Matthias Reim: Die unzerbrechliche Stimme – Vom Millionen-Hit in den Schulden-Abgrund und das triumphale Comeback eines Mannes, der sich nie geschlagen gab

Er ist einer der umstrittensten und gleichzeitig meistgeliebten Künstler der modernen deutschen Musik. Seit über vier Jahrzehnten spaltet Matthias Reim die Gemüter: Von glühender Verehrung seiner Fans bis hin zu spitzer Kritik von Fachleuten. Seine Musik und seine Persönlichkeit balancieren stets auf einem schmalen Grat zwischen massivem Erfolg und kritischer Distanz, zwischen dem strahlenden Glanz des Ruhms und den tiefen Schatten eines turbulenten Privatlebens. Um Matthias Reim zu verstehen, muss man ein Leben betrachten, das selbst wie ein Schlagertext anmutet – voller Höhen, Tiefen, Schmerz und unbändiger Leidenschaft.
Geboren am 26. November in der hessischen Kleinstadt Korbach, wuchs Reim in einem gebildeten Umfeld auf; sein Vater war Gymnasialrektor. Früh zeigte sich sein musikalisches Talent, doch der Weg auf die große Bühne war kein direkter. Er begann ein Studium der Germanistik und Anglistik an der renommierten Georg-August-Universität Göttingen. Doch der Hörsaal konnte ihn nicht fesseln. Die meiste Zeit verbrachte Reim mit der Musik, spielte in Studentenkneipen und schrieb Lieder. Ganze 18 Semester zogen ins Land – eine Ewigkeit, selbst für damalige Verhältnisse – bevor er die akademische Laufbahn endgültig aufgab, um sich voll und ganz seiner wahren Berufung zu widmen.
Die 1980er Jahre waren Lehrjahre. Reim arbeitete unermüdlich hinter den Kulissen der professionellen Musikbranche. Er war noch kein Star, aber er war fleißig. Als Songwriter und Produzent schrieb er Lieder für bekannte Schlagergrößen wie Bernhard Brink und Roberto Blanco. Er war Teil von Bands wie Fallen Dice und dem Synthpop-Projekt Fairfax, doch der kommerzielle Erfolg blieb aus. Es war eine Zeit des Experimentierens, aber auch der Entbehrungen. Später gestand er, dass er sich oft Geld leihen musste, um sein kleines Studio zu unterhalten. Die verkauften Lieder reichten kaum, um die Kosten zu decken. Er schrieb Hunderte von Songs für andere, doch der persönliche Durchbruch ließ auf sich warten.
Genau in dieser Phase, als der Druck am größten und der Erfolg am fernsten schien, schrieb er in einem kleinen Studio in Stockach jenen Song, der alles verändern sollte: „Verdammt, ich lieb dich“. Es war 1981. Zunächst wollte keine Plattenfirma den Song haben. Die Melodie galt als zu schlicht, der Text als repetitiv, der ganze Stil im Vergleich zu internationalen Poptrends als “rustikal”. Doch als Polydor den Song schließlich veröffentlichte, geschah das Unfassbare.
„Verdammt, ich lieb dich“ wurde nicht nur ein Hit, es wurde ein Phänomen. Innerhalb weniger Wochen schoss das Lied an die Spitze der deutschen Charts und hielt sich dort für 16 Wochen ununterbrochen – ein bis dahin beispielloser Rekord in der deutschen Nachkriegs-Schlagergeschichte. Der Song eroberte Österreich, die Schweiz, Belgien und die Niederlande. Matthias Reim wurde buchstäblich über Nacht vom unbekannten Studiomusiker zum nationalen Superstar.

