönemeier – Der Kollege, der ihn leise verdrängte

Die größte und schmerzhafteste Enttäuschung auf Reinhard Meys Liste ist Herbert Grönemeier. Es war keine Feindschaft, kein Verrat im klassischen Sinne, sondern die schmerzhafte Erkenntnis des eigenen Verblassens. Grönemeier war die neue Stimme einer neuen Zeit: roh, laut, verletzlich. Er schrie, wo Mey flüsterte; er sprach, wo Mey schwieg. Das Publikum liebte ihn dafür.

Mey respektierte ihn, doch er war für ihn „das Symbol dafür, dass die Welt sich weitergedreht hatte und ich stehen geblieben war“. Mit Grönemeiers Aufstieg endete das Zeitalter der leisen Lieder. Die Jugend suchte keine Gedichte mehr, sondern Bekenntnisse; keinen Gesang, sondern den Aufschrei. Plötzlich war kein Platz mehr für den stillen Mann mit der Gitarre.

Als „Bochum“ erschien und Grönemeier zur Stimme einer Generation wurde, schrieben Kritiker von einem Sänger, der „endlich Gefühle zeigt“. Mey schwieg und fühlte sich unsichtbar, obwohl er dieselben Wahrheiten sang, nur anders. Er fühlte sich nicht neidisch, aber „unsichtbar“.

Ihre flüchtige Begegnung bei einer Preisverleihung in Köln hinterließ einen bitteren Nachgeschmack. Grönemeier sagte höflich: „Ich habe Ihre Lieder gehört, sie sind schön, aber nicht meine Welt.“ Meys weise Antwort: „Das ist gut so, sonst gäbe es keine Welt nach mir.“ Dieser Satz klang wie Weisheit, doch in seinem Herzen brannte er, denn er wusste, dass ihn die Welt nach ihm nicht mehr brauchte.

Mey verstand, dass Grönemeier ihn nicht verdrängt hatte; die Menschen hatten sich entschieden, wen sie lauter hören wollten. Die Enttäuschung war hier die tiefste Melancholie: die stille Akzeptanz der Irrelevanz im Angesicht eines notwendigen Wandels der Zeit. Erst Jahre später, als Grönemeier Mey als Idol nannte, das gezeigt habe, dass ein Lied „wie ein Gebet sein kann“, kehrte ein Gefühl der Dankbarkeit ein.

Die Weisheit der Stille

Mit 82 sitzt Reinhard Mey nun oft in seinem Garten, die Gitarre auf dem Schoß. Er hat nicht aufgehört zu singen, er hat „nur aufgehört, gehört zu werden“. Es liegt kein Groll in diesen Worten, sondern eine Ruhe, die aus dem Wissen kommt, dass jedes Lied irgendwann endet, aber der Klang bleibt.

Er hat gelernt, dass all seine „Feinde“ und Enttäuschungen Teil seines Lebensliedes waren. Sie waren nicht nur Gegner, sondern auch Spiegel und Katalysatoren. Er hat erkannt, dass man die Menschen nicht nach dem Applaus beurteilen sollte, den sie einem geben, „sondern nach dem Schweigen, dass sie hinterlassen“.

Würde er etwas bereuen? „Vielleicht“, flüstert er, „hätte ich manchmal lauter sein sollen. Aber dann wäre ich nicht ich gewesen.“ Seine letzte, tiefste Erkenntnis: „Ich habe nicht gesungen, um gehört zu werden, ich habe gesungen, um zu bleiben.“ Die leisen Töne des Poeten der deutschen Sprache mögen im Getöse der Welt untergegangen sein, doch ihre Wahrhaftigkeit wird bleiben, unverwundbar von Spott oder Verdrängung. Sie fliegen als Melodie in der Dunkelheit und tragen seinen Namen ewig weiter.

Related Posts

Our Privacy policy

https://newslitetoday.com - © 2025 News