Sein Debütalbum „Reim“ (1990) verkaufte sich millionenfach. Er definierte ein neues Image für den als altmodisch geltenden Schlager: lange blonde Haare, Jeans, Lederjacke und E-Gitarre. Er war der “moderne” Schlager-Rocker. Die frühen 90er Jahre waren seine goldene Ära. Alben wie „Reim 2“ und „Sabotage“ wurden Bestseller. Er spielte Hunderte von Konzerten vor Tausenden von Zuschauern und wurde für seine kraftvollen, emotionalen Live-Auftritte gefeiert – eine Mischung aus tief empfundener Emotion und rauer Rockenergie, die man im Schlager so selten fand.
Doch der kometenhafte Aufstieg hatte eine dunkle Kehrseite. Ende der 1990er Jahre führten katastrophales Management und eine Reihe unrentabler Verträge geradewegs in die finanzielle Krise. Reim hatte die gesamte Finanzkontrolle an seinen Manager Alfred Reimann übergeben. Als dessen nicht-musikalische Unternehmungen – Immobilien, Restaurants, Plattenläden – scheiterten, fielen alle Schulden auf Reims Namen zurück.
Anfang der 2000er Jahre war der Superstar am Boden: Matthias Reim war bankrott. Die Schulden beliefen sich auf über 13 Millionen Euro. Von dem Mann, der die Charts dominiert hatte, war fast nichts mehr übrig. Er verlor sein Haus, sein Auto, sein Studio. Die Medien, die ihn einst gefeiert hatten, verfolgten ihn nun auf Schritt und Tritt und nannten ihn den “Mann mit 13 Millionen Euro Schulden”. Es war ein tiefer, öffentlicher Fall.
Reim zog sich zurück, lebte in einem kleinen Mietshaus am Bodensee und konzentrierte sich auf das Einzige, was ihm geblieben war: das Schreiben von Musik. Er gab nicht auf. Um 2003 begann er sein Comeback. Er unterschrieb einen neuen Vertrag und veröffentlichte das Album „Reim 2003“. Die Musik war anders. Sie war reifer, düsterer, gezeichnet von den Erfahrungen des Zusammenbruchs und des Verlusts. Alben wie „Unverwundbar“ und „Sieben Leben“ zeigten einen Mann, der gestolpert war, aber seinen Kampfgeist bewahrt hatte.
Mehr als zwei Jahrzehnte nach seinem Debüt, im Jahr 2013, gelang ihm das, was die deutsche Presse später als das “Matthias Reim-Wunder” bezeichnen sollte. Sein Album „Unendlich“ erreichte Platz 1 der deutschen Charts – eine Position, die er seit 1990 nicht mehr innehatte. Es war nicht nur ein kommerzielles, sondern ein symbolisches Comeback. Die Wiederauferstehung aus der Schuldenkrise war vollbracht.
Heute lebt Reim ein anderes Leben. Er strebt nicht mehr nach dem großen Luxus, sondern lebt mit seiner Familie, einschließlich seiner Frau, der Sängerin Christin Stark, am Bodensee. Er komponiert weiter, produziert in seinem eigenen kleinen Studio und tritt fleißig auf. Sein Leben blieb nicht von Tragödien verschont, wie der Tod seines ersten Sohnes im Jahr 2022, ein Verlust, den er, wie er sagt, nur durch die Musik verarbeiten kann.
Was Reim zu einer solchen Ikone macht, ist die Wahrnehmung seiner Person. Für seine Fans ist er ein Symbol der Authentizität. Sie lieben ihn nicht trotz, sondern wegen seiner Fehler. Er ist der “Geschichtenerzähler des Herzens”, einer, der es wagt, seinen Schmerz und sein Scheitern nicht zu verbergen. Als er nach der Insolvenz auf die Bühne zurückkehrte, applaudierte das Publikum nicht nur der Musik, sondern seiner Widerstandsfähigkeit. Bei seinen Konzerten singen drei Generationen gemeinsam „Verdammt, ich lieb dich“ – ein kollektives Ritual. Ein Zuschauer fasste es einmal so zusammen: “Matthias Reim singt nicht nur für uns, er singt für uns, was wir nicht zu sagen wagen.”
Jüngere Kollegen wie Helene Fischer oder Ben Zucker bezeichnen ihn als Pionier der Schlager-Pop-Rock-Fusion, der geholfen hat, alte Muster aufzubrechen. Musikkritiker sind zwiegespalten. Sie würdigen sein kompositorisches Talent, werfen ihm aber oft mangelnde Innovation und ein Festhalten an der Erfolgsformel seines ersten Hits vor.
Auch sein Privatleben, das oft als “promiskuitiv” und instabil beschrieben wird, trägt zu diesem Bild bei. Doch während manche ihn dafür kritisieren, sehen die meisten Zuhörer darin nur eine weitere Facette seines wahren Charakters – nichts Aufgesetztes.
Matthias Reim ist kein perfektes Idol. Er ist kein glatt poliertes Produkt der Unterhaltungsindustrie. Er ist das Bild eines Mannes, der sich nicht vom Scheitern geschlagen gibt. Er ist der Beweis, dass man fallen, alles verlieren und trotzdem wieder aufstehen kann. Gerade diese Unvollkommenheit macht ihn zu einer Figur, in der sich die Menschen wiedererkennen: ein Mensch, der stolpert, wieder aufsteht, falsch liebt, verliert und trotzdem weitersingt. Für Deutschland ist Matthias Reim nicht nur ein Künstler – er ist, seit mehr als drei Jahrzehnten, ein Teil ihrer Seele.
 
								 
								 
								 
								 
